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Ein Patent, sie zu knechten

Das war knapp. Die Spielfigur Talion hechtet über den Ork-Hauptmann und enthauptet ihn mit einem gezielten Hieb. Die Mission im Action-Adventure Mittelerde: Schatten des Krieges ist geschafft. Weil der Hauptmann nun tot ist, wird ein anderer Ork befördert. Später im Spiel kann die Spielerin wieder einem Hauptmann begegnen, der dann aber anders kämpft und spricht - er ist ja auch eine andere Person, also ein anderer Ork.

Das komplexe Hierarchiesystem der Computergegner in den Mittelerde-Spielen gilt als bahnbrechend. Die Entwickler nennen es Nemesissystem. Es simuliert die Rangordnung der finsteren Gesellen und sorgt für immer neue Begegnungen mit Feinden, die eine eigene Persönlichkeit haben und auf vergangene Ereignisse reagieren können. Wer vor dem letzten Kampf geflohen ist, wird vom nächsten Ork möglicherweise als Feigling beschimpft.

Eine solche Spielmechanik erhöht den Wiederspielwert des Open-World-Games. Daran wären vermutlich auch andere Studios interessiert. Doch sie dürfen nichts Vergleichbares programmieren. Zumindest so lange nicht, bis ihnen Warner Bros. eine Lizenz erteilt. Denn der Konzern hat sich nach einer fünfjährigen Prüfung die Spielmechanik in den USA patentieren lassen.

Geschützt ist nicht der Code, sondern die Idee

Nun ist es nichts Neues, dass Firmen teure Technologien entwickeln, diese exklusiv nutzen und damit viel Geld verdienen wollen. Mittelerde: Schatten des Krieges wird von Warner Bros. Interactive Entertainment vertrieben, einer Geschäftseinheit der riesigen Filmgesellschaft, die auch Inhaberin der Herr-der-Ringe-Lizenz ist. Doch das Nemesispatent schützt nicht etwa den exakten Quellcode der Spielmechanik. Warner Bros. hat sich die Rechte am gesamten Konzept eines dynamischen Gegnergenerierungssystems gesichert - und damit an einer Idee, die im Grunde für fast jedes Spiel relevant sein kann.

"Das ist zum Kotzen", schrieb die Narrative-Designerin Cat Manning vom Studio Riot Games Anfang Februar 2021 auf Twitter. "Ich habe mir das Patent angesehen und es ist so weit gefasst, dass es absurd ist." Bereits in anderen Spielen hätte Manning ähnliche Spielmechaniken gesehen. Vor allem kleinere Studios hätten nun vor rechtlichen Schritten Angst und würden auf ein ähnliches System deshalb verzichten. Mit einer Verlängerung wäre das Nemesispatent bis 2035 gültig, im Videospielbereich ist das eine halbe Ewigkeit.

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Das Nemesispatent hat große Wellen in der Gamesbranche geschlagen. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage: Sollte man sich die Spielmechanik, das Gameplay, schützen lassen können?

Ganz neu ist die Diskussion nicht: Schon vor dem Nemesissystem haben einzelne Studios versucht, sich Spielmechaniken zu sichern. 1998 erhielt der japanische Spielwaren- und Gameskonzern Bandai Namco ein US-Patent für Minispiele in Ladebildschirmen. 2002 meldete das US-Studio Midway Games das sogenannte Ghost-Racer-Patent an. Spielerinnen und Spieler sehen dabei in einem Rennspiel ihre vorherige Bestzeit in Form eines durchsichtigen Autos. BioWare stellte in seinem Rollenspielepos Mass Effect die Dialogauswahl in Form eines Rads dar und sicherte sich auch dafür ein Patent. Es gibt viele weitere Beispiele.

Durch die Patente könne Gamestudios ihre Einnahmen durch Lizenzgebühren erhöhen oder der Konkurrenz durch sogenannte Sperrpatente innovative Mechaniken vorenthalten. Die japanische Firma Sega entwickelte im Jahr 2001 das Rennspiel Crazy Taxi. Darin rasen Spielerinnen und Spieler durch ein fiktives San Francisco und bringen Fahrgäste möglichst schnell von A nach B. Den schnellsten Weg zeigt dabei ein großer Pfeil am oberen Bildschirmrand an, für den Sega im März 2001 ein Patent erhielt. Das Studio ließ sich noch weitere Funktionen sichern: Fußgänger, die in Deckung springen, zum Beispiel. Außerdem das Szenario, das in einer Stadt und nicht auf der Rennstrecke spielt. Kurzum: Sega sicherte sich das gesamte Genre der Taxispiele. 2001 kam es zum Eklat. Electronic Arts verwendete im Crazy-Taxi-Klon The Simpsons: Road Rage das gleiche System, der Pfeil war diesmal allerdings eine gelbe Simpsons-Hand. Sega verklagte Electronic Arts, beide Parteien einigten sich außergerichtlich. Wie genau, ist unbekannt. Das Taxigenre sollte sich für Sega aber nicht auszahlen. Im Oktober 2001 erfand Rockstar Games mit Grand Theft Auto 3 die moderne Formel für frei begeh- und befahrbare 3D-Welten.

Patente sollten eigentlich Innovationstreiber sein

Ursprünglich sind Patente nicht dafür gedacht gewesen, die Konkurrenz auszubremsen. Seit dem 19. Jahrhundert sollen sie, so die Idealvorstellung, der Gesellschaft nützen. Der Deal beim Patentschutz: Man bekommt das alleinige Nutzungsmonopol und muss dafür die Erfindung offenlegen, wodurch wiederum andere daraus lernen können. Doch früh häuften hauptsächlich große Konzerne Patente an. So war es auch in der Computerbranche, in der sich große Techkonzerne wie IBM, und Apple ihre Computererfindungen in den USA patentieren ließen. Vorerst beschränkten sie sich auf Hardware und Zubehör. Apples Patent auf die Maus kam 1982. Microsofts erstes Patent von 1986 war ein Halter für "Bücher und ähnliche Dinge", den man eher bei IKEA verorten würde. Bis 2015 häufte Microsoft etwa 60.000 Patente an.

Auch Hardware für Videospiele war früh im Blick der Hersteller. So wurde 1973 unter dem Namen "television gaming and training apparatus" die Methode patentiert, einen "Apparat" - die Konsole Magnavox Odyssey - an den Fernseher anzuschließen und darüber Bilder darzustellen für den damaligen Hit Pong. 1985 ließ sich das Steuerkreuz für den Controller der hauseigenen Konsole Nintendo Entertainment System via Patent sichern, acht Jahre später folgte ein Patent für den Gameboy. Auch Sony und Apple ließen sich ihre Gamepad- und iPhone-Designs patentieren. Anfangs rein auf Hardware ausgerichtet, nutzten große Konzerne ab den Achtziger- und Neunzigerjahren Patente immer öfter auch für ihre Software.

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