Bei Amazon gibt es mehr als 2000 Koffer für Herren. Tobias Koßmann erfand einen weiteren. Nur kauft den keiner. Entmutigt ist der heute 25-jährige Gründer deshalb aber noch lange nicht. Im Gegenteil: Nun will er auf die Bühne.
Es gibt ein Prinzip in der Start-up-Welt: Gründer scheitern nicht, sie lernen. Wer lernt, kann nicht scheitern, höchstens noch nicht so weit sein, höchstens noch ein bisschen Zeit brauchen. Also sagt Tobias Koßmann: "Ich bin nicht gescheitert. Ich habe Erfahrungen gesammelt."
Koßmann sitzt im Café und bestellt Cola. Neben seinem Wirtschaftsstudium hat er jetzt wieder mehr Zeit für solche Dinge, seit die Sache mit dem Start-up und dem Bambuskoffer ernüchternd wenig Arbeit macht. "Am Donnerstag habe ich ein Meeting, da werde ich noch mal schauen."
In den letzten drei Jahren gab es viele von diesen "Noch mal"-Momenten: Noch mal über das Material nachdenken. Noch mal mit den Zulieferern in China sprechen. Noch mal in das Marketing investieren.
The Companion sollte ein Accessoire werden für Gentlemen, ein Kofferaccessoire aus Bambusholz. Weil weder Koffer noch Bambusholz neu sind und weil bei Amazon mehr als 2000 Herrenkoffer angeboten werden, war vor allem das Marketing wichtig und am Ende doch nicht ausreichend. Die Investoren blieben aus, der Companion verkaufte sich null Mal. Und als Koßmann irgendwo in Japan den Boden nicht mehr sah, weil der verschwamm, sagte ein Arzt: "Nehmen Sie sich mal eine Auszeit, Herr Koßmann."
Tobias Koßmann schläft jetzt wieder länger. Fünfeinhalb statt viereinhalb Stunden. Und er spricht viel von "damals", wenn er von seinem Start-up und dem Aktenkoffer erzählt. "Damals war die Holzoptik in" oder "Damals war es neu, mit Influencern zusammenzuarbeiten". Dabei ist "damals" noch nicht lange her. Im August 2015 saßen er und sein Co-Gründer auf dem Balkon eines Cafés in Wiesbaden und überlegten, was die Welt brauchen könnte. Einen Party- oder Cateringservice offenbar nicht, das hatten sie schon versucht, und zumindest in Wiesbaden wollte niemand so richtig eine Party bestellen. "Damals" beginnt also mit einem Neuanfang, vor allem aber mit einer Vision: Der Gentleman braucht Accessoires. Accessoires von Nisantari, dem Start-up von Koßmann.
Seit dem Tag auf dem Balkon versucht er, daraus eine Marke zu machen. Er zieht für Nisantari Social-Media-Kanäle auf, fertigt Skizzen an, und weil er sehr an sich glaubt, investiert er zwischen 3000 und 4000 Euro. Das ist viel für das Nebenjobkonto eines 21-Jährigen. Mit dem Prototyp des Companion ging er in der Innenstadt spazieren, nahm ihn mit in den Urlaub, an die Uni, nach Berlin. Der Bambuskoffer wurde zu Koßmanns Begleiter und sollte doch eigentlich andere begleiten. Männer in Anzügen am Flughafen zum Beispiel. Drei Monate lang befragte Koßmann gentlemanartige Vielflieger nach ihrer Meinung. Dann war die Marktanalyse abgeschlossen und der Markt und die Vielflieger sagten: Macht mal.
Koßmann machte sich daraufhin vor allem selbst Druck, um Material für die Crowdfunding-Kampagne bereitstellen zu können. 4000 Euro kostete der Imagefilm, in dem ein schöner Mann ein schönes Leben lebt und mit dem Companion um die Welt jettet. "Das war's wert", sagt Koßmann heute. Was soll er schon sagen, er, der so viel für seine Idee gegeben hat?
Am 14. April 2016 geht The Companion auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter online und die Euphorie der beiden Gründer lässt sich an der Anzahl der Tweets ablesen. Fünf am Launch Day, Hashtag: #Kickstarter #TheCompanion #ForGents. Zwei am Folgetag. Dann werden die Abstände zwischen den Tweets größer. Die Kampagne endet am 14. Mai mit 5232 Euro, das sind gerade einmal zehn Prozent des Finanzierungsziels. Zwischen Mai und Oktober 2016 gibt es keine Tweets mehr und keine Euphorie. Viele hätten hier gesagt: The Companion ist gescheitert. Doch Koßmann sieht das Scheitern nicht.
Das Produkt, sagt er, sei noch nicht ausgereift, die Kanten unsauber, die Nähte schief. "Das wird, wir bleiben dran." Er blickt auf den Koffer wie auf ein verkanntes Wunderkind.
Warum ihm das Loslassen so schwer fällt, versteht man besser, wenn man in der Karlstraße in Wiesbaden war. Heimathafen - Coworking Space & Café steht da. Nachmittags ist der Laden voller Studenten. Die Limo "In der Buddel" kostet 3,20 Euro, der Konferenzraum "Karl" halbtags 120 Euro. Einmal im Monat laufen im Heimathafen Ideenkapitäne mit ihren MacBooks ein. Gründerfrühstück heißen die Veranstaltungen, oder Donnerstalk. Koßmann war oft hier. Anfang 2016 stellt er vor 20 Leuten den ersten Entwurf des Companion vor. Produktdetails, Zielgruppen, die Gentlemanvision. "Wir wollen the finest accessories for men - nicht weniger." Nicken. Applaus. Nachfragen, auch kritische: Investoren habt ihr? Social Media? Und echt jetzt, Companion? Nicken. Applaus. "Geil, Jungs!" Die Flotte legt wieder ab, und die eigentliche Grundsatzfrage, die Diskussion darüber, ob ein Bambuskoffer wirklich gebraucht wird, bleibt zurück. "Wir haben uns halt bestärkt, wie bei einem Familientreff." Nur, dass der mürrische Onkel fehlt, der auf solchen Familientreffen die Pläne der Jugend skeptisch hinterfragt.
Es gibt zwei Arten von Gründern: Typen wie Steve Jobs, die wegen dieser einen Idee gründen. Und Jungs wie Koßmann, die wegen irgendeiner Idee gründen. Wegen einem Cateringservice zum Beispiel, oder eben wegen Koffern. Das ist dann kein Produkt, das die Welt braucht, höchstens eines, das sie schöner macht.
vor allem die Welt von Koßmann. Das mit dem Schönmachen ist wichtig, wenn man zur Marke werden will. Koßmann trägt einen Kaschmirschal. Seine Augenbrauen sind perfekt getrimmt, sein Lebenslauf auch. Auf der Karriereplattform Linked-In hat Koßmann so viel Berufserfahrung und so viele Ehrenämter, dass man auf "Mehr anzeigen" klicken muss. Dort hat er auch angegeben, sechs Sprachen zu sprechen: Deutsch, Französisch, Englisch, Chinesisch, Japanisch und Latein. Fließend Latein.
Im Februar sah es tatsächlich so aus, als würde Koßmann den Companion begraben. Zu schleppend lief die Zuarbeit des chinesischen Partners; es fehlte die Verbindlichkeit. Dann aber meldeten sich immer wieder Interessenten und fragten nach einem Verkaufsmodell. "Ich musste dann immer sagen, dass ich keinen Koffer vorrätig habe." Also blieb Koßmann dran.
25 ist Koßmann jetzt. In diesem Jahr schreibt er seine Masterarbeit über Marketingstrategien. Egal, wie das mit dem Start-up ausgeht, er will einmal auf die Bühne mit all der Erfahrung. Ratschläge geben als Speaker für Start-ups. "Dafür muss man keine Erfolge vorweisen", sagt er. Es reicht die Erfahrung. Die anderen lernen ja auch noch.
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