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Forscher aus Bremerhaven sehen großes Potenzial in Algen

Antonio Gavalás-Olea nimmt den Glaskolben mit der gelben Flüssigkeit in die Hand. Er schwenkt ihn leicht - ein prüfender Blick. „Rhodella maculata sieht bisher am vielversprechendsten aus", sagt der 34-jährige Spanier über die Rotalge. "Die Algenkultur ist noch sehr dünn." Gavalás-Olea stellt den Kolben zurück in das Regal, in dem Laborgläser stehen, gefüllt mit grüner, gelblicher und rotbrauner Flüssigkeit. „Alles Mikroalgen", sagt Gavalás-Olea. Schläuche versorgen die mikroskopisch kleinen Algen mit Nährstoffen und Kohlenstoffdioxid aus der Luft.

Gavalás-Olea steht in weißem Kittel im Labor der Hochschule Bremerhaven. Seit Juli forscht der Doktorand in einem kleinen Team am Projekt mit dem Namen Albina. Die Abkürzung steht für Eigenschaften der Alge: biobasiert und nachwachsend. Auch wenn man es beim Anblick des kleinen Labors nicht vermuten würde: Das Projekt könnte ein wichtiges Detail in der Produktion der Metallindustrie in Zukunft maßgeblich verändern.

Mineralöl durch Algen ersetzen

Das Ziel des Forschungsteams ist es, Mineralöl durch Algen zu ersetzen. Es geht dabei in erster Linie um die Herstellung von Schmierstoffzusätzen, sogenannten Additiven, die vor allem bei der Metallverarbeitung gebraucht werden. „Das klingt erst abstrakt, ist aber ein Riesenmarkt", sagt Imke Lang, Professorin für Marine Biotechnologie an der Hochschule Bremerhaven. Sie leitet das Albina-Projekt, das seit April 2019 läuft. Die 40-jährige Oldenburgerin steht neben Gavalás-Olea. Das Labor teilen die beiden sich mit einem Physiker.

Warum Bremer Forscher Verpackungen aus Algen herstellen

Seit zwei Jahren forscht und lehrt die Professorin an der Hochschule Bremerhaven. Auf die Alge ist sie bereits in ihrem Biologiestudium gekommen. „Algen sind spannend und haben unglaublich viel Potenzial." Jedes zweite Sauerstoffmolekül, das Menschen einatmen, stammt aus der Photosynthese von Algen. Sie entziehen der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid und wandeln dabei dreimal mehr CO2 um als Nutzpflanzen.

Makro- oder Großalgen, zu denen unter anderem der Seetang gehört, werden meist in der Lebensmittelindustrie genutzt: für Sushi, Salate oder als Suppenzutat. Mikroalgen hingegen sind mit den bloßen Augen kaum zu erkennen. Sie enthalten Proteine und andere Substanzen, die für die Pharma- oder Lebensmittelindustrie interessant sind - oder für Forscher wie Gavalás-Olea und Lang.

Schmierstoffe sind laut Lang extrem wichtig: "Sie sind überall, wo auch Metall vorkommt." Man brauche sie etwa in der Autoindustrie, bei der Herstellung von Schrauben, Dosen, Handys, Schmuck - für alles, was gegossen, geformt und geschnitten wird. Lang zeigt auf das Regal aus Metall, auf dem die Kolben mit den Algenkulturen stehen: „Auch dafür brauchen wir Schmierstoffe und die Additive." Die Zusätze schützen vor Oxidation, Rost oder Verschleiß.

Algen sind erneuerbare Bioressourcen

„Das ist ein extrem großes Feld", sagt die Professorin. „Das war mir vor dem Projekt selbst nicht so bewusst." Schmierstoffadditive bestehen bislang aus Mineralöl. Dieses wird aus fossilen Brennstoffen wie Erdöl hergestellt. Doch Erdöl ist endlich. „Die Bestandteile der Additive sind auch oft toxisch, gelangen in die Umwelt", sagt Lang. Das sei ein großes Problem. Die Lösung könnten Mikroalgen sein, sie sind erneuerbare Bioressourcen, nachhaltig und biologisch abbaubar. „Im Gegensatz zu Landpflanzen brauchen sie kein Ackerland, um zu wachsen", sagt Lang. „Wir müssen keine Wälder abholzen. Außerdem vermehren sich Mikroalgen sehr viel schneller." Man brauche lediglich Licht, Wasser, Wärme, Kohlenstoffdioxid und entsprechende Anlagen.

Bislang gibt es keine Vorstudien zum Gebiet der Schmierstoffe. „Es ist ein ganz neuer Ansatz", sagt Gavalás-Olea. „Das macht es auch so spannend." Bei Albina kooperieren die Hochschule Bremerhaven, die Hochschule und die Universität Bremen sowie die Hochschule Wismar. In der ersten Phase des Projekts kultivieren Lang, Gavalás-Olea und ihre Kollegen an der Hochschule Bremerhaven die verschiedenen Algenstämme und untersuchen diese. „Wir schauen bei den Algen nach Substanzen, die den bisherigen Schmierstoffadditiven ähneln", sagt Gavalás-Olea. In der zweiten Phase des Projekts führt ein Forschungsteam an der Uni Bremen chemische Untersuchungen mit den Algensubstanzen durch. Im letzten Schritt werden die Ergebnisse dann an der Uni Bremen und der Hochschule Wismar für den technischen Einsatz angeschaut. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch das Programm „Nachwachsende Rohstoffe" gefördert.

Algen auf der Spur

Bevor Lang nach Bremerhaven wechselte, hat sie jahrelang in Berlin bei einem Start-up der Humboldt Universität gearbeitet, das sich mit alternativen Kraftstoffen aus Algen befasst hat. Als sie das Unternehmen verließ, lief es bereits sehr schlecht. Denn es gab eine entscheidende Konkurrenz zu dem Treibstoff aus Algen: das Öl. Dieses ist laut Lang auch heute noch so billig, dass der Algenkraftstoff nicht konkurrenzfähig ist. Mittlerweile wurde das Start-up, für das die Professorin gearbeitet hat, von einem amerikanischen Konzern übernommen. Dieser fokussiert sich nicht mehr auf den Algenkraftstoff, sondern auf Kosmetik. Denn der Markt für die Alge läuft besonders gut in der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie.

„Rohstoff der Zukunft"

Auch andere Unternehmen, die am Algenkraftstoff geforscht haben, gebe es nicht mehr. Das Schlimmste ist laut Lang, dass das Know-how verloren gehe. „Es liegt ja auch nicht daran, dass die Alge nicht das Potenzial hat, als Kraftstoff verwendet zu werden." Die Technik, das Öl aus den Algen herauszuholen und aufzubereiten, sei einfach noch zu teuer. "In der Algenkultivierung sind wir noch in der Jungsteinzeit." Es müsse daher noch viel mehr geforscht werden. Irgendwann wird die Alge das Erdöl dann endgültig ersetzen können, davon ist Lang überzeugt. Die Wissenschaftlerin bezeichnet die Alge gerne als „Rohstoff der Zukunft." In ihrer Vision wird das schwarze Gold irgendwann grün sein.

„Wir sind alle überzeugt, dass wir unsere Forschung in den drei Jahren hinkriegen, aber noch tappen wir im Dunkeln", sagt Lang. Sie freut sich über Gavalás-Oleas Fortschritte mit der Rotalge Rhodella maculata. Sie ist „ein spannender Kandidat". Doch das müsse noch weiter untersucht werden. „Wir sind noch am Anfang", sagt Gavalás-Olea. „Wir müssen erst schauen, welche Algenstämme die Moleküle produzieren, ob wir sie brauchen. Wenn wir das wissen, müssen wir die Algen dazu bringen, die entsprechenden Mengen zu produzieren." Das Wachstum könne man etwa mit der Lichtintensität beeinflussen, aber auch mit der Nährstoffzugabe durch die Schläuche.

Doch das Licht ist ein Problem. Lang zeigt auf die vielen Glaskolben mit den Algenstämmen. „Das ist alles nur Laborgröße", sagt sie. Für größere Mengen seien größere Anlagen notwendig. Ins Labor passen sie aber nicht. Da liegt der Haken, denn in Bremerhaven gibt es im Winter nur wenig Sonne. „Wenn wir an eine große Anlage denken, dann bräuchten wir künstliches Licht." Nachhaltig wäre die Anzucht von Algen nur, wenn das Licht auch aus erneuerbaren Energien hergestellt würde. „Es gibt da also noch einige Baustellen."

Projekt mit offenem Ende

Das Forscherteam um Lang und Gavalás-Olea arbeitet bereits mit Industriepartnern zusammen. „Wir suchen aber noch weitere - gerade aus dem Bereich der Algenkultivierung oder der Schmierstoffherstellung", sagt Lang. „Aus der Wissenschaftlerperspektive ist das ganze Projekt spannend, weil man nicht weiß, wie es ausgeht." Für die Industrie sei es spannend, weil es mit der Alge eine Alternative geben könnte. Das Team werde mit Zeit und Geduld die entscheidenden Moleküle in den Algen finden. „Wenn die Algen das Mineralöl wirklich ersetzen können, dann wäre das einfach toll", sagt Lang, blickt zu den Algen, zu Gavalás-Olea. „Wir glauben daran."

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