Deutsches Theater
Er spielt er weiter, auch wenn er nicht mehr glaubt, dass Theater die Welt verändern kann: Ulrich Matthes hat mit "Amerika".
Elisa von Hof
Zuerst will er wissen, warum man ihn überhaupt interviewen möchte. Auch wenn er in diesem Stück gleich drei Rollen spielt, sein Kollege Marcel Kohler sei doch die eigentliche Hauptfigur und ein toller Schauspieler obendrein. Ulrich Matthes gibt sich bescheiden - und lässt sich dann doch befragen. Am heutigen Mittwoch wird er im Deutschen Theater mit dem Stück "Amerika" Premiere feiern, ein Abend nach Franz Kafka. Den hat Matthes ja schon als Teenager verschlungen, bloß nicht so recht verstanden, aber wer tut das schon? Ulrich Matthes zuckt die Achseln. Wer eine Geschichte Kafkas kennt, "Die Verwandlung" zum Beispiel oder "Der Prozess", der weiß, nicht alle Rätsel lassen sich lösen. Geheimnisse gehören dazu und viel Unverständliches. So wie in "Amerika", der Geschichte eines zerstörten Traums.
Da wandert der 16-jährige Karl in die Staaten aus - seine Eltern schicken ihn weg, damit aus ihm noch etwas wird, und wohl auch ein bisschen, weil er ein Dienstmädchen geschwängert hat. Aber der American Dream platzt, er wird bloß ausgenutzt, jeder zerrt an diesem jungen Flüchtling mit großen Ambitionen. Auch Matthes. Zum Beispiel als Onkel Jakob, "einem jovialen Oberkapitalisten". Man muss sich nicht lange mit der Interpretation des Stückes auseinandersetzen, um zu erkennen, dass es da Parallelen zur Gegenwart gibt.
"Unter Trump fällt es schwer, weiter an den American Dream zu glauben", sagt Matthes. Wahrscheinlich hätte seine Figur ihn gewählt, denkt er laut. Aber darum soll es auf der Bühne eigentlich nicht gehen, man will den Stoff nicht zwanghaft auf die Gegenwart biegen. "Wir versuchen, die naheliegenden Hinweise zu dem Schreckenszustand, in dem sich Amerika in der gegenwärtigen Situation befindet, eher zu vermeiden", sagt Matthes und fügt an: "Denn wir halten die Zuschauer für intelligent genug, sich diese Gedanken selber zu machen." Wer Matthes auf der Bühne kennt, sein subtiles Spiel und die eisige Kälte, mit denen er seine Zeilen ummantelt, weiß, dass er nicht mit der Keule wedeln muss, um auf Probleme hinzuweisen. Die spürt man durch den Text hindurch.
Genau das sei doch auch das Schöne am Theater, Matthes wedelt mit der Hand, zieht die Augenbrauen hoch, redet sich in Rage, dass jeder eigene Interpretationen anstellen kann. Dabei ans Abendbrot denken kann, an Trump, an Tante Ursel oder doch, jetzt ein besserer Mensch zu werden. So geht es Matthes ja manchmal. Im Sommer schaut er sich einige Inszenierungen in London an, auch Musicals, als das ganze "Singin' in the Rain" ihn zwar nicht politisch erhellt, aber fröhlich macht. Und das sei doch auch etwas. Man dürfe die Unterscheidung zwischen E- und U-Kunst, also ernster und unterhaltsamer, nicht so dogmatisch betreiben.
"Es ist auch nur Theater. Und das sage ich, für den Theater eines der wesentlichen Dinge in seinem Leben ist", sagt er, plötzlich ganz ernst, und man fragt sich, ob der 58-Jährige ein bisschen resigniert ist oder ob sich da bloß die Routine hindurchreibt von jemandem, der Zeit seines Lebens auf der Bühne steht: seit 13 Jahren bereits im Deutschen Theater, davor in München, Düsseldorf und in Krefeld, gern und preisgekrönt auch vor der Kamera. So wie gerade im Kinofilm "Krieg", mit dem Matthes vor wenigen Wochen bei den Filmfestspielen in Venedig war, oder wie im Tatort "Im Schmerz geboren", für den er 2015 den Grimme Preis gewonnen hat und als bester Schauspieler auch die Goldene Kamera.
Rollen wie dieser Onkel Jakob, die mag Matthes. Kalte Scheusale, "Oberkapitalisten", psychisch labile Drogenbosse, die lässt er in seinem Spiel zerbrechen. Er gibt das Ungeheuer so menschlich, dass man sich selbst darin erkennen muss. Und doch, verbessern kann das unsere Realität nicht mehr, denkt er. "Ich bin möglicherweise anderthalb Jahre zu alt, um daran zu glauben, dass das Theater die Welt verändern kann", sagt Matthes und lächelt, gar nicht resigniert. "Mit 25 dachte ich das noch. Mittlerweile weiß ich: Wenn es so wäre, dann sähe die Welt anders aus."
Und trotzdem spielt er weiter. Denn im besten Falle hinterlässt so ein Theaterabend ja doch eine Spur. "Wachheit, Empathie, Menschenfreundlichkeit" vielleicht, überlegt Matthes und schaut weg. Jedenfalls, wenn man dabei nicht gerade ans Abendbrot und an Tante Ursel denkt. Sondern an Trump und den zerplatzten Traum der Freiheit.
Deutsches Theater, Schumannstr. 13a. Premiere: heutiger Mittwoch (ausverkauft), weitere Termine: 28.9. 20 Uhr, 1.10. 19 Uhr, 7.10. 19.30 Uhr.
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