Ausverkaufte Ein-Mann-Show: Der britische Popstar Ed Sheeran bringt eine Zuckerwattezeit in die Mercedes-Benz Arena.
Elisa von Hof
"Eddie!", schreit eine, das "I" gleich auf mehrere Silben gestreckt, und "I Love Yo-u-u!", eine andere. Riesige Rosenblätter rieseln wie Schneeflocken über den Bühnenhintergrund, Mädchen flechten ihre Arme ineinander, und quieken. "Ist das nicht schön?", fragt eines und drückt das Smartphone an die Brust. Die Freundinnen nicken. So muss sich Glück anfühlen. Nein, das ist nicht die Aufzeichnung der letzten "Bachelor"-Folge. Das ist der britische Popstar Ed Sheeran, live. Er braucht nicht viel für diese Ekstase, keine Band, kein Schlagzeug, keinen Bass - bloß die Gitarre um den Hals, das Mikro an den Lippen, die Loop-Station auf dem Bühnenboden. Auf der spielt er jede Melodie ein und in Endlosschleife wieder ab. Er begleitet sich selbst. Ed Sheeran, das ist eine One-Man-Show in der ausverkauften Mercedes-Benz Arena, am Montagabend sind das 17.000 Fans und er.
"Guten Tag, Berlin!", schreit Sheeran zwischen den Zeilen seines ersten Songs und springt mit großen Schritten über die Bühne. Die kupferroten Haare reflektieren das Scheinwerferlicht wie eine menschliche Diskokugel. Jeder seiner Gitarrenschläge pumpt Jubelwellen durch die Arena als wäre sie ein gigantisches Organ. Er sei immer gern hier, ruft er, das Gesicht riesengroß auf den LED-Wänden. Ja, er liebe Berlin. Das Arena-Herz pocht, rast, zerbirst. Sheeran lacht. In kurzer Zeit war sein Berlin-Konzert, eines von fünf in Deutschland, ausverkauft.
Das eröffnet der 26-Jährige mit seiner aktuellen Single, "Castle on the Hill". Die Pop-Ballade, eine gefühlige Liebeserklärung an die sommerleichten Tage der Jugend, ist, genau wie Sheerans zweite Albumauskopplung "Shape of You", nach vorn in die deutschen Single-Charts geprescht. Dass zwei Lieder eines Künstlers zur gleichen Zeit in die Chartspitze rasen, auf Platz eins und zwei, das gab es noch nie. Beide Stücke sollen, wie Sheeran sagt, die beiden Pole seines neuen Albums markieren - also eins etwas schmonzettig, so kennt man ihn ja auch von den letzten beiden Alben, das andere poppig, mit schnellem Beat zum Tanzen. Irgendwo dazwischen finden sich die übrigen vierzehn Stücke, die in Sheerans Heimat Großbritannien alle, wirklich alle, in die Top 20 gesprungen sind. Auch das gab es noch nie.
Man solle doch mitsingen und tanzen und alles tun, wozu man Lust habe, fordert er die Arena auf. Bloß nichts zurückhalten, bloß nicht verstellen. Das scheint ihm wirklich wichtig zu sein. Er habe, sagt er, erst dann mit seiner Musik Erfolg gehabt, als er nicht mehr versuchte, jemand anders zu sein, eine Kopie, sondern bloß er selbst. Die Musik wird sein Rückzugsort, als Sheeran in der Schule gehänselt wird, die Gitarre sein akustisches Tagebuch. Mit 16 Jahren bricht er die Schule ab, um in London zu singen, zunächst auf der Straße und in kleinen Clubs, bis ihm 2011, endlich, der Durchbruch mit seiner Gitarrenballade "The a Team" gelingt.
Auch die singt er nun, rollt mit samtener Stimmer über die melancholischen Strophen hinweg. Und die Arena singt leise, wie ein scheuer Mädchenchor, mit. Da grinst Sheeran - vielleicht, weil er zwar keine Band hat, aber 17.000 Backgroundsänger. "Dass ihr alles mitsingen könnt, auch die neuen Songs, obwohl das Album erst drei Wochen draußen und Englisch nicht eure Muttersprache ist, das ist irre", schreit Sheeran.
Er, ein bisschen Underdog, ein bisschen Junge von nebenan, braucht kein Kostüm und nicht viel Gewese. In Jeans und T-Shirt singt er über gebrochene Herzen, erste Lieben und heiße Tränen, über Heimat und Sehnsucht nach zuckerwattesüßen Zeiten, als man keine Antworten hatte, bloß Fragen. Jeder Song entsteht auf der Bühne neu, Sheeran erarbeitet sich die Stücke mit der Loop-Station, klatscht den Takt auf dem Corpus der Gitarre, drischt in die Seiten für den E-Gitarrensound und singt den Chorus. Und manchmal, wenn er mit geschlossenen Augen über die Saiten schlägt, als wolle er doch eine Zehn-Mann-Band sein, dann vergisst er sich in seinen eigenen Melodien, so wie auch die Zuschauer in diesen Liedern verschwinden, bis da bloß noch dieses Gefühl ist, das Sheeran aus sich heraus und in die Menge katapultiert.
Dass er einen lieben werde, bis man 70 sei wie in "Thinking Out Loud". Dass man die eine sei wie in "How Would You Feel" vom neuen Album "Divide". Dass er barfuß tanzen will mit einem, weil man sein Herz trage und auch all seine Geheimnisse wie in "Perfect". Zu diesen Liebesliedern wiegt sich die Menge im wohligen Schaudern, die Smartphone-Taschenlampen in die Höhe gereckt, die Augen geschlossen.
Bloß im ersten Moment hält man das für die Rosamunde Pilcher im Popgewand. Denn Sheeran, die bunt tätowierten Arme streichen durch die Luft, die roten Haare kleben ihm klamm auf der Stirn, tilgt den Kitsch aus seinen eigenen Liedern. Er rappt, gibt kreischende Gitarrensoli, tobt über die Bühne, springt auf die Boxen. Er lässt die Zuschauer glauben, dass er jede Zeile genauso meint, wie er sie ins Mikrofon jauchzt. Und man glaubt ihm. Vielleicht, weil sein argloses Understatement - "But what do I know? I´m just the boy with the one-man-show" - in der glitzernden Popwelt so selten ist. Am Dienstag geht es für Sheeran bereits weiter durch Europa. Aber im nächsten Jahr, sagt er, will er wieder herkommen.
© Berliner Morgenpost 2017 - Alle Rechte vorbehalten.
Rétablir l'original