Lemgo hat 41.000 Einwohner*innen. Die beiden Forscher wollen alleine in der ostwestfälischen Kleinstadt 3.200 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) einsparen. Christian Thommessen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen und forscht am Lehrstuhl für Energietechnik. Für die Stadtwerke Lemgo hat er mit seinem Kollegen Nils Loose Software-Agenten für eine Abwasser-Wärmepumpe entwickelt. akduell-Redakteur Dennis Pesch hat mit ihm gesprochen.
ak[due]ll: Was macht der Software-Agent überhaupt?
Thommessen: Der Software-Agent ist einfach gesagt ein Computerprogramm, also ein Algorithmus, der nach bestimmten Vorgaben etwas regelt. Wie die Wärmepumpe betrieben wird, hängt zum Beispiel vom Wetter, Prognosen oder Messdaten ab. Wir messen die Temperatur im Becken eines Wasserklärwerks und sehen dann über den Software-Agenten, ob wir die Wärmepumpe laufen lassen können, um Wärme zu gewinnen. Oder anders herum: Wir erkennen im Winter, dass die Temperatur niedriger ist und müssen aufpassen, dass das Wasser durch das Abkühlen der Wärmepumpe nicht vereist.
Wenn die Bedingungen es zulassen, soll die Wärmepumpe möglichst viele Stunden im Jahr betrieben werden und dazu die Abwasser-Wärme nutzen. Der Software-Agent soll darüber hinaus dafür sorgen, dass auch der Strom, mit dem die Wärmepumpe angetrieben wird, aus erneuerbaren Energien oder möglichst effizient aus einem Blockheizkraftwerk kommt. Das können die Mitarbeiter einerseits selbst über den Software-Agenten entscheiden, andererseits soll der Agent sich aber auch so entwickeln, dass er das autonom regeln könnte.
ak[due]ll: Was ist neu an Ihrer Forschung? Geht es dabei um die Wärmepumpe oder um die Software?
Thommessen: Die Software ist natürlich der innovative Ansatz daran. Die Umsetzung bzw. Demonstration an der Wärmepumpe ist letztendlich das Forschungsprojekt. Es geht also weniger um die Abwasser-Wärmepumpe an sich, sondern mehr um die Betriebsoptimierung der Wärmepumpe hinsichtlich des Abwassers, das ein Wärmepotenzial hat, das derzeit nicht genutzt wird.
ak[due]ll: Das ist also quasi eine erneuerbare Energie?
Thommessen: Richtig.
ak[due]ll: 3.200 Tonnen CO2 einzusparen ist für eine kleine Stadt eine große Hausnummer. Was tragen die Abwasser-Wärmepumpe im Klärwerk und die Software-Agenten dazu bei?
Thommessen: Es gibt ein Fernwärmenetz und da wird Wärme aus unterschiedlichen Quellen eingespeist. Die Haushalte werden über das Netz schon versorgt. In Lemgo wollen sie die Wärmepumpe nun mit unserem Software-Agenten für die Grundversorgung nutzen. Derzeit werden dazu zum Beispiel Kesselanlagen benutzt, in denen Erdgas verbrannt wird. Und das ist natürlich keine erneuerbare Energie.
Die Wärme der Abwasser-Wärmepumpe ersetzt also das Erdgas. Wenn man das dann gegenrechnet, die Einsparung beim fossilen Energieträger gegenüber der Wärmepumpe, dann kommen wir auf 3.200 Tonnen CO2 Einsparung in einem Jahr. Diese Zahl resultiert im Schwerpunkt durch den Einsatz der Wärmepumpe an sich und zum Teil auch durch die mit Software-Agenten an vorherrschende Bedingungen optimal ausgeführte Betriebsweise.
ak[due]ll: Und damit sollen 1600 Haushalte versorgt werden?
Thommessen: Es profitieren alle Haushalte in Lemgo davon, die durch das Fernmwärmenetz versorgt werden. Es ist nicht so, dass die Abwasser-Wärmepumpe nur für einige Haushalte da ist. Ein Wärmenetz ist ein Rohrleitungssystem, das sich über weite Distanzen erstreckt, aber im Gegensatz zum Stromnetz örtlich begrenzt ist. Weil die Fernwärmeversorgung durch die Abwasser-Wärmepumpe und die Software-Agententechnologie CO2-freier wird, profitieren entsprechend auch alle Lemgoer Haushalte.
ak[due]ll: Wann wissen Sie ob Sie Erfolg hatten?
Thommessen: Das Projekt endet im Mai 2021. Wir bereiten gerade das System vor und in Lemgo wird die Anlage gebaut. Ende 2019 fangen wir dann in Lemgo mit ersten Tests an. Dann kann es ganz schnell gehen, wenn alles super läuft. Vielleicht sind wir sogar früher fertig und die Software-Agenten laufen autonom oder werden noch überwacht. Das ist ein Thema mit ganz großem Potenzial, das gerne übersehen wird, weil sich viele nur auf den Stromsektor fokussieren. Aber auch der Wärmesektor ist für die Zukunft essentiell wichtig.
ak[due]ll: Wenn das Projekt Erfolg hat und dadurch tatsächlich 3.200 Tonnen CO2 eingespart werden. Ist das dann schon die Revolution, auf die man aus den Ingenieurwissenschaften gewartet hat?
Thommessen: Selbstverständlich nicht (lacht). Die Software, die da entwickelt wurde, ist Open Source, also frei verfügbar und soll einen Beitrag zu einer verbesserten emissionsarmen Energieversorgung leisten. Jeder, der daran Interesse hat, kann sich damit beschäftigen. Das Schöne ist, dass das grundlegende Konzept auf Energieerzeuger jeder Art – für Windkrafträder oder Solaranlagen – übertragbar ist.
Es wird insbesondere am Projektende um die Verbreitung der Ergebnisse gehen. Daher werden wir unser Projekt beispielsweise auf Konferenzen vorstellen und sozusagen die Werbetrommel rühren. Das Ganze ist und bleibt natürlich extrem komplex. Trotzdem können andere auf den Zug aufspringen.
ak[due]ll: Sie machen sich also schon auch Hoffnungen darauf, dass das bundesweit eingesetzt werden wird?
Thommessen: Wenn sich die Umsetzung der Software-Agenten als erfolgreich, effizient und sicher erweist, ist das auf andere Energiesysteme übertragbar. Daher ist ein bundesweiter Einsatz – nicht nur im Bereich der Wärmenetze – durchaus vorstellbar. Man muss aber auch die Kirche im Dorf lassen, denn es müssen viele Rahmenbedingungen, Umstände sowie insbesondere die Bereitschaft zum Einsatz dieser innovativen Technologie stimmen und es gibt sicher auch andere interessante Ansätze, die Regelung von Erzeugungsanlagen zu verbessern.
Lemgo hat bereits eine klimafreundliche Energieversorgung und ist bezogen auf die Einwohnerzahl von der Größe her überschaubar. Wir sind froh, dass wir die ansässigen Stadtwerke als innovationsoffenen und kompetenten Partner für das Forschungsprojekt gewinnen konnten und wichtige Erkenntnisse für die emissionsarme und sektorengekoppelte Energieversorgung der Zukunft (Stromversorgung, Wärmeversorgung und Mobilität) erforschen können. Eine Übertragung der Technologie auf Millionenstädte oder Agglomerationen ist entsprechend mit Herausforderungen in bisher nur schwer abschätzbarer Größenordnung verbunden.
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