Theaterregisseurin Maja Delenic spielt gerne mit Geschlechterrollen. In ihrer Interpretation von "Die Physiker" wagt sie ein Experiment: Die drei männlichen Hauptrollen werden von Frauen gespielt.
Frau Delinic, Sie stellen Dürrenmatts „Die Physiker“ auf den Kopf, Männer spielen Frauen und Frauen spielen Männer. Warum?
DELINIC Ich fand das Stück toll, als ich es in der Schule gelesen habe. Das ist aber schon über 15 Jahre her und jetzt ist ein Aspekt meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß: In dem Stück stecken viele altbackene Geschlechterklischees. Als ich mit der Inszenierung begonnen habe, wollte ich erst nur „Newton“ als Frau besetzen. Dann kam Corona. Und ich dachte: Männer diskutieren über die Welt, während sich die Frauen aufopfern. So ist das bei „Die Physiker“ auch. Ich wollte konsequenter sein und habe die anderen beiden Rollen auch weiblich besetzt. Alles andere wäre für mich nicht mehr denkbar.
Was meinen Sie damit?
DELINIC „Die Physiker“ ist Schulstoff, viele Klassen werden im Theater sitzen und sich das Stück ansehen. Ich möchte den jungen Frauen keine Welt zeigen, in der nur Männer die wichtigen Themen besprechen, während die Frauen im Hintergrund sind. Ein weiterer Punkt ist auch, dass es nur wenige Rollen dieser Art für Frauen gibt. Und wenn, dann drehen sie sich meist um einen Mann. Aber Frauen, die über Gott und Welt diskutieren? Das kommt auf der Bühne fast gar nicht vor.
Wie kann das verändert werden?
DELINIC Für Filme gibt es den Bechdel-Test, der zeigen soll, dass Frauen unterrepräsentiert sind. Dafür müssen nur drei Fragen beantwortet werden: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Wenn alle Fragen bejaht werden, ist der Test bestanden. Man kann ihn ganz einfach auf die Theaterbühne übertragen. „Die Physiker“ hat den Test nicht bestanden, darauf habe ich reagiert.
War es herausfordernd, ein Stück mit vertauschten Geschlechterrollen zu inszenieren?
DELINIC Ich habe anfangs gedacht, dass es sehr schwierig werden wird, vor allem für die Schauspieler und Schauspielerinnen. Es gab auch einige Momente, in denen der Mann, der eine Frau spielte, sehr männlich wirkte. Oder bei der Frau, die einen Mann spielte, das Weibliche durchkam. Kleinigkeiten, bei denen man merkte, dass wir auf veraltete Rollenmuster zurückgreifen. Wir haben uns dann zusammengesetzt und besprochen, was das richtige für die Szene ist. Das hat wunderbar geklappt.
Was gefällt Ihnen an dem Stück?
DELINIC Abgesehen von den Geschlechterklischees ist es hochaktuell. Es geht um die Gefahr, die von Menschen ausgeht. Dass ein System aufgebaut wird, das ausbeuterisch ist. Und um Daten, Informationen und Spionage. Das hat viele Parallelen zu Facebook und anderen sozialen Netzwerken.
Wie es das als junge Regisseurin am immer noch männerdominierten Theater?
DELINIC Mir ist schon als Assistentin aufgefallen, dass vor der Bühne fast immer ein Mann das Sagen hat. Das sind wir alle so gewohnt. Bei einigen Proben zu „Die Physiker“ habe ich vor der Bühne aber nur mit Frauen gearbeitet und war erstaunt, wie sich das auf die Arbeit ausgewirkt hat. Für mich war es entspannter und druckfreier. Ich bin froh, dass die weibliche Energie, die bisher oft unterdrückt wurde, endlich zum Vorschein kommen kann. Aber ich bin auch froh, dass die Welt von Männern und Frauen bevölkert ist. Am Ende des Tages ergänzen wir uns gut.
In welchem Stil haben Sie „Die Physiker“ inszeniert?
DELINIC Ich habe den Untertitel „Eine Komödie“ sehr ernst genommen und hoffe, dass viel gelacht wird. Es wird bunt, schrill, abstrus. Eine komplette Reizüberflutung. Ich mag es, wenn man das Theater erschöpft verlässt, weil einen die Geschichte, die Inszenierung und die Schauspieler so reinziehen.