Schauspielerin Liv Lisa Fries: "Das ist doch der Wahnsinn"
Als Charlotte Ritter in "Babylon Berlin" wurde sie berühmt. Hier erklärt Liv Lisa Fries, warum sie nach dem Dreh erst mal in die Wanne muss - und weshalb manchmal auch ein Schlag ins Gesicht guttut.
Elisa von Hof
Liv Lisa Fries blinzelt in die Spätsommersonne. Sie sitzt unter einem Dach aus Buchen, in einem Biergarten in Berlin. Vor ihr eine fast leer gegessene Schale Quinoa-Salat, daneben eine Kanne Tee. Fries wirkt entspannt, dabei steckt sie gerade mitten in einem Interviewtag für " Babylon Berlin", jedes Gespräch ist eng getaktet. Fries, 29, winkt ab, sie wischt ein "Alles gut" über den Tisch. Nachdem die dritte Staffel der Erfolgsproduktion "Babylon Berlin" im Winter auf Sky zu sehen war, strahlt die ARD die ersten neuen Folgen am Sonntag aus. In der Mediathek sind sie ab Freitagabend zu sehen.
Fries ermittelt darin neben Kommissar Gereon Rath ( Volker Bruch) als Kriminalassistentin Charlotte Ritter: clever, frech, ehrgeizig, steht immer wieder auf, egal wie hart der Schlag sie zuvor traf. Während man über Raths Verhalten und Psyche mitunter rätselt, wird das Leben von Charlotte Ritter bis ins Detail ausgeleuchtet: der Dreck des Berliner Hinterhauses, aus dem sie stammt, die Augenränder, wenn sie im Fetischdress nachts ihren Körper verkauft, die Ekstase, wenn sie tanzt. Sie balanciert zwischen Elend und Glitzer.
Manchmal, erzählt Fries, werde der Serie vorgeworfen, ihre Figur sei platt. Sie schrecke vor nichts zurück, überstehe jeden Schrecken. "Ich finde aber nicht, dass wir eine Superwoman erzählen. Immer wieder aufzustehen, ist eine sehr wichtige Eigenschaft", sagt Fries. Charlotte Ritter wolle weg aus ihrem Milieu, sie sei auf der Suche nach Zugehörigkeit und keine von Ehrgeiz zerfressene Karrieristin. Das inspiriere sie.
Die Rolle der Charlotte Ritter machte Fries berühmt. Sie brachte ihr einen Grimme-Preis ein und eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis, "Babylon Berlin" wurde in 90 Länder verkauft und bei Netflix ausgestrahlt. Neulich, erzählt Fries, habe der US-Schauspieler Jeff Goldblum die Serie gelobt. "Das ist doch der Wahnsinn", sagt Fries und ihre grünen Augen weiten sich einen Tick. "Dass so viele Menschen zugucken, und auch solche, die man bewundert." Wenn Fries über "Babylon Berlin" spricht, schwärmt sie, na klar. Das sei ein großartiges Projekt etwa oder ein Geschenk. Sie räumt allerdings auch ein, dass es anstrengend ist.
Wer die Mammutserie gesehen hat, weiß, was sie meint: Massenpartyszenen, Hunderte Komparsen, aufwendige Kulissen, Stress. Nach dem Drehen ist sie oft so erschöpft, dass sie bloß noch die Badewanne ansteuert. Dann, so erzählt sie es, wird der Text für den nächsten Tag gelernt. Bei "Babylon Berlin" wiederholt sich das gute 70 Mal. "Das ist ein Kraftakt", sagt sie. Vielleicht auch, weil sie sich so absolut in ihre Rollen wirft.
Um in "Sie hat es verdient" eine gewalttätige Jugendliche zu verkörpern, ließ sie sich während des Drehs nicht umarmen. Als sie in "Und morgen Mittag bin ich tot" eine Mukoviszidose-Kranke spielte, stieg sie zur Vorbereitung Treppen, bloß durch einen Strohhalm atmend. Dazwischen gab sie in "Staudamm" die Überlebende eines Amoklaufs. Gewalt, Krankheit, Tod. Harter Tobak, schon für die Zuschauenden. Für Fries muss es noch eine Spur härter gewesen sein. "Ich mache das nicht mit halber Arschbacke und mit der anderen denke ich an etwas anderes", sagt sie. Wenn sie vor der Kamera stehe, sei das wie ein Sog, beschreibt sie. Dann gebe es nur noch sie und die Arbeit, nichts anderes. Wenn es funktionieren soll, dann so. Dann muss sie da sein, gegenwärtig sein, so nennt sie das.
Fries steht ihr halbes Leben vor der Kamera. Zum ersten Mal so richtig mit 15, neben Götz George als junge Prostituierte in " Schimanski". Danach drehte sie weiter, neben der Schule, stand für Fernsehfilme und "Die Welle" vor der Kamera. Nach dem Abitur kam die Hauptrolle in "Sie hat es verdient" und damit der Nachwuchspreis der Goldenen Kamera und der Schauspiel-Fernsehpreis von Studio Hamburg. Zwischendurch begann sie mal ein Studium, Deutsche Literatur und Philosophie, aber sie drehte weiter und weiter. Auszeichnungen wie der Bayerische Filmpreis und der Max-Ophüls-Preis kamen hinzu.
"Mich interessiert, was ist. Nicht, was ich gern hätte. Oder, wie es sein sollte. Sondern, wie es wirklich ist."
"Ich habe den Ehrgeiz, etwas auszudrücken. Wenn ich das nicht mache, sterbe ich im Alltag." Solche Sätze verpuppt Fries in langen Antworten, sie sucht darin nach den treffenden Worten. Und wundert sich dann zuweilen selbst, was am Ende in der Luft schwebt. Als finde sie die Dinge erst beim Reden heraus.
Vor "Babylon Berlin" lernte sie mehrere Monate Charleston, las Irmgard Keun und guckte Marlene Dietrich. "Das hört sich jetzt episch an", schickt sie vorweg, "aber ich empfinde den Zuschauern gegenüber eine Verantwortung. Wenn ich etwas spiele, muss es schon stimmen." Ihr gut gefülltes Preisregal beweist: Meistens gelingt ihr das. Fries spielt harte Rollen zart, legt Menschliches im Unmenschlichen offen.
Aber diese absolute Präsenz, dieses gegenwärtig sein, hat seinen Preis. Kurz nacheinander stand sie als Sterbenskranke, die ihren Suizid organisierte vor der Kamera und dann als Überlebende eines Amoklaufes. Zwei so fordernden Filme, "die haben mich an den Rand meiner Kräfte gebracht." Aber sie hätten sie auch gelehrt, auf sich aufzupassen.
Im Leben hält sie es wie der DDR-Liedermacher Gundermann: Jeden Tag etwas haben, ein Lachen, einen Sieg, eine Träne, einen Schlag in die Fresse. In die Fresse? "Klar. Jedenfalls metaphorisch. Ich möchte mich und die Welt spüren." Ein bisschen wie bei Charlotte Ritter, die sich durch das Zwanzigerjahre-Berlin boxt.
"Babylon Berlin", Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste. Die ersten Folgen ab Freitagabend, 20.15 Uhr, in der ARD-Mediathek.