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Therapeuten am Limit

Wenn Katja Felzmann neue Mitarbeiter sucht, braucht sie einen langen Atem. Bis zu einem Jahr dauert es, ehe die Geschäftsführerin einer Ergotherapie-Praxis in Unterhaching südlich von München ein neues Teammitglied gefunden hat. "Meistens kriege ich noch nicht mal ungeeignete Bewerbungen, sondern einfach gar keine", sagt sie. In der Not bietet sie Bewerbern inzwischen Prämien an. "Das ist ein echtes Hauen und Stechen um gute Kräfte - es gibt viel zu wenig Therapeuten." Was Felzmann für die Ergotherapie beschreibt, lässt sich 1:1 auf die Physiotherapie übertragen. Fachkräftemangel überall. Wie groß die Lücke in Bayern ist, beschreibt ein Sprecher der Regionaldirektion der Bundesarbeitsagentur so: Bei der Physiotherapie kamen 2018 auf 100 Stellen im Schnitt 30,6 Arbeitslose; bei der Ergotherapie sogar nur 21,9 Arbeitssuchende. Im Vergleich dazu sind es über alle Berufe hinweg in Bayern 170 Arbeitslose auf 100 Stellen. Warum entscheiden sich immer weniger junge Leute für die Arbeit als Physio- oder Ergotherapeut? Die Liste an Gründen ist laut Felzmann lang: schlechte Bezahlung, teils hohe körperlichen Anforderungen, Behandlungen bis in den Abend und häufig eine teure Ausbildung.

Viele starten mit Schulden in den Job

Eine Mitarbeiterin Felzmanns, Ergotherapeutin Heike Obermeier, stimmt ihr zu: "Viele von uns verdienen zwischen 2200 und 2400 Euro brutto. Noch dazu gibt es wenig staatliche Schulen und an privaten Schulen kann die Ausbildung bis zu 600 Euro pro Monat kosten". So starten viele mit Schulden in den Job und verdienen zu wenig, um sie vernünftig abzuzahlen. Warum Obermeier den Beruf dennoch ergriffen hat? "Wegen des Gehalts jedenfalls sicher nicht", sagt sie. "Es ist einfach eine unheimlich schöne Arbeit, mit der man Menschen helfen kann." Felzmann zahlt ihren 20 Mitarbeitern laut eigener Aussage "deutlich mehr als der Durchschnitt", auch weil ihr Vater als Betriebswirt die Verwaltung optimiert hat. "Aber auch wir können nur ausgeben, was wir einnehmen." Eingenommen wird überwiegend bei den Krankenkassen. Die Gesetzlichen zahlen ihr für 30 bis 45 Minuten Therapie 33,95 Euro. Privat kann etwas mehr abrechnet werden. Für einen Abschlussbericht gibt es gerade mal 70 Cent - "wenn der kompliziert ist, sitzt man aber daran auch mal eine Stunde", sagt Obermeier. Erschwerend sei zudem, dass sich die Kassen bei Formfehlern auf der ärztlichen Überweisung weigern, zu bezahlen. "Etwa die Hälfte der Rezepte muss ich erstmal an den Arzt zurückschicken, sonst bekommen wir hinterher kein Geld", klagt sie. "Dieser extreme Druck, unter dem wir stehen, geht letztendlich zulasten der Patienten, die bis zu einem halben Jahr auf einen Termin warten müssen". Die prekäre Situation der Therapeuten ist mittlerweile in der Politik angekommen - auch weil die Betroffenen vor rund einem Jahr begonnen haben, kräftig zu trommeln. Unter dem Slogan "Therapeuten am Limit" etwa haben sich viele zusammengeschlossen und mit Brandbriefen, Kreideaktionen sowie einer Fahrradsternfahrt nach Berlin auf die Umstände aufmerksam gemacht - mit Erfolg.

Sind Blanko-Verordnungen und eine einheitliche Bezahlung die Lösung?

So schrieb sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Verbesserung der Lage auf die Fahne. Unter anderem soll die Verhandlungsposition der Therapeuten gegenüber den Kassen gestärkt und eine bundesweit einheitliche Bezahlung vereinbart werden. Bisher verhandeln die Berufsverbände in jedem Bundesland einzeln mit den Kassen. Zudem soll die Blanko-Verordnung kommen. Der Therapeut könnte dann nach der Überweisung vom Arzt situativ entscheiden, welche Therapie nötig ist. Eine weiterer Plan der Bundesregierung: Abschaffung des Schuldgelds. Bayern hat hierzu im September 2018 angekündigt, private Schulen, die auf Schuldgeld verzichten, ab dem zweiten Halbjahr 2019 finanziell zu unterstützen. Laut einer Sprecherin des Kultusministeriums sind noch Details zu klären, Summen und genaue Termine konnte sie nicht nennen. Die Branche reagiert mit gemischten Gefühlen. Michael Schiewack, Sprecher bei "Therapeuten am Limit" freut, dass das Thema "endlich in der Politik angekommen ist", doch die akuten Probleme ließen sich so nicht stoppen. Eine ausreichende Vergütung und gerechte Gehälter seien noch nicht möglich. Sein Verband plant weitere Aktionen. Auch Felzmann bewertet den Vorschlag eher vorsichtig: "Die Blanko-Verordnung wäre für uns genial", kommentiert sie. "Die einheitliche Bezahlung hingegen sehe ich kritisch, da hier keine regionalen Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten gemacht werden." Eine wirkliche Problemlösung ist auch für sie das Spahn-Paket nicht. "Wir werden sicher weiterhin Patienten abweisen müssen - und das fühlt sich jedes Mal an wie unterlassene Hilfeleistung." ( Elena Koene, dpa)

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