Hans Neuenfels Operninszenierung der Penthesilea ist in der Oper Frankfurt zu sehen. Othmar Schoeck (1886 – 1957) komponierte die Musik zu Texten aus dem Trauerspiel Heinrich von Kleists (1777 – 1811).
Heldenmythen gab es nicht nur in der Antike. Das griechische Heer unter der Führung von Achilles tritt als eine Gemeinschaft von Westernhelden, Zorro, Pionieren der Luftfahrt, Pirat, Scheich, Großwildjäger, Torero und Gangstern auf die Bühne. Die Amazonen dagegen, wenig individualistisch, uniformiert in langen Armeemänteln, greifen in den trojanischen Krieg ein. Mit gespanntem Bogen ziehen sie wie ein Schwarm Vögel durch die Geschehnisse hindurch. Der Grieche Achilles und die Amazone Penthesilea verlieben sich auf dem Schlachtfeld ineinander.
Doch die individuelle Partnerwahl ist den Amazonen untersagt. Gott Mars wählt für jede Amazone den Mann aus, den sie im Kampf bezwingen muss. Sie schläft mit ihm, um schwanger zu werden. Ein männliches Baby wird getötet, ein weibliches zur Amazonenkriegerin erzogen. „Der ersten Mütter Wort entschied es" so. Es kommt zum Duell, bei dem Penthesilea von Achilles verwundet wird. Die Amazonen-Schwestern raten dem verliebten Achilles, sich der in Ohnmacht gefallenen Penthesilea gegenüber als Besiegten und Gefangenen auszugeben.
Ein Liebesduett auf einem Schimmel; Amazonen sollen einer Überlieferung nach die ersten Pferde gezähmt haben. Ein nebenstehendes Klavier dient Achilles als Aufstiegshilfe. Das Duett hatte Schoek eingeführt, um dem atemlosen Kampf eine Pause zu gönnen, nachdem die Resonanz auf die Opernuraufführung am 8. Januar 1927 schwach war. Eine kurzweilige Harmonie, die im Wort „uns" ihren Höhepunkt findet, weil die Stimmen übereinanderliegen, doch die beiden sitzen Rücken an Rücken, wollen nicht in dieselbe Richtung. Er will, dass Penthesilea mit ihm geht, sie soll ihm sogar einen männlichen Gott gebären. Sie will aber nicht. Man ahnt – das geht nicht gut.
Achilles selbst deckt den Schwindel seiner angeblichen Unterlegenheit auf. Für Penthesilea ein unlösbarer innerer Konflikt, doch sie lässt Achilles frei, zieht damit allerdings den Ärger der siegreichen Amazonen auf sich und verliert ihre Königswürde. Achilles fordert Penthesilea zu einem erneuten Kampf heraus, will ihr aber waffenlos gegenübertreten, damit sie ihn besiegt und die beiden sich endlich vereinen können. Penthesilea missversteht seine Absicht, denkt, er will ihre geschwächte Position ausnutzen, und verbeißt sich im wahrsten Sinne des Wortes in ihm. Mit ihren Hunden zusammen zerfleischt sie den Geliebten. „Küsste ich ihn tot?" „Küsse, Bisse, das reimt sich." Penthesilea bricht tot über ein paar Koffern zusammen, in denen sie mutmaßlich die Leichenteile aufbewahrt. „Sie stirbt! Sie folgt ihm, in der Tat!"
Der Geschlechterkampf findet seine musikalische Übersetzung in der Partitur von Hartmut Becker und Mario Venzago. Das Orchester ist nur mit wenigen Geigen, aber vielen Bratschen, Cellos und Kontrabässen besetzt. Neben den Schlaginstrumenten unterstreichen Holz- und Blechbläser (allein zehn Klarinetten), sowie zwei Klaviere den tragischen Liebesreigen. Nach anderthalb Stunden Opern-„Sturmwind" (Schoeck) ohne Pause fühlt sich auch das Publikum mitgenommen – in jeglicher Hinsicht. Mitgerissen in den Abgrund aus zerfleischender Begierde, erotischen Funken, die durch vorläufige Entsagung bis zu einem lodernden Vulkan gedeihen, hingerissen von der Originalität der Oper. War es eine Einbildung oder färbte sich tatsächlich das Wasser rot, als es in Achilles Glas eingegossen wurde?
Er will sie besitzen, sie muss ihn besiegen. Penthesilea verliebt sich in Achilles, weil er ein Held ist. Doch der Ritter nimmt seinen Schutzpanzer ab, bereit, sich ihr hinzugeben. Das ist ihr wiederum nicht geheuer, denn sie wollte Achilles, den Eroberer. Und er, nimmt er sie denn nicht als ebenbürtige Gegnerin ernst, wenn er unbewaffnet kommt? „Wie kam es denn, dass er sich nicht gewehrt?" Beide Liebenden haben ihre jeweiligen „Stämme" im Rücken, in einem guten Sinne, aber auch als Zwang. „Steh, stehe fest, wie das Gewölbe steht, // Weil seiner Blöcke jeder stürzen will!// (...) Und lass dich bis zum Fuß herab zerspalten, // Nicht aber wanke in dir selber mehr", so die Worte der Prothoe. Die Gesetze der Gemeinschaft sind unumstößlich, die Liebe zu einem Mann hat in der Welt der Amazonen keinen Platz. Auf Achilles Seite ist das Patriarchat auf seine Weise wirkmächtig.
Penthesilea wird von der Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner gesungen, die am Premierenabend in Frankfurt Jubelrufe erntete. Sie sang auch die Titelpartie, als die Neuenfels-Inszenierung am 3. November 2007 ihre Uraufführung in Basel hatte. Bariton Simon Neal gab am 4. September 2011 als Achilles sein Rollendebüt in Frankfurt. Besonderheiten des Operneinakters sind die vorwiegend rezitativisch geführten Singstimmen: Marion Ammann als Prothoe, Britta Stallmeister als Meroe und Katharina Magiera als Oberpriesterin der Amazonen sind zumindest inhaltlich tonangebend gegenüber den männlichen Achilles-Begleitern Diomedes, gesungen von Guy Mannheim und dem Herold, Dietrich Volle. Schauspielerin Oda Pretzschner spricht als Oberste einen kleinen Teil des Kleist'schen Textwerks, was der Verständlichkeit entgegenkommt. Die Übertitel sind leider nicht von jedem Stuhl der Frankfurter Oper aus zu lesen.
Musikalische Leitung: Alexander Liebreich
Weitere Vorstellungen: 8., 11., 15., 17., 23. September und am 1. Oktober, jeweils 19.30 Uhr.
Im Anschluss an die Vorstellung des 17. Septembers begrüßt Elke Heidenreich im Rahmen der Reihe "Oper lieben" Tanja Ariane Baumgartner, Sängerin der Titelpartie, Dr. Angelika Bierbaum, Programmchefin von hr2 Kultur und Alexander Liebreich, musikalische Leitung, im Holzfoyer der Oper.
Kartenservice der Oper Frankfurt
Text: Dörthe Krohn
Mehr über den Regisseur Hans Neuenfels: KURZUM: Neuenfels' Regiearbeit an der Oper Frankfurt