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Klimakrise: Was es heißt, danach zu handeln

Mir gegenüber in dem gut gefüllten Café in Berlin-Mitte sitzt ein Journalistenkollege. Er schreibt, wie auch ich, viel über die Klimakrise. Bisher hatten wir nur per E-Mail Kontakt und jetzt endlich treffen wir uns persönlich. Vielleicht ergibt sich daraus eine Zusammenarbeit, denke ich - doch dann kommt mein Cappuccino.


Der Kollege hat seinen mit Hafermilch bestellt, ich nicht. Als der Kellner meine Tasse mit der Haube aus fluffigem Kuhmilchschaum vor mir auf den Tisch stellt, mustert mein Gegenüber erst meinen Cappuccino, dann mich und sagt: "Ich schreibe nicht nur über die Klimakrise, ich handele auch danach."


Der Satz sitzt. Die unterschwellige Kritik an meiner Bestellung verunsichert mich. Ich merke, wie ich während des schleppenden Gesprächs die ganze Zeit denke: Warum habe ich mir bloß den Cappuccino bestellt? Nach nur einer halben Stunde ist es zum Glück vorbei.


"Ich schreibe nicht nur über die Klimakrise, ich handele auch danach." Über diesen Satz muss ich seit dem Treffen im Café oft nachdenken. Ja, manchmal trinke ich Milch, esse Käse. Vergangenes Jahr war ich für ein Recherchestipendium zwei Monate im Ausland - ich bin geflogen. Macht mich das zu einer schlechten Klimajournalistin? Handele ich egoistisch?

Gleichzeitig weiß der andere Journalist nicht, dass ich seit 20 Jahren Vegetarierin bin. Er weiß nicht, dass ich noch nie ein Auto besessen habe, immer mit dem Nahverkehr fahre, auch wenn ich weit außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings wohne und dadurch oft mehr als eine Stunde zu meinen Terminen brauche. Er weiß nicht, dass ich mit meinem Partner in einer gedämmten Mietwohnung mit Wärmepumpe wohne. Und er weiß nicht, dass ich insgesamt sparsam lebe und wenig konsumiere. Er weiß nur, dass ich mir in einem Café einen Cappuccino mit Kuhmilch bestellt habe; und fällt sein Urteil, erhebt sich - so zumindest empfinde ich es in diesem Moment - moralisch über mich.


Dass wir in Sachen Klimakrise schnell urteilen, ist keine Seltenheit. Ich kenne das von mir selbst. Wie oft habe ich schon den Kopf geschüttelt, wenn Menschen mitten in Berlin einen SUV fahren. Auch als die zwei Aktivist:innen der Letzten Generation im Januar nach Bali geflogen sind und dafür ihren Gerichtstermin verpassten, war der mediale Aufschrei groß, viele sprachen von Doppelmoral, Heuchelei.


Die fossilen Emissionen steigen trotz unserer Streitereien, unserer Lagerkämpfe und Vorwürfe weiter an und haben nach Angaben des Global-Carbon-Budget-Berichts im vergangenen Jahr weltweit einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht. Wissenschaftler:innen gaben erst kürzlich bekannt, dass das 1,5-Grad-Ziel physikalisch zwar noch erreichbar ist, doch wenn man sich die aktuellen Bemühungen ansieht, werden wir es wahrscheinlich nicht mehr schaffen. Und was tun wir? Wir kritisieren uns gegenseitig und bewegen damit absolut nichts.


Die Idee, dass wir die Verantwortung der Klimakrise bei uns, unseren Nachbar:innen, unseren Kolleg:innen suchen, kommt nicht von ungefähr. Der Ölkonzern BP hat 2004 den CO₂-Fußabdruck-Rechner als PR-Trick ins Leben gerufen, um die Aufmerksamkeit der enorm hohen CO₂-Emissionen der Ölkonzerne auf uns Individuen zu lenken.


Wenn man sich die Twitter-Diskussionen und Gespräche am Familientisch anschaut, sieht man schnell: Das Ablenkungsmanöver geht auf. Wir regen uns mehr über die Frage Hafer- oder Kuhmilch auf als über die fossilen Konzerne, die trotz Krise Rekordgewinne machen, die Förderung fossiler Brennstoffe ausweiten und Klimaziele sogar zurückschrauben. Wir empören uns mehr über zwei Klimaaktivist:innen als darüber, dass die EU Superjachten zu Freizeitbooten erklärt, Kerosin immer noch nicht versteuert wird und ein Klimaziel nach dem anderen verstreicht. Wir erhöhen uns moralisch über Menschen, die in Plastik verpackte Tomaten kaufen, während Luxussportwagen auch nach 2035 weiter Verbrennermotoren haben dürfen. Die Individualisierung der Klimakrise lenkt von den großen, nötigen strukturellen Veränderungen ab.


Den ganzen Text gibt es bei Zeit Online

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