Theresa Schaller, 84, steht in der Küche ihres Hauses in Schmidmühlen in der Oberpfalz. Die Dame mit den schneeweißen Haaren macht Kaffee - sie hat heute Besuch von Ehrenamtlichen. Seit drei Jahren wird sie vom Verein zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter (sega) begleitet. Die Helfer machen ihr Leben viel bunter und fröhlicher. "Es könnte nicht besser sein", sagt sie. Dank ihnen war sie zum ersten Mal auf einem Konzert, das sie sonst nicht besuchen könnte, erzählt sie begeistert. Denn die Tagespflege brachte sie anschließend nach Hause. Die Helfer kaufen auch für sie ein und besorgen schon mal ein neues Telefon, wenn das alte kaputt ist.
Neue Ehrenamtlichen-Regelung seit Anfang des JahresOhne die Ehrenamtlichen wäre der Alltag bei Theresa Schaller und vielen anderen pflegebedürftigen Menschen viel schwerer. Für Betreuung und Hilfe im Haushalt gibt es von der Pflegekasse Geld - 125 Euro im Monat. Bisher konnten in Bayern nur Ehrenamtliche abrechnen, die zu einem Träger gehören, etwa zu einem Verein. Seit Anfang des Jahres gibt es ein neues Modell: Nun dürfen sich auch ehrenamtliche Einzelpersonen bei den Fachstellen für Demenz und Pflege registrieren lassen, um auf eigene Faust zu helfen - als Ergänzung zum bisherigen Modell. Sie konnten bislang nicht abrechnen. "Da blieb es bei einem Vergelt's Gott oder man hat es aus der privaten Tasche bezahlt", sagt Melanie Ritter von der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberbayern. Nun kann das ehrenamtliche Engagement vergütet werden - mit einem Betrag, der pro Stunde aber deutlich unter dem Mindestlohn liegen muss.
Mehr als 1.000 Menschen registriertEs geht um Betreuung, Begleitung im Alltag und Hilfe im Haushalt, richtige Pflege dürfen die Helfer nicht leisten. Außerdem dürfen sie nicht nah verwandt sein oder in einem Haushalt leben. Sie müssen mindestens 16 Jahre alt sein und eine Schulung besuchen - acht Unterrichtseinheiten, die auch online angeboten werden und vor allem sensibilisieren sollen: Es geht um den Umgang mit Senioren, typische Hilfsmittel, Kommunikation und Hygiene. Inzwischen sind bayernweit schon rund 1.400 Menschen bei den Fachstellen registriert, sagt Ritter. Das Ministerium will damit den Kreis der Angebote erweitern. Denn Studien zeigen, dass rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen den Entlastungsbetrag verfallen lassen - vermutlich auch, weil es keine anerkannten Träger in der Nähe gibt oder die keine Kapazität haben.
Kaum Kontrolle? Demenz-Experten sehen das Modell kritischUlrike Reder vom Verein Carpe Diem aus München hält nicht viel vom neuen Modell. Sie sorgt sich um die Qualität der Betreuung. Acht Unterrichtseinheiten, teilweise ausschließlich online, seien deutlich zu wenig - die Ehrenamtlichen mit einem Verein im Rücken müssen 40 Einheiten absolvieren. Bauchschmerzen bereitet ihr auch, dass prinzipiell jeder helfen darf, der formale Voraussetzungen erfüllt. "Wir schauen unsere Ehrenamtlichen gut an, ob man denen Tür und Tor überhaupt öffnen soll", sagt Reder.
Tatsächlich prüfen die Fachstellen die Ehrenamtlichen nicht charakterlich auf Herz und Nieren, sondern beraten sie nur. Melanie Ritter sieht darin keine Gefahr, denn es handle sich vorrangig um Menschen, die sich bereits vorher kennen. Ob das so ist, wird allerdings nicht kontrolliert. Es gibt keine Vermittlung, bei der geschaut wird, ob die Menschen zusammenpassen - die sei sogar ausgeschlossen, so Ritter. Helfer und Betroffener finden privat zusammen.
Veganer Kuchen und Rosenkranz-BetenNatürlich könne das Modell funktionieren, wenn sich die Beteiligten vorher bereits kennen, sagt Reder. Aber kritisch sieht sie es vor allem bei Menschen mit Demenz, die keine Angehörigen haben. Vereine müssen mitunter auch Helfer ablehnen, so Reder: Denn nicht jeder ist geeignet für das Ehrenamt. "Schwierig finde ich Ehrenamtliche mit einem hohen Sendungsbewusstsein, die dann anfangen, die Demenzerkrankten vegan zu ernähren und meinen, ich muss jetzt eine 90-Jährige umerziehen. Oder die ein religiöses Sendungsbewusstsein haben, wo dann der Mensch zwangsweise plötzlich Rosenkranz beten muss." Anderen wiederum fehlt es an Distanz, sie würden ungefragt zum Du übergehen und der Person ins Gesicht fassen.
Hilfe für die HelferAuch für Ehrenamtliche sei es gut, einen Verein im Rücken zu haben. Bei einem regelmäßigen Helferkreis bespricht man Probleme, es gibt nach der anfänglichen Schulung immer wieder Fortbildungen - auch zur Selbstfürsorge. Der Verein achtet darauf, dass sich die Helfer, die oft selbst älter sind, nicht verausgaben. "Manchmal geht es auch wirklich darum, wie grenze ich mich ab? Wie sorge ich für mich selber?", erklärt Reder. "Wie gehe ich selber mit Trauer um, wenn der Mensch, den ich begleitet habe, immer weniger wird und stirbt. Das geht an den Ehrenamtlichen nicht spurlos vorbei."
Gesundheitsministerium: Einzelhelfer sollen Vereine ergänzen, nicht ersetzenMelanie Ritter von der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberbayern sieht die bewährten Vereine und die neuen Helfer auf eigene Faust als zwei gleichwertige Angebote. "Wir haben hier einfach einen riesigen Bedarf und da brauchen wir hier neue Wege und Möglichkeiten, um den Bedarf zu decken." Das bayerische Gesundheitsministerium spricht von einem "zusätzlichen Baustein" in einem Mix aus Hilfsangeboten. Einzelne Helfer sollten die Vereine nicht ersetzen, sondern ergänzen. Auch die Angebote von Trägern wie Vereinen versuche man bayernweit auszubauen, sagt Melanie Ritter. Bisher gebe es sie nicht flächendeckend.
Der Notstand bei Pflege und Betreuung ist in Bayern spürbar, sagt Ulrike Reder. Überall fehle es an Pflegekräften und auch Ehrenamtliche würden händeringend gesucht. "Die ganze Pflegelandschaft befindet sich in einer ganz gruseligen Krise, die alle haben kommen sehen, aber irgendwie war man nicht fähig, das abzuwenden, und eigentlich kämpfen wir alle nur noch um den Erhalt unserer Tätigkeitsbereiche." Manche Experten monieren, dass der Staat sich bei der Betreuung von Demenzkranken zu sehr auf Ehrenamtliche und Angehörige verlässt, anstatt den Pflegenotstand zu lösen.