Fremde Heimat: Zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei zeigt das Ruhr Museum in Essen Fotografien über das Leben der sogenannten Gastarbeiter.
Es sind Bilder, die in jede Großstadt gehören: festlich geschmückte Autos einer türkischen Hochzeit, ein überfüllter Obst-und-Gemüse-Laden, bedeckte Frauen, die sich im Hof unterhalten. Im Jahr 1990 besuchte der türkische Fotojournalist Ergun Çağatay die Städte Hamburg, Köln, Werl, Berlin und Duisburg, um das türkische Leben in Deutschland zu dokumentieren. Insgesamt sind 3500 Fotografien entstanden, "nie zuvor wurde das Thema des türkischen Lebens in Deutschland in solcher Breite und so facettenreich fotografisch dokumentiert", sagt Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums.
Die Ausstellung "Wir sind von hier" zeigt 116 von Çağatays stärksten Fotografien. Sie machen einen Teil der deutschen Geschichte sichtbar, der oft nicht beachtet wird. Denn der Fotograf dokumentiert längst nicht nur den Alltag türkischstämmiger Männer und Frauen. Seine Aufnahmen sind politisch.
"Das Ziel meiner Reise bestand darin, die soziale Integration beziehungsweise Nichtintegration der zweiten Generation, die in Einwanderungsländern geboren oder aufgewachsen ist, zu zeigen", sagte Çağatay. Diese Nichtintegration dokumentieren jene Bilder, die nicht so allgegenwärtig sind wie der türkische Supermarkt - das Warten im Ausländeramt zum Beispiel. Oder die Demonstrationen gegen das neue Ausländergesetz, das am 26. April 1990 vom Bundestag beschlossen wurde. Viele empfanden die Neufassung des Gesetzes als rassistisch und gingen auf die Straße. Die Plakataufschrift "Wir leben hier" steht sinnbildlich für das Gefühl vieler, fremd in ihrer Heimat zu sein.
Die Fotografien in der Ausstellung sind chronologisch nach den Städten angeordnet, die Çağatay besuchte. Obwohl der Fotograf in der Türkei lebte und sich nur wenige Wochen in Deutschland aufhielt, ist es ihm gelungen, das Wesen der jeweiligen Stadt einzufangen. Er dokumentiert die türkische Kultur, aber auch die deutsche.
So zeigt er, wie sich das Land durch die Einwanderung verändert hat. Seine Reise beginnt in Hamburg, er läuft über den Altonaer Flohmarkt, besucht die Ravzah-Moschee und fotografiert türkische Werftmitarbeiter. Weiter geht es in Köln, dort entstehen die meisten Fotos seiner Fünf-Städte-Reise. Er beschäftigt sich vor allem mit den Berufen, die türkische Jugendliche und Erwachsene in Deutschland ausüben: Metzger, Kfz-Mechaniker, Inhaber von Obst- und Gemüseläden.
Werl ist eine Kleinstadt und passt auf den ersten Blick nicht in die Reihe. Trotzdem stattet er ihr einen Besuch ab. Denn: Dort wird die erste neuere Moschee eröffnet, bei der die Stadtväter ein Minarett genehmigt haben.
In Berlin, der nächsten Station, lernt er die Berliner Jugendbande "36 Boys" kennen. Sie erzählen dem Fotografen von den gelegentlichen Schlägereien mit Skinheads und Polizisten, die immer zu ihren eigenen Landsleuten hielten. "Diesem Land war es nicht gelungen, ihnen ein anständiges Leben zu ermöglichen. Sie arbeiteten hart - und blieben Menschen zweiter Klasse", beobachtet Çağatay.
Seine letzte Stadt ist Duisburg, wo er Bergleute beobachtet und fotografiert. Unter Tage gibt es wenig Licht, die Fotografien werden dunkler. Dort gelingt es ihm endlich, einen persönlichen Zugang zum Leben der türkischstämmigen Familien zu bekommen. Mehr als in den anderen Städten traut er sich, die türkischstämmigen Männer und Frauen privat abzulichten. Er blickt in Hinterhöfe, Wohnzimmer, Männercafés. Die Aufnahmen zeigen, wie vielfältig das türkisch-deutsche Leben ist.