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Verborgenes im Kunstturm Mücke bergen

Rattenvolk, © Susanne Walter

Ein Rattenvolk aus Ton hat sich im Kunstturm Mücke eingenistet. Schöpferin Susanne Walter hat sich speziell für diese Ausstellung mit der Spezies auseinandergesetzt und 18 Ratten-„Persönlichkeiten" modelliert. Dass diese kleinen Nager eine Persönlichkeit haben, darauf hat sie eine Begegnung mit einem lebendigen Ratten-Pärchen gebracht. „Ich hatte nicht erwartet, dass diese Tiere so eine Mimik haben und schon gar nicht, dass sie mit mir als Mensch kommunizieren", so die Charakterdesignerin. „Sie repräsentieren nicht einfach ihre Art, wie beispielsweise Kaninchen mit einer ritualisierten Gestik, sondern das zahme Rattenpaar wirkte auf mich wie ein altes Ehepaar, bei dem jede Ratte seine individuelle Rolle hat."

Jedes einzelne Ratten-Individuum, ob tote Ratte oder neugeborene Ratte, die noch geschlossene Augen hat, ist eine differenzierte Körper- und Bewegungsstudie. Susanne Walter hat ihre ganze Kunstfertigkeit angewandt, um den tierischen Ausdruck der Ratten in dem schamottierten Ton hervorzubringen. Die Darstellung einer vermenschlichten Mimik wie beispielsweise bei der Zeichentrickfigur in „Ratatouille", habe sie nicht interessiert. Sie wollte das Tierische der Ratte zeigen. Susanne Walter stellt unter anderem Personenporträts aus Modelliermasse für Trickfilme her. Ihre Arbeitsweise dabei hat sie auf die Tierdarstellungen übertragen, mit der künstlerischen Freiheit, keine Vorgaben von einem Auftraggeber zu haben. Viele Rattenfotos betrachtete sie für die Rattengestaltung und schuf innerhalb von zwei Monaten ihr Ensemble für den ehemaligen Erzverladeturm, heute Kunstturm.

„Hört man meine Begeisterung, wenn ich darüber spreche?", fragt sie. Die Arbeitsweise von Susanne Walter ist prozesshaft und intuitiv. Am Beginn steht sie wie am Fuße eines dicken Baumes, den sie erklimmen möchte. Die Möglichkeiten, hochzuklettern, sehen von unten zahlreich aus, doch bald erweisen sich die ersten dicken Äste als Sackgassen. Auf dem Weg zum Ziel ergeben sich immer neue Möglichkeiten und müssen Entscheidungen getroffen werden (bezogen auf das Modellieren der Ratten beispielsweise: nehme ich an dieser oder jener Stelle den Spachtel oder lieber die Finger). Das Ziel ist ein stabiler Zweig in der Baumkrone, auch wenn er dünn ist (weil sich letztlich nur ein, zwei Möglichkeiten als patent erweisen), eine befriedigende Version des Objektes, in diesem Falle die möglichst weitgehend realistische Annäherung an eine lebendige Ratte. Lohn ist die Freude darüber, die darstellerischen, technischen Möglichkeiten voll ausgeschöpft zu haben.

Ausstellungspartnerin Bea Emsbach, ebenfalls Frankfurterin, hat ihre Kolbenfülleraquarelle nach Mücke gebracht. „Ereignisse im Schatten – bergen und verbergen" nennt sie ihre Serie. Auch sie ist der Verfeinerung, der Differenziertheit auf der Spur, hat sich jedoch thematisch auf die Darstellung von Menschen spezialisiert. „Ich bin Bea Emsbach mit meinem Rattenthema ein bisschen wie ein Kulturfolger* hinterhergegangen", scherzt Susanne Walter. Sie hatte ihr Thema für den Kunstturm spontan gefunden und eher nach pragmatischen Gesichtspunkten gewählt, da ihre Zeit knapp bemessen war. Erst hinterher seien ihr und Bea Emsbach die Bezüge der an sich sehr unterschiedlichen Kunstwerke deutlich geworden – das Verbergen und die Ereignisse im Schatten, anthropomorphe (vermenschlichte) Pflanzen und Protagonisten und animistische Tierdarstellungen.

Bea Emsbach kann bereits auf eine lange Ausstellungsliste im In- und Ausland verweisen, erhielt Preise wie 2003 einen der Darmstädter Sezession, 2004 den Maria Sybilla Merian Preis des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, 2006 den AMI Award für Zeichnung der Stadt Linz, 2007 einen der Künstlerhilfe Frankfurt sowie einige Stipendien, u.a. für Wien, Seoul und Venedig.

Beide Künstlerinnen studierten an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, Susanne Walter mit den Schwerpunkten Malerei und Bühnenbild. Von 1986 bis 1997 arbeitete Walter als Bühnenbildnerin, Beleuchterin und Regisseurin von zeitgenössischen Musiktheatern im In- und Ausland. 1997 begann ihre Zusammenarbeit mit der Trickfilmproduktionsfirma Clayart, zunächst als Modell- und Figurenbauerin, später auch als Illustratorin und Ausstattungsleiterin. Seit 2005 arbeitet sie u.a. in der Theaterschule „Bohnus" als Kursleiterin. Im Kunstturm Mücke hatte sie schon 2010 im Rahmen der Ausstellung ERZART 2 ihre Installation Siedlung präsentiert.

Susanne Walter ist sehr angetan von der Architektur des Kunstturms Mücke, dennoch kann sie sich die Wirkung eines noch größeren Rattenvolks gut vorstellen und arbeitet daran. Der Kunstturm wäre dafür aber nicht geräumig genug. „Der verniedlichende Blick wird noch unmöglicher, wenn das Rattenvolk größer ist. Das wird dann schon beunruhigen." Ratten haben ja nun auch nicht bei allen Menschen einen leichten Stand.

Die Ausstellung läuft noch bis 26. Juni und ist jeweils sonntags zwischen 14 und 17 Uhr geöffnet. Weitere Infos: www.kunstturmmuecke.de Der Kunstturm Mücke befindet sich zwischen den beiden Ortsteilen Merlau und Nieder-Ohmen, gegenüber von Hallenbad und Gesamtschule. Bitte nicht direkt am Kunstturm parken, an der Schule befinden sich genügend Parkplätze. Der Eintritt ist frei.

* Kulturfolger nennt man Tiere, unter anderem einige Rattenarten, die dem Menschen in seine Kulturlandschaft, beispielsweise Behausungen, folgen und sich ihnen anschließen. Besonders in Großstädten finden Wanderratten ideale Bedingungen vor. In New York soll es doppelt so viele Ratten wie EinwohnerInnen geben.

Text: Dörthe Krohn
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