Der US-amerikanische Fotograf Steve Schapiro hat die Bürgerrechtsproteste der 60er-Jahre begleitet. Ein Treffen in Berlin.
Elisa von Hof
Eigentlich wollte er gar kein Fotograf werden. Nein, Steve Schapiro (83) wollte viel lieber Schriftsteller sein. Die Welt beobachten, schreibend Statements dazu abgeben, am besten symbolische, das hatte sich der US-Amerikaner immer schön vorgestellt. Bloß, das merkt er irgendwann, liegt ihm das Schreiben nicht. Das ist der Moment - wohl ein Schlüsselmoment seines Lebens, aber solche Emotionalitäten sind nichts für ihn - in dem Schapiro fest- stellt, dass es auch anders geht. Dass er keine Schreibmaschine braucht, um ein kleines Abziehbild der Welt zu schaffen. Dass das auch mit seiner Kamera klappt. Und mit der kann er ja sowieso umgehen, seit er in einem Feriencamp mit neun Jahren eine in die Hand gedrückt bekommt. Der Rest seiner Karriere ist eine Mischung aus Glück und dem Gespür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und Können, das ist ganz klar.
Denn Schapiro schafft das, was ihm mit der Schreibmaschine nie gelang. Auf seinen Fotos zeigt er Momente des großen politischen Umschwungs fragil, Politiker und Promimente wie Muhammad Ali, Barbra Streisand und Martin Luther King verletzlich. Seine Bilder von King und anderen Bürgerrechtsbewegern sind nun in der Doppelausstellung "Ryan Mendoza & Steve Schapiro" zu sehen, die am heutigen Sonnabend in der CWC Gallery an der Auguststraße eröffnet wird.
Wenn Schapiro durch die Ausstellung geht und sich seine Fotos ansieht, die von King, Rosa Parks und anderen Protestlern, Bilder, die ihn berühmt gemacht haben, dann wird er nicht nostalgisch. Er sei eben auch nicht stolz auf seine Bilder. Für solche Gefühle habe er nichts übrig. Er sähe nur, ob ein Foto gut sei, und generell könne man es ja sowieso immer besser machen. Damals, sagt er und meint die 60er-Jahre, da war ihm einfach klar, dass er sich in der Bürgerrechtsbewegung engagieren, dass er dabei sein musste.
"Wenn ich die Bilder heute sehe, dann denke ich nicht über mich nach, sondern über die Menschen, die ich fotografieren konnte", sagt er. Über Martin Luther King zum Beispiel. 1963, als King seine berühmten vier Worte spricht, "I have a dream", da ist Schapiro dabei. Mit seiner Kamera und diesem Wunsch, teilzuhaben, wenn sich etwas bewegt. "King umgab eine Mischung aus unglaublichem Charisma und der Hoffnung, die Welt zu verändern", sagt Schapiro und blickt auf Kings Porträt. Erst zwei Jahre vor den ersten Märschen hat der New Yorker angefangen, als Fotojournalist zu arbeiten, auf eigene Faust, mit eigenen kleinen Projekten, bloß der Lust am Fotografieren wegen und nicht wegen des Engagements einer Zeitung oder eines Magazines.
Das ändert sich, als er vier Wochen in einem Arbeitercamp in Arkansas lebt und das Leben dort fotografiert, die harte Arbeit und die geschundenen Menschen. Er schickt seine Bilder an ein kleines Magazin in New York, 1961 ist es, und irgendwie wird die "New York Times" darauf aufmerksam und druckt eines seiner Fotos. Danach wird er vom "Life"-Magazin beauftragt, von der "Vanity Fair", von der "Time". Es beginnt das Jahrzehnt, das er heute die "goldene Ära des Fotojournalismus" nennt. Eine gute Zeit.
Wer seine Fotos kennt, der weiß, Schapiro ist immer nah dran. So sehr, dass man in Martin Luther Kings Augen eine Verwundbarkeit erkennt, die man an dem Bürgerrechtsbeweger so noch nie gesehen hat. Schapiro hat ihn häufig fotografiert. In Washington, bei Straßenprotesten, 1965 auf dem berühmten Selma-nach-Montgomery-Marsch.
"Das zu fotografieren, war eine emotionale Tragödie"Schapiro ist auch einer der ersten Fotografen, die das Hotelzimmer in Memphis betreten, in dem King 1968 starb. Auch dieses Foto ist Teil der Ausstellung. "Das zu fotografieren, war eine emotionale Tragödie", sagt er. Nicht weil King und er Freunde geworden seien. Nein, Freundschaften zu Prominenten pflegt er nicht, auch wenn er sehr viele fotografierte. Schapiro will lieber wie die Fliege an der Wand sein, sagt er: immer dabei und doch am Rand.
Hauptsächlich fotografierte Schapiro in Schwarz-Weiß. Einerseits, weil die Magazine, von denen Schapiro seine ersten Aufträge erhält, schwarz-weiße Bilderstrecken abdrucken. Aber auch, weil schwarz-weiße Fotos eine größere Emotionalität auf den Betrachter abstrahlen, auch wenn es Schapiro selbst nicht so geht. Einige seiner Fotos findet er bloß "okay" und zuckt die Schultern, so wie bei einigen Fotos der Protestmärsche. Andere findet er "ziemlich gut", da hellen sich seine braunen Augen auf. Es sind ikonenhafte Porträts, die ihm gefallen, Bilder von Harry Belafonte, vom afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin, den er über mehrere Wochen begleitete, und von Rosa Parks. Auf die ist er dann doch ein bisschen stolz, auch wenn er es nicht zugeben würde. "Mein Job ist es, Bilder zu schaffen, die helfen, die Wirklichkeit zu verstehen", sagt er. Ein perfektes Bild, das ist für ihn eine Mischung aus Schnappschuss und Arrangement. Vielleicht zieht es ihn deswegen nach zehn Jahren Fotojournalismus zum Film. Dort fotografiert er Dreharbeiten, die von "Taxi Driver" zum Beispiel und von "Der Pate". Aber die Welt des Film ist eine andere Welt als die der Straßenproteste. Viel flüchtiger, viel vergänglicher.
Das beste Foto seines Lebens, findet der 83-Jährige, das hat er noch nicht geschossen. Was er noch ablichten will, weiß er nicht. Er sucht noch immer nach dem perfekten Motiv.
CWC Gallery, Auguststr. 11-13. Bis 15. April. Di.-Fr. 10-18 Uhr, Sa. 11-18 Uhr.
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