Wer es schafft, eine Stunde und 50 Minuten ohne Pause auf einem Stuhl zu sitzen, wird mit drei herausfordernden Erzählungen belohnt, herausfordernd für SchauspielerInnen und ZuschauerInnen gleichermaßen. Apropos Stuhl. Ein Sessel, eine Bank, ein Stuhl - das ist auch schon das ganze Bühnenbild. Der Schatten der jeweils berichtenden Person bleibt zumindest so lange an die Wand projiziert, solange die Wahrheit nicht im Raume steht, zumindest die subjektive Sicht der Protagonistinnen und Protagonisten auf sie. Sie haben getötet und die Begründungen ihrer Taten sind so zu Recht gerückt, dass sie eben noch von den Tätern und der Täterin selbst ausgehalten werden können. „Wir haben schon so viel falsch gemacht, dass sich das Falsche ganz in Ordnung anfühlt", wobei sich das Wir auf alle Mitbürgerinnen und Mitbürger bezieht. „Die Sterblichen, sie sind schuld." Drei tragische Geschichten, jede Menge Legitimierungsversuche, das Hoffen auf Verständnis und tatsächlich packt es die Zuhörenden an der einen oder anderen Stelle, die Täter und die Täterin als Opfer zu sehen. „Vielleicht ist es ja doch nicht unsere Schuld. Ich meine, wir sind schließlich nur Menschen, nicht?"
Der junge Familienvater, intensiv gespielt von Hendrik Pape, mit der Alleinversorger-Aufgabe im Nacken, ein Haus ist zu bezahlen, hat Angst um seinen Job und steht dort unter Dauerdruck. Ist es da nicht erklärlich, dass er Dampf ablässt, indem er mit seinen männlichen Kollegen über die Frauen in seiner Firma herzieht? Und ist es letztlich nicht auch nachvollziehbar, dass er eine Lösung finden musste, um auf keinen Fall gefeuert zu werden? Leichte Musik umspielt die loungige Atmosphäre. Er ist sicher nicht die einzige kranke Seele in der an vielen Stellen kranken Gesellschaft, doch tatsächlich bringt er seine wenige Monate alte Tochter um, weil er denkt, dann habe er mit diesem Schicksalsschlag, den er als solchen verkauft, eine moralische Keule gegen seinen Arbeitgeber in der Hand. Er sieht zu, wie sie im ehelichen Bett unter der schweren Tagesdecke erstickt. Er hilft ihr nicht, ein bisschen hilft er sogar nach. Es hätte ja auch alles anders kommen können, wenn seine Frau früher nach Hause gekommen wäre oder, oder, oder. So war es Schicksal, eine natürliche Todesursache wird festgestellt. Er habe die Dinge wieder ins Lot gebracht. „Es war eine Gelegenheit, ich wollte sie mir nicht entgehen lassen. Das wäre sonst Verschwendung gewesen. (...) Wie ich schon sagte. Man lebt weiter."
Auch John, engagiert gespielt von Christoph Stein, bleibt juristisch unbehelligt. Mit seiner Freundin Sue, dargestellt von Nora Jokhosha, die 2011 übrigens in „What a man" unter der Regie von Matthias Schweighöfer mitspielte, und ein paar Freunden verbrachte er eine rauschende Ballnacht in der Stadt. Der perfekte Tag! Sie sah großartig aus in ihrem Ballkleid, John ist bis über die Ohren verliebt in Sue. Seine Ohren, die man nun wieder sieht, weil sein strenger und gläubiger Vater dem ordentlichen Studenten einmal mehr die Haare stutzen ließ. Sue brachte einen Apfel, eben eine Frucht mit auf die Bühne. Gott hatte Adam und Eva verboten Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. "Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß." (Genesis 3, 6) Sue geht an den Bühnenrand, beißt in den Apfel und John erzählt: Nach dem Fest war er noch einmal mit zwei Kumpels aus dem Hotel in den nahgelegenen Park gegangen. Gemeinsam töten sie einen Schwulen mit unfassbarer Brutalität. Er kenne die Gebote, schwul sein sei unrecht und der Homosexuelle sah in der Dunkelheit des Parks aus wie Johns Vater. Warum hat bloß niemand die grausame Tat mitbekommen?
Warum hat sie ihren Lehrer, der sie schon als 14-jähriges Mädchen missbraucht hat, nicht wenigstens umgebracht, warum nach den vielen Jahren den mittlerweile 14-jährigen, doch von ihr geliebten Sohn aus dieser unheilvollen Verbindung? Es ist kaum zu schaffen, für die junge Frau, brillant gespielt von Birte Hebold, nicht Mitgefühl zu haben. Wie sie auf dem Stuhl sitzt und ihre Hände knetet, als würde sie den Schmutz unter ihren Nägeln mithilfe eines anderen Fingernagels beseitigen. Die Knie fest zusammengepresst. Ihre einzige Requisite ist ein Tonaufnahmegerät, dem sie ihre Version erzählt. Im Gegensatz zu den anderen Morden wird ihrer entdeckt und damit auch das ganze Unrecht, das ihr Lehrer ihr einst antat, den sie aber über die Jahre immer noch verehrt hatte. Sie rächte sich auf ihre Weise, indem sie ihm den Sohn nahm, den er 14 Jahre lang nur aus ihren Briefen und von Fotos kannte. Bei ihrem ersten Treffen zu dritt, das auch als einziges geplant war, sah sie das Funkeln in seinen Augen beim Anblick seines Sohnes. Das Funkeln, weil er Kinder so sehr liebte... Da schmiss sie das Radio samt dem daraus säuselnden Billie Holiday-Song „Stormy Weather" ins Badewasser, das gerade ihren geliebten Sohn umspülte, der das Baden schon als Baby geliebt hatte.
„Bash – Stücke der letzten Tage" vom US-amerikanischen Autor, Dramaturg und Regisseur Neil LaBute wird von der Regisseurin Regina Busch und der Daedalus Company überzeugend umgesetzt. Da es keine Ablenkung gibt, kann sich die und der Betrachtende und Zuhörende vollkommen auf die Erzählungen, Zwischentöne, Schattierungen des Charakters, ihr oder sein Psychogramm, die Körpersprache, Interpretationen oder auch Identifizierungen konzentrieren.
Das Stück ist noch am 15. Januar sowie 27., 28. und 29. Januar 2012 im Gallus Theater zu sehen.
Weitere Infos in der reinMein-Vorankündigung sowie unter: www.daedaluscompany.de
Über Neil LaBute Das Stück „bash - stücke der letzten tage" wurde 2001 in der Kritikerumfrage von Theater heute zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt und unter der Regie von Peter Zadek am 6.5.2001 an den Hamburger Kammerspielen zur deutschen Erstaufführung gebracht. LaBute wurde 1963 in Detroit geboren. Nach dem Abschluss der Highschool erhielt er ein Stipendium für die Brigham Young University, einem Mormonen-College in Provo, Utah. Er wurde während seines Studiums Mitglied der Kirche der Mormonen. Später studierte er Film- und Theaterwissenschaft an der University of Kansas und New York, wo er auch das Sundance Institute`s Playwright`s Lab besuchte.
(pm der Daedalus Company)
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