1 abonnement et 3 abonnés
Article

Essay: #MeToo und die Höllenweiber

Essay: #MeToo und die Höllenweiber

Echte weibliche Selbstbestimmung braucht Frauen, die sich nicht an Männern orientieren

#MeToo und die Höllenweiber

Echte weibliche Selbstbestimmung braucht selbstbewusste Frauen, die
sich nicht an Männern orientieren

Von Stefanie Maeck, ZEIT Wissen, 17.08.2018

Reicht es wirklich aus, ein paar Grapscher in den Sendeanstalten oder auf dem roten Teppich anzuklagen? Reicht es, Narzissten vom Schlage Harvey Weinsteins zu stürzen, um wirklich etwas an Machtgerüsten der Gesellschaft und der Position der Frau darin zu ändern? Um nachhaltig zu sein? Genügt die weibliche Kritik, Anzeige und natürlich Solidarität, die mit der Position #MeToo in die Welt geschrien wird?
Ich glaube, das Problem sitzt tiefer. Natürlich war der Hashtag-Feminismus wichtig als erster Schritt. Es fiel ein Licht auf sexuelle Gewalt und deren Ausmaß. Doch all das greift nicht die Fundamente an. In der Essenz ist diese mediale Aufregung und digitale feministische Position nicht kreativ; Frauen, die sich auf männliches Fehlverhalten fixieren, sind reaktiv. Ein solcher Protest folgt einer Logik von Reiz und unmittelbarer Reaktion auf männliches Fehlverhalten wie ein Pawlowscher Hund, der auf den Glockenton reagiert. Diese Position ist fixiert auf Männlichkeit in ihrer negativen Ausprägung. Echte Weiblichkeit lässt sich aber nie rein relational zu Männlichkeit denken und gewinnen. Wer sich derart auf Männlichkeit fixiert, verplempert Zeit, um eigene, weibliche Werke in die Welt zu setzen und diese zu verändern. Der Hashtag-Feminismus agiert zu stark aus dieser Negativität heraus, die sogar zum Fixpunkt der weiblichen Selbstdefinition wird, jedoch nicht aus selbstbestimmter Weiblichkeit und Positivität, aus eigenen Zielen heraus. Er ist reflexhaft täterfixiert. Und bleibt damit immer im Dunstkreis des Opfers.
Schauen wir in die Kulturgeschichte, die uns prägt mit ihrem Reservoir an Bildern. Es sind Bilder, die sich in unser Gedächtnis, in unsere Seele gebrannt haben. Hier dominiert seit je der männliche Blick. Neulich diskutierte ich mit einem Regisseur über den Film Jules und Jim von François Truffaut. »Was fällt Ihnen ein?«, rief er. Darin gehe es doch um Hippietum und freie Liebe: drei Freunde, die sich lieben, total bohememäßig und entzückend. Schaut man genauer hin, dann wird die weibliche Heldin Catherine wie eine Figur zwischen Jules und Jim hin und her geschoben, die sich wie die Oberchauvis generieren. »Nimm du sie«, heißt es im Werk tatsächlich. Dafür wird die Heldin der Dreiecksliebe kräftig idealisiert, als Höllenweib und Femme fatale aufs Podest gehoben, eine Göttin, nur irgendwie rätselhaft, auch in ihren Wutausbrüchen. Ein Objekt männlicher Fantasien, über Frauen nach Belieben zu verfügen. Was dem Film fehlt, ist die weibliche Erzählstimme, die der Frau Kontur verliehe, sie zur eigenen selbstbestimmten und glaubwürdigen Figur machte.
Selbst emanzipierte Freundinnen hängen sich das Poster zum Film mit dem süßen Ringelpulli ins Wohnzimmer und sprechen von der idealen Liebe jenseits von Konventionen, gar von sexueller Befreiung.
Der Blick, der die Frau in unserer westlichen Kultur definiert, ist männlich. Schon lange. Frauen sind es gewohnt, sich definieren zu lassen, so sehr, dass auch Frauen diese subtile Gewalt scheinbar in kulturellen Werken gar nicht als störend registrieren. Um etwas nachhaltig zu ändern, braucht es daher eine weibliche Definitionsmacht, einen eigenen Blick, eine weibliche Position und Stimme. Und die kann sich nie aus einem reinen Dagegensein entwickeln.
Jüngst hat die Psychologin Sarah Konrad Ähnliches für die Erotik aufgegriffen. »Sie ist gut im Bett, wenn sie will, was er will«, lautet einer der Kernsätze ihres neuen Buchs, in dem sie das erotische Selbstverständnis junger Mädchen heute beschreibt. Auch hier definiert sich Weiblichkeit vom Mann, vom männlichen Begehren her. Wenn sie seiner Definition von Erotik folgt, dann ist sie gut im Bett.
Wenn eine kulturelle Logik nur nach männlichen Regeln und Definitionen funktioniert, dann ist es an der Zeit für echte Höllenweiber, und zwar nicht für solche, die alte Männer in ihren wildesten Träumen fantasieren – sondern für deren entfesselte weibliche Kreativität. Für Frauen, die ihre eigenen Geschichten von der Liebe und der Welt erzählen, die sich reiben an Männern, aber endlich auch in die Poleposition gehen.
Hat #MeToo das Zeug, diese Stimme zu sein? Zu sagen, was man nicht will, ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Selbstdefinition. Aber die Stimme von #MeToo erschöpft sich bislang weitgehend in reiner Negativität und Anklage. Ich glaube, dass wir Frauen unsere Zeit nicht mit Analysen männlichen Fehlverhaltens verbringen sollten, sondern damit, eigene Werke in die Welt zu setzen – diese werden unsere Kultur nachhaltiger verändern als die Analysen der alten weißen Männer. Einige dieser Männer sind eh so mit ihrer Grandiosität beschäftigt, dass wir leicht an ihnen und ihrer Selbstgefälligkeit vorbeirauschen könnten.
Es braucht mehr souveräne, selbstbestimmte Weiblichkeit im Denken, auf der Leinwand, in den Zeitungen, Magazinen und im Leben. »Time’s up«: Das sollte weniger für den roten Teppich gelten, weniger für Erziehungsfragen von übergriffigen mächtigen Männern, sondern für das Fehlen weiblicher großer Werke.
Die Zeit des Neudenkens und des Neuverhandelns, was zwischen Männern und Frauen okay ist, beginnt gerade erst. Und sie beginnt, indem Frauen eigene Werke schaffen. Wenn Frauen andere Frauen in anderen Rollen zeigen, wird sich nicht nur die Ästhetik langsam ändern, sondern auch die Realität – statt nur auf männliche Regisseure und deren Übergriffe zu reagieren, beginnen Frauen zu kreieren. #MeToo richtet den Blick zu sehr auf den Mann – und vergibt damit die Potenziale weiblicher Kraft. Wer nur auf männliches Fehlverhalten stiert wie die Maus auf die Schlange, baut kein eigenes Imperium auf. Er ist reaktiv und nicht kreativ – ein Buchstabe, der die (Geschlechter)-Differenz herstellt.
Natürlich war es richtig, in einem ersten Schritt das Ausmaß des Missbrauchs ans Licht zu holen und aufzubegehren, aber anstatt nun auf weiteres Fehlverhalten zu lauern, ist es Zeit, die Gestalterrolle zu übernehmen. #MeToo denkt Frauen viel zu klein, viel zu sehr im Opfermodus, da gebe ich der Publizistin Svenja Flaßpöhler recht. Ich auch, ich auch, schallt es: Ich bin auch ein Opfer. Flaßpöhler hatte darauf aufmerksam gemacht, dass #MeToo eher ein Bild von schwachen und schutzbedürftigen Frauen verfestige, die vor männlicher Sexualität zu schützen seien, als dass es an selbstbestimmte, potente Frauen erinnere.
In der ständigen Wiederholung und Anklage sexualisierter Gewalt verfestigt #MeToo paradoxerweise ein Bild weiblichen Opfertums in den Köpfen, statt es aufzubrechen. Die Feministin und Soziologin Judith Butler hat dies in ihrer Schrift Haß spricht analysiert. Im Zitat einer Gewalttat vor Gericht reinszeniert sich demnach paradoxerweise die Gewalt und macht das Opfer im Modus des Zitats ein zweites Mal und erneut zum Opfer. Wollen wir das? Zeigt das die fruchtbare Zukunft an?
Aus der Psychologie wissen wir, dass am Anfang Licht auf Gewalt und Missbrauch fallen muss – doch erst im Loslassen von Gewalt findet wirklich Selbstermächtigung statt. Und erst diese schafft Raum für Kreativität und eigene Wege und Werke, die aus Freiheit und eben nicht aus Reaktivität entstanden sind. Veränderung geschieht aus Positivität und Souveränität, nicht aus Negativität. Ein derzeit spürbarer »Geist der Rache«, wie ihn Friedrich Nietzsche beschrieb, ist selbst unfrei und mündet in der Wiederholung und Verfestigung der angeprangerten Verhältnisse. Frauen sollten, um das »next level« im Geschlechterverhältnis zu erreichen, weder als Opfer noch als Täter, sondern aus weiblicher Freiheit agieren. Ist dies eine zu privilegierte Sichtweise? Eine für Publizisten, Autorinnen und Künstler? Ästhetisch und abgehoben? Kreativität ist, glaube ich, auch im Kleinen und im Alltag möglich. Ein Tagwerk muss kein Kunstwerk sein, sondern kommt in vielen kleinen, auch banalen Gesten zum Ausdruck. Autorinnen, Filmemacherinnen, Regisseurinnen, Politikerinnen, Kassiererinnen, Verkäuferinnen, Erzieherinnen, Tierpflegerinnen, Modeschöpferinnen, Blumenhändlerinnen, Mütter und was Frauen sonst noch alles sind und sein wollen, können Kultur und Weiblichkeit umdefinieren; sie brauchen Zeit, damit unsere kulturelle Logik sich langsam verändern kann – durch eigene Taten – und wir Geschichten wie Jules und Jim nicht mehr einfach zauberhaft finden, sondern nach neuen Rollen verlangen.
Wir sollten neu, rasant und weiblich von der Liebe, vom Leben und von Männern und Frauen reden. Könnten wir nicht Werke schaffen, die das Wort Höllenweibtum verdienen?
Echte weibliche Selbstbestimmung denkt vom Selbst her, nicht vom Mann und seinen Taten. Sie ist bei sich und nicht reflexhaft ausgerichtet auf den Mann. Sie ist selbstdefiniert und selbstdefinierend. Diese Haltung ändert alles.
Das System der Geschlechterfrage wird sich erst verändern, wenn Frauen sich vom Fundament her neu einschreiben in die Geschichte. Nicht als Opfer, nicht als Täter, sondern als Gestalter, als Souverän. Wir können mit #MeToo nicht auf der Stufe des Missbrauchs und der Gewalt stehen bleiben. In Aussicht stünde vielmehr eine Utopie, in der sich Männer und Frauen frei und souverän begegnen – und keiner die oder den anderen zum Opfer oder Täter stilisiert. Ein langer Weg. Und eine echte Aufgabe. —