Dass der Aufführungstermin in dieselbe Woche fällt wie die Antrittslesung von Dea Loher als neue Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim sei ein schöner Zufall, sagt Regisseurin Regina Busch. Sie habe schon seit langem ein Stück von Dea Loher auf die Bühne bringen wollen. So zufällig diese positiven Ereignisse nun zusammenfallen, so zufällig, aber in diesem Fall tragisch, gestalteten sich die Vorgänge am helligten Mittag des soundsovielten August vor wenigen Jahren in der inszenierten Geschichte.
Während die an Alzheimer erkrankte Oma Schraube, ihr Kissen fest umschlugen, wacker ihre Spazierrunden durch den Zuschauerraum dreht, füllt sich der Saal mit Publikum. Das Leben von Oma Schraube, des Ehepaars Schraube, der Polizistin Edna, von Karoline, Olaf, Olafs Freund Peter und Zeuge Rabe hat sich am helligten Mittag des soundsovielten August, es war wohl der 19.8., vor wenigen Jahren, schlagartig verändert. Alle haben bereits ein Päckchen zu tragen, dann bringt der Unfalltod des Sohnes von Susanne und Ludwig Schraube das bereits angeschlagene soziale Gefüge am öden Stadtrand gefährlich ins Wanken. Der rasende „Koks-Vogel" Olaf, ohne Führerschein im Auto seiner Lehrerin Karoline unterwegs, wird von Edna verfolgt, die ihn für einen Attentäter hält. Der kleine Edgar rennt der Polizistin ins Auto und schon nach wenigen Minuten dreht der erste ab, nämlich der ortsfremde Unfallzeuge Rabe, ein ehemaliger Soldat. Der raspelt sich erst einmal die Fingerkuppen blutig.
Dea Loher bringt viele große Themen ins Spiel wie Alzheimer, Brustkrebs oder Arbeitslosigkeit. Der Umgang der einzelnen Figuren mit ihren Schicksalsschlägen ist eine differenzierte Studie, die von den Schauspielerinnen und Schauspielern des Regina Busch Ensembles in mitfühlenden Monologen und denkwürdigen Dialogen intensiv umgesetzt wird. Alle Charaktere haben ihre jeweils eigene Strategie entwickelt, das Leben im Griff zu behalten, u.a. mit frei klettern, malen oder in scheinbar heilvollen Beziehungen, und sich so ein bisschen Glück zu ergattern. So wie Ludwig, der mit großer Freude Lotto spielt, um den bezahlten Lottoschein regelmäßig in einem Mülleimer im Park abzulegen, in der Hoffnung, dass ihn zufällig jemand findet und damit gewinnt. Oder wie Peter, überzeugend gespielt von Karin Flaake, ein treuer Kumpel, der immerhin Hund Humboldt einen Job verschafft.
Alle Rollen greifen im Wechselspiel auch vom Bühnenrand aus regelmäßig in die Erzählung ein. Das Bühnenbild ist bis zum Schluss beständig, der Haufen mit Unrat durchzogener Pflastersteine wie ein Mahnmal des schrecklichen Ereignisses. Nichts Gutes lässt ein Strick mit Haken erahnen, der von der Decke baumelt. Die „Auflösung" des manchmal atemlosen Stücks ist schließlich eine Abfolge von kaum begreifbaren Erschütterungen. Die Theatergruppe um Regisseurin Regina Busch bringt mit ihrer „Das letzte Feuer"-Inszenierung zum vierten Mal seit Ensemble-Gründung 2008 ein Stück zur Aufführung. Es spielen ausgebildete, semiprofessionelle und Amateur-Schauspielerinnen und Schauspieler zusammen.
Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Dea Loher erhielt für ihr Werk „Das letzte Feuer" in seinem Uraufführungsjahr 2008 bereits zum zweiten Mal den Mülheimer Dramatikerpreis. 2013 wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Vor zwei Wochen hielt Dea Loher ihre Antrittsrede als neue Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim im Rahmen des Volksfests Berger Markt. Am 17. September fand ihre Antrittslesung in der Nikolauskapelle in Bergen-Enkheim statt. Das symbolische Stadtschreiber-Amt ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro verbunden und ein Jahr lang steht Dea Loher nun, wie ihren zahlreichen Vorgängerinnen und Vorgängern, das „Stadtschreiberhaus" in dem Frankfurter Stadtteil kostenfrei zur Verfügung. Der Preis wurde erstmals 1974 an den Schriftsteller Wolfgang Koeppen vergeben, Festredner war Marcel Reich-Ranicki. Seit dem gastierten u.a. Peter Härtling, Peter Rühmkorf, Ulla Hahn, Eva Demski, Herta Müller und zuletzt Angelika Klüssendorf im Haus An der Oberpforte.Text: Dörthe Krohn
reinMein-Rezension zu "Bernarda Albas Haus", der ersten Inszenierung des Regina Busch Ensembles: Selbstbeschränkung in patriarchalischen Strukturen