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Generation Einskommafünf - eine Videoinstallation

© Dörthe Krohn

Von der Künstlerin gewollt ist der Effekt der Gleichzeitigkeit. Aus allen Fernsehern erzählen Frauen und Männer der Generation Einskommafünf ihre Geschichten, was zu einem Stimmengewirr im Raum führt. Erstmals gezeigt wurde die Videoinstallation im Mitte Museum Berlin. 2012 erhielt Olcay Acet für „Generation Einskommafünf“ den 2. "Preis für Bürgersinn an Brückenbauer zwischen den Kulturen" - CITOYENNE. reinMein, die überlokale Zeitschrift, bereichtete im Oktober 2011 von dem Projekt, das damals im Entstehen war.

Das Kunstprojekt von Olcay Acet aus Frankfurt am Main befasst sich aus einer neuen Perspektive mit dem Thema Integration und hat vor allem Migrantinnen und Migranten aus der Türkei im Blick, denn hier wurde die Künstlerin geboren. „Die Generation Einskommafünf ist für mich die Generation, die in der Türkei geboren ist, aber später von ihren Eltern nachgeholt wurde, im Kindesalter, nicht im Erwachsenenalter. Die Generation Einskommafünf ist in Deutschland aufgewachsen, aber nicht in Deutschland geboren", erklärt sie. Als sie anderthalb Jahre alt war, ging ihre Mutter 1973 nach Deutschland, was ungewöhnlich war, denn meist verließen zuerst die Männer ihr Heimatland. Zwei Jahre nach seiner Frau emigrierte ihr Vater. Olcay Acet zog erst als sie neun Jahre alt war nach.

Zunächst wollte Olcay Acet, die Erfahrungen als Regieassistentin hat, einen Dokumentarfilm drehen. Weil es jedoch viele Vertreterinnen und Vertreter der Generation Einskommafünf gibt und nicht alle Raum in einem Film hätten, entschloss sie sich zu einer Videoinstallation.

Olcay Acet führt Interviews mit Frauen und Männern der Generation Einskommafünf.

Ihre eigenen Fragen: "Wohin gehöre ich, bin ich Deutsche mit deutschem Pass, bin ich Türkin mit deutschem Pass, bin ich dazwischen, bin ich beides (der türkische Staat hat mich nicht ausgebürgert), welche Rolle spielt die Migration in meiner Entwicklung?"

„Solange diese Themen nicht angesprochen werden, kommt die Integration nicht voran. In allen Generationen muss noch etwas verarbeitet werden, ansonsten werden die Probleme vererbt." Insbesondere für die Generation Einskommafünf ist das Trennungsthema ein großes, vor allem die Trennung von Mutter und/oder Vater als Bezugspersonen. Aber auch die spätere Trennung von den Bezugspersonen, die die Erziehung in der Türkei vorübergehend übernommen hatten (z.B. Großeltern, Tanten, Onkels), von Freundinnen und Freunden, die in der Türkei zurückblieben, als die Kinder oder Jugendlichen ihren Eltern nach Deutschland hinterher zogen.

Olcay Acet fühle sich äußerlich integriert und werde auch von anderen als integriert angesehen, aber innerlich sei sie es nicht vollständig. Sie fühle sich mit dem „Deutschen" nicht immer verbunden. Es seien beispielsweise Gedanken aufgetaucht wie „Deutschland hat mir meine Eltern weggenommen. Und Deutschland wollte mich nicht, denn Deutschland wollte Menschen, die arbeiten."

1961 schloss die Bundesrepublik das Anwerbeabkommen mit der Türkei (im Oktober 2011 vor genau 50 Jahren). Die angeworbenen Türkinnen und Türken sollten nur vorübergehend in Deutschland arbeiten. Eine Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsland, den Traditionen und Religionen der sogenannten „Gastarbeiter" (erste Generation) wurde damals nicht als notwendig erachtet, da sie im wirtschaftlichen Krisenfall in ihre Heimat zurückkehren sollten. Es gab keine Überlegungen, geschweige denn Planung einer dauerhaften Ansiedlung der Zuwanderer. 1973 wurde die Anwerbung gestoppt.

Warum hat die deutsche Politik offenbar kaum einen Gedanken daran verschwendet, was die Trennung für die Betroffenen bedeuten kann? Dem deutschen Kleinfamilienbild der 50er und 60er Jahre steht gegenüber, dass man von Familien eines anderen Landes erwartet, sich zu trennen. Warum hat die Türkei das Anwerbeabkommen unterzeichnet?

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Erziehungswissenschaften hat den Eindruck, dass es vielen Türkinnen und Türken, die im Rahmen des Anwerbeabkommens nach Deutschland kamen, finanziell und was das Arbeitsangebot betraf, gar nicht so schlecht ging in der Türkei. Warum haben sie dennoch ihre Familien zurückgelassen? „Den Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen", ist eine häufig genannte Begründung für den Schritt, die Kinder zurückzulassen. Dann wäre für eine wirtschaftliche Verbesserung allerdings ein hoher Preis bezahlt worden.

Wichtig ist Olcay Acet, dass sie die Aussagen der Interviewpartnerinnen und -partner nicht bewertet. Sie schafft einen Raum für Mitteilung. Zunächst werden fünfzehn Menschen ihre Geschichte und ihre Themen in einem eigens für sie aufgestellten Fernsehgerät erzählen. Fünfzehn Geschichten laufen in fünfzehn Fernsehern aus allen technischen Epochen seit 1961. Entscheidend ist, dass die Protagonistinnen und Protagonisten aus ganz Deutschland sprechen dürfen und ihnen zugehört wird. „Sie haben alle eine ganz eigene persönliche Geschichte, aber gehören alle einer Generation an und haben gemeinsame Themen. Das ist für mich wie ein Chor." Wiederum soll kein „Nenner" übergestülpt werden.

Das Projekt bietet eine wichtige Austauschmöglichkeit innerhalb der Generation Einskommafünf, zwischen den Generationen und kann wachsen. Acet wünscht sich, dass die Ausstellung auch in die Türkei wandern wird. In Frankfurt hofft sie auf einen Start und entsprechende Unterstützung von Politik und Kultur.

Acet sieht die Entwicklung der Integration augenblicklich eher rückschrittlich. Insbesondere türkischen Migrantinnen und Migranten kommen überwiegend problembehaftet in den Integrationsdebatten und in den Medien vor. Mit ihrer Installation möchte sie ein Bewusstsein für die Themen der Generation Einskommafünf schaffen, die sowohl Türken als auch Deutsche etwas angehen. Solange die Verarbeitung der Trennungs- und anderer Migrationserfahrungen nicht stattfindet, und zwar als kollektive Aufgabe, bleibt die Integration schwierig.

„Die bessere Zukunft liegt woanders - diesen Gedanken haben mir letztlich meine Eltern vererbt. Ich dachte nicht, dass ich immer in Deutschland bleiben würde", so die zweifache Mutter. Mittlerweile hat sie sich zum Bleiben entschieden. Nur fehlt ihr so etwas wie eine kollektive Empathie, ein Verständnis für das, was in den 60er und 70er Jahren den Menschen, die ihr Herkunftsland, ihre Familien verlassen haben, um in Deutschland zu arbeiten, und den Zurückgelassenen wiederfahren ist. Stattdessen hagelt es Vorwürfe, die Migrantinnen und Migranten täten dieses oder jenes nicht, um sich zu integrieren. „Ich lebe heute freiwillig in Deutschland, ich konnte mich trennen von meiner kindlichen Trotzreaktion, aber nicht, weil Deutschland mich willkommen geheißen hat, das hat es bis heute nicht, sondern weil ich persönlich die Entscheidung getroffen habe. Nur deshalb konnte ich endlich hier ankommen."

Das türkische Konsulat unterstützt Olcay Acets Projekt. Weitere Interviewpartnerinnen und -partner, KooperationspartnerInnen, Stiftungen und Sponsoren sind willkommen.

Webseite und Kontakt: www.ortada.de (Übersetzungen/Bedeutungen von „ortada" auf der Homepage) info@ortada.de

Text: Dörthe Krohn

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