Mittlerweile sind wir, das sind Elli und Amanda, schon sechs Wochen hier in Oulu, der Hauptstadt Nord-Skandinaviens. Nach einer längeren „Regenzeit" hat sich heute wieder die Sonne gezeigt. Es hat allerdings nur zwei Grad und wir rechnen schon sehr bald mit Schnee. In den letzten Wochen gab es immer wieder 24h strömenden Regen, auf dem Foto seht ihr den überschwemmten Weg zur Bushaltestelle vor Ellis Wohnheim. Bei dem Wetter ist es auch keine Überraschung mehr, dass viele Finnen in der Uni und beim Einkaufen Gummistiefel tragen - so trotzt man dem Wetter. Und Gummistiefel gibt es hier in allen Farben und Mustern! Und zu allen Preisen.
Überhaupt gibt es hier viele außergewöhnliche Styles und Frisuren. Das geht von einem Petticoat und der aufwendigen 60er-Tolle über bunte Haare und viele Piercings bis hin zum finnischen Metaller, der noch schwärzer angezogen ist als in Deutschland. Hier ist der Heavy Metal ja auch zu Hause. Aber natürlich gibt es auch das Pendant zu den deutschen H&M-Girls, das besteht klassischerweise aus einer knöchelhohen Jeans, einem weißen oder weiß-blau gestreiftem Wollpulli und viel goldenem Schmuck. Die weißblonden Haare sind zu einem Dutt oder Pferdeschwanz zusammengebunden, das Schuhwerk besteht aus Converse Chucks.
Aber nicht nur beim Aussehen sind die Finnen sehr tolerant: Auch bei Religion, Weltanschauung oder Politik darf jeder seine eigene Meinung haben. Ein weiteres Beispiel dafür ist der „Zombiewalk Oulu", den es zwar auch in Deutschland gibt, aber den Finnen hier feiern wie ein zweites Halloween. Aufwändig verkleidet und geschminkt sind die Finnen durch die Innenstadt gewandert und zumindest Amanda fand das echt genial. Verkleidete Hunde und Babys hat sie in Deutschland nämlich noch nicht gesehen.
Neben den Nordlichtern, die wir nun schon mehrmals bewundern konnten (tatsächlich sogar vom Fenster des Wohnheims aus), haben wir auf einem Ausflug jetzt auch einen Elch gesehen, und zwar so: Bus macht Vollbremsung, Elch stolziert im Schneckentempo über die Straße, Elch dreht sich um und starrt den Bus an. Alle im Bus starren zurück. Elch verschwindet im Gebüsch, Bus fährt weiter. Leider gibt es davon kein richtiges Foto, weil wir lieber den Elch bewundert haben, statt nach der Kamera zu kramen, aber beim nächsten Mal Machen wir eines, versprochen!
Das Ganze ist nun schon zwei Wochen her und damals waren wir mit dem Scandinavien-Prehistory-Kurs auf dem Weg in den tiefen dunklen Wald - auf den Spuren der ersten Einwohner Finnlands. Im Zwiebelsystem gekleidet, wie uns der Dozent mehrmals geraten hatte („und nicht die Wasserflasche vergessen!"), sind wir bei Nieselregen durch den Wald gewandert und haben Gräber und "depressions" besucht, also Absenkungen im Boden, in denen früher Menschen gelebt haben und die man erst bemerkt, wenn man drin steht. Nebenbei konnte man immer mal wieder ein paar Beeren pflücken, denn in finnischen Wäldern wachsen wirklich überall Preiselbeeren und Heidelbeeren.
Anschließend waren wir in einem Wikingerdorf und haben in einem nachgebauten Hauszelt am Lagerfeuer mittaggegessen und uns Ketten mit Steinanhängern selbst gebastelt, während die Jungs mit Pfeil- und Bogen auf ein Plüschreh „Jagd machen" konnten. In Scandinavien Prehistory haben wir letzte Woche auch unsere erste finnische Klausur geschrieben. Das Schulsystem ist hier ganz anders als in Deutschland. Kein Finne und keine Finnin müssen für seine/ihre Ausbildung bezahlen, alle Kosten übernimmt der Staat. In der Universität finden viele Kurse mehrmals die Woche statt und dauern dafür nur um die vier Wochen. Danach wird eine Klausur oder ein Essay geschrieben. Die Noten reichen hierbei von 1 bis 5, wobei 5 die beste Bewertung ist.
Vor kurzem waren wir bei Silja, unserem Kummi zum Kochen und Backen eingeladen. Kummi ist finnisch, bedeutet „Patin" und ist so etwas wie eine Tutorin, die uns Wichtiges zur Universität und zum Studium erklärt. Da ein Kummi mehrere Exchange Students betreut, war es ein sehr internationaler Abend: Belgier, Franzosen, Spanier, Tschechen, Deutsche und Finnen haben gemeinsam Gemüse geschnippelt, Kuchenteig gerührt und Bier getrunken.
Als Aperitif gab es gesalzenen Lakritz-Likör, eine finnische Spezialität, aber nicht so unseres. Der Beerenlikör hat uns besser geschmeckt.
Der Hauptgang bestand aus einem estnischen Staatsgericht, Gemüseeintopf mit Sahnesoße und mit Käse überbacken. Zum Nachtisch gab es Blaubeerkuchen mit Vanilleeis, die Beeren waren natürlich von Silja selbstgepflückt. Aus einem finnischen Wald!
In ihrer 2-Zimmer-Wohnung, die sie gemeinsam mit ihrem Freund Tommy bewohnt, gibt es eine Sauna. Egal, wie klein die Wohnung ist, und wenn sie nur aus einem Zimmer besteht: Eine Sauna gehört dazu, und sie mindestens einmal die Woche aufzusuchen ebenfalls.
So ganz haben wir uns an diese und diverse andere finnische Eigenheiten noch nicht gewöhnt. Noch immer überraschen uns die enorm hohen Lebensmittel-Preise, beispielsweise eine Literflasche Coca Cola für vier Euro oder eine Packung Scheibenkäse für fünf Euro. Noch immer finden wir es merkwürdig, auf der Straße angerempelt zu werden und keine Entschuldigung dafür zu hören. Noch immer stören uns die Sitten der jungen wie alten Finnen, zum Beispiel das laute Rülpsen oder Nase hochziehen in der Öffentlichkeit. Und noch immer fühlen wir uns fremd, weil wir die Straßenschilder oder Flaschenetiketten nicht lesen können.
Auf der anderen Seite entdecken wir ständig neue faszinierende und beeindruckende Seiten an Finnland, besonders während unserer Reisen.
Das vergangene Wochenende haben wir in Helsinki verbracht - Amandas Freund Alex und ihre Schwester Natascha sind zu Besuch in Oulu und mit ihnen gemeinsam haben wir uns fünf Tage lang die Landeshauptstadt angeschaut. Unser Hotel lag direkt am Meer, während des Frühstücks konnten wir den Sonnenaufgang am Strand beobachten. Die Landschaft und die Ruhe in Oulu haben uns ja schon verzaubert, aber Helsinki ist dazu kein Vergleich: Eine saubere und gepflegte Stadt mit unzähligen Sehenswürdigkeiten, Naturschutzgebieten und coolen Locations. Der Hafen mit seinen bunten Marktständen und den dazugehörigen Markthallen war sehenswert und an jedem Tag fand dort ein anderer Markt statt, der uns finnische Traditionen näher gebracht hat. Der frisch gefangene Fisch ließ uns das Wasser im Mund zusammenlaufen und die Korvapuusti, das sind finnische Zimtrollen, mussten wir uns fast jeden Tag kaufen, weil sie so gut schmecken.
Die ganze Stadt Helsinki ist auf mehrere Inseln verteilt. Auf der Insel Suomenlinna steht eine Burg, die sogar als UNESCO- Weltkulturerbe zählt und von der wir einen wunderschönen Ausblick auf das Meer und die umliegenden Inseln hatten. Auf der Insel Seurasaari, bei uns „Eichhörncheninsel" waren wir sogar zweimal, weil man dort Eichhörnchen mit Nüssen füttern konnte.
Die Altstadt mit ihren Kirchen, Plätzen und Denkmälern haben wir zu Fuß, mit dem Sightseeing-Bus und aus der Kabine eines Riesenrads erkundet. Das finnische Hard-Rock-Café haben wir auch zweimal besucht, weil wir Burger und Rockmusik so lieben und durch finnische Insider-Tips haben wir eine Pizzeria gefunden, die riesige Pizzen zu günstigen 5 Euro anbietet!
Am letzten Tag ging es für uns dann wieder zurück nach Oulu. Da wir die günstigste Reisemöglichkeit gewählt hatten, saßen wir acht Stunden lang im Zug. Da es in Finnland aber in jedem Café, in jedem Einkaufsladen und in öffentlichen Verkehrsmitteln WLAN gibt, verging die Zeit sehr schnell.
Hier sitzen wir nun wieder, einiges hat sich verändert seit unserem letzten Blogeintrag. Mittlerweile können wir ein paar Brocken Finnisch, haben neue Freunde gewonnen und uns noch mehr in die Schönheit Skandinaviens verliebt. Trotzdem vermissen wir Deutschland und senden die besten Grüße in die Heimat!