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Die Macht des Achtecks

Klaus Augenthalers Entlassung in Nürnberg schien besiegelt - aber dann kamen die Fans, und plötzlich spricht keiner mehr von einem Trainerwechsel

Nürnberg. Klaus Augenthaler hat schon einiges durchgemacht in seinen Berufsleben als Fußballspieler und Trainer, aber so etwas, nein, „so etwas habe ich noch nie erlebt". Zehn Minuten, fünfzehn Minuten, fast zwanzig Minuten feierten gut fünftausend Fans des Bundesliga-Vorletzten 1. FC Nürnberg in der Fankurve ihren Trainer Klaus Augenthaler. „Ich war in der Kabine, da kam Manager Geenen zu mir und sagte: Die reißen die Zäune ein." Er ging also nach draußen in die Fankurve, griff ein Mikrofon und redete: „Ich weiß nicht, ob ich hier weiter arbeiten darf. Aber für euch würde ich es gerne tun."

Es war die erstaunlichste Wendung, die eine vorgezeichnete Entwicklung seit langem nahm.

Das 0:3 des gegen Hertha BSC war ein klares Zeichen der Mannschaft. Eigentlich nennt man so eine Spielweise „gegen den Trainer gespielt". Dazu verweigerten sich die Fans, sie pfiffen nicht mal, waren einfach nur still. Einige hockten sich sogar im Block nieder und übten den Sitzstreik. Dann diese zweite Hälfte, in der die Nürnberger zwar bemüht wirkten, aber nur besser spielen konnten, weil die Berliner sich in der Gewissheit ihrer technischen Überlegenheit weit zurückzogen und immer passiver wurden. Nürnberg aber war nach wie vor nicht bundesligatauglich. Die Durchsage des Stadionsprechers passte zur Stimmung: „Es wurde eine Dauerkarte gefunden. Wenn sie nicht absichtlich weggeworfen wurde, kann sie hier abgeholt werden." Und dann begann es. Mitte der zweiten Halbzeit wurde jede nicht ganz verunglückte Aktion bejubelt, immer wieder füllten die „Auge, Auge"-Gesänge das achteckige Frankenstadion und übertönten die Schmähungen der Hertha-Fans, die sangen: „Auge muss zum Arbeitsamt". Das nämlich schien beschlossene Sache, nachdem schon Präsident Michael A. Roth zu Anfang der abgelaufenen Woche mitgeteilt hatte, „dass andere Trainer in solchen Situation zurückgetreten" seien. Und dann diese willenlose Vorstellung einer Mannschaft, ein mitunter teilnahmsloser Trainer, der auf seinem gepolsterten Platz auf der Bank kauerte. Der Fall war klar.

Aber noch bevor die Fans mit ihrem beeindruckenden Plädoyer begannen, da stellte sich der Teppichhändler Roth hin, und sagte mit bemüht fester Stimme: „Es wird keinen Trainerwechsel geben. Wir werden mit Klaus Augenthaler weitermachen." Er ließ sich keine Hintertür offen.

Später wiederholte er diese Sätze im Fernsehinterview und nur einmal wich er ab von der Unterstützung für den Trainer: „Er arbeitet jetzt seit drei Jahren mit dem Manager zusammen und wir haben einen relativ schlechten Kader." Ein Tiefschlag. Er hätte den Trainer wohl gerne zum „freiwilligen" Rücktritt gedrängt, denn ein Entlassung kann sich der klamme Verein nicht leisten.

Vielleicht hätte ihm Augenthaler diesen Wunsch erfüllt. Aber dann waren da diese Fans. Und wenn Augenthaler tatsächlich noch die nächsten Wochen oder Monate im Amt bleibt, dann haben sie gezeigt, dass auch der gemeinhin vernachlässigte Teil des großen Fußballgeschäftes eine Macht hat. Zumindest hat es gestern im Nürnberger Achteck so gewirkt.

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