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// SCHWEIGEMINUTE

Ellen Stickel verläuft sich im Hitzekessel von Split - und verliebt sich in die hässliche Seite der Adriametropole.


Der Palast ist legendär, die Unesco hält sogar die ganze Altstadt für schützenswert - und überhaupt: 250 000 Touristen pro Jahr können sich nicht irren, oder? Split also, die geschichtsträchtige Stadt an der kroatischen Adria, verpartnert mit dem Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Geburtsort von Schauspieler Stipe Erceg, Weltkulturerbe, Sitz des Fußballvereins Hajduk Split. Vor allem aber: Eine weitere Stadt auf meiner Liste. Ich bin bekennende Städtetouristin, ich habe einen weichen Spot für Straßenschluchten und Altstadtgassen, Wäscheleinen und Stromleitungen, blank geputzte Hauseingänge und vor sich hin rottende Müllberge. Meine Kindheit in der Kleinstadt bestand aus Rumhängen in der Natur, in Apfelbäumen oder auf dem Wasser, möglich, dass Asphalt und Beton mich deshalb so faszinieren. Wobei Häuser und Straßen ja nur der Katalysator sind, die filternde Verpackung für das, was eine Metropole ausmacht. Jede hat ihren speziellen Geruch, pulsiert in ihrem eigenen Rhythmus, ruft andere Bilder im Kopf hervor. Split ist zunächst vor allem: heiß. Die Luft legt sich wie ein Eierwärmer um den Kopf, das Kopfsteinpflaster glüht unter den Schuhsohlen. Vor dem Diokletianspalast stehen Touristen Schlange, um sich mit falschen römischen Legionären fotografieren zu lassen. Eine schwarz verhüllte Greisin verkauft selbstgehäkelte Deckchen, direkt daneben gibt es Eis mit Zuckerstreuseln. Es summt und brummt, der Palast ist kaum zu erkennen hinter all den Buden und Fahnen, die Bewohner haben die Ehrfurcht vor den 1 700 Jahre alten Mauern abgelegt und nutzen sie als das, was sie nunmal sind: Mauern, die Schutz bieten und Anlehnfläche und Schatten vor dem Sengen der Sonne. Auf dem Rückweg zum Parkplatz hätte ich dann wohl irgendwo eine andere Abzweigung nehmen sollen, denn plötzlich stehe ich vor einem riesigen Areal, das wirkt wie aus der Zeit gefallen. Breite Betontreppen flirren in der Hitze, aus den Rissen im Belag wachsen Disteln, hinter rostigen Bauzaungittern sammelt sich der Müll Wohnungsloser. Und in der Mitte schiebt sich in raumgreifender, protzig geschwungener Selbstherrlichkeit das Stadiondach der Gripe Arena in den Himmel, verziert mit Graffiti und Plakaten, die wie Wundpflaster wirken auf der verdorrten Außenhaut der Halle. Eine unirdische Ruhe liegt über dem Ganzen, kein Vogel piept, kein Mensch ist in Sicht. Doch der Blick über die Bucht von Split ist phänomenal. Und wenn man ganz genau hinhört, kann man zwischen dem Geknatter der Mofas und dem Dröhnen der Busse das Herz der Stadt schlagen hören.


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