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Kampf um Plastikmüll | bizzenergytoday.com

Foto: Alba

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Wenn Günter Dehoust durch den Supermarkt schlendert, entdeckt er in den Regalen lauter kleine Umweltsünden. Salate im Plastikbeutel, eingeschweißte Wurstscheiben oder die Ketchup-Flasche aus Kunststoff sind für ihn tabu. „Ich bemühe mich, bereits beim Einkauf möglichst wenig Abfall zu produzieren", sagt der Wissenschaftler, ein Überzeugungstäter, der seit fast 25 Jahren am Öko-Institut in Darmstadt forscht.

Die aus Erdöl mit hohem Energieeinsatz produzierten Kunststoffe sind leicht, gut formbar, günstig zu produzieren - und daher allgegenwärtig. Aber sie sind biologisch nicht abbaubar und somit ein immenses Umweltproblem: Verpackungen verschmutzen die Weltmeere, Plastiktüten verschandeln die Umgebung. Mikroplastikteilchen, die beim Zerfall des Kunststoffs entstehen, werden von Tieren und Pflanzen aufgenommen und landen in der Nahrungskette des Menschen.

Längst mahnt EU-Umweltkommissar Janez Potočnik einen grundlegenden Wandel an. „Etwa 80 Prozent aller von uns produzierten Artikel werden einmal benutzt und landen dann auf dem Müll. Das ist eine schockierende Zahl", sagt er. Bereits 2013 veröffentlichte er sein EU-Grünbuch zum Umgang mit Plastikabfällen, das für Furore sorgte, weil es ein Verbot von Plastiktüten vorschlägt. Doch Potočnik geht es um mehr. Er will eine echte Kreislaufwirtschaft - ganz nach dem Vorbild der Natur. Im Grünbuch erwägt er, die Deponierung von Kunststoffabfällen gänzlich zu verbieten. Die Verbrennung solle auf das „absolute Minimum" reduziert und nur dort eingesetzt werden, „wo Wiederverwertung oder Recycling nicht die umweltfreundliche Lösung ist". Zwar ist die Bundesrepublik das Land der Mülltrenner und beim Recycling mit einer Quote von 47 Prozent sogar Europameister. Doch auch hierzulande werden fast 70 Prozent der Altkunststoffe nicht stofflich verwertet, sondern verbrannt - mancherorts zu Spottpreisen von unter 50 Euro pro Tonne.

Woran liegt das? Seit 2005 wurden in Deutschland als Folge des Deponieverbots für Siedlungsabfälle die meisten der etwa 200 Hausmülldeponien geschlossen. Anfänglich sorgte das Deponieverbot für knappe Kapazitäten bei den Müllverbrennern. So konnten kommunale Betreiber von den Entsorgungsbetrieben pro Tonne Abfall zeitweise dreimal so viel Geld verlangen wie vor dem Deponieverbot - bis zu 200 Euro. Prompt investierten auch private Betreiber in solche Anlagen. Heute liefern sich insgesamt 71 thermische Müllverbrennungs- und Ersatzbrennstoff-Kraftwerke einen gnadenlosen Preiskampf, zumal die Abfallmengen aufgrund des demographischen Wandels seit Jahren zurückgehen. „Mit den niedrigen Verbrennungspreisen geht ein wesentlicher Anreiz verloren, möglichst viel Rohstoffe aus dem Abfall herauszuholen und zu verwerten", erläutert Öko-Forscher Dehoust.

Beim Kunststoff-Recycling ist das Heraustrennen hochwertiger Rohstoffe besonders aufwendig. Plastikmüll ist andererseits wegen seines hohen fossilen Anteils bei Müllverbrennern begehrt, der Heizwert von Kunststoffen entspricht ungefähr dem von Steinkohle. Wertvolle Rohstoffe wie Plastik, aber auch Altholz, Papier und Pappe lösen sich auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch auf.

Der Preiskampf hat auch soziale Konsequenzen. Viele Kommunen sind selbst Betreiber einer Müllverbrennungsanlage oder zumindest an einer beteiligt. Durch die gesunkenen Verbrennungspreisen können sie gerade mal die Betriebskosten, nicht aber die Fixkosten der kapitalintensiven Anlagen decken. Um die Lücke zu schließen, werden die Abfallgebühren für alle Bürger erhöht.

In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit den meisten Müllverbrennungsanlagen, werden bereits Abwrackprämien für besonders alte und ineffiziente Anlagen diskutiert. Bundesweit ist jede fünfte Anlage älter als 30 Jahre. Bei einem Viertel der Anlagen verpufft die entstehende Wärme ungenutzt, weil kein Fernwärmenetz existiert.

Das alles widerspricht eklatant der von Brüssel vorgeschriebenen Abfallhierarchie. Zwar adaptierte die Bundesregierung 2012 die EU-Abfallrahmenrichtlinie und der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) versprach „ein neues Kapitel in der deutschen Abfallwirtschaft - mit höchsten Anforderungen an das Recycling und einer intelligenten Wiederverwertung wertvoller Rohstoffe". Doch tatsächlich setzt das Gesetz die energetische Verwertung - sprich: Müllverbrennung - der stofflichen Verwertung gleich, solange der Müll einen Mindestheizwert von 11.000 Kilojoule pro Kilogramm besitzt - den viele Kunststoffe locker erreichen. Diese Ausnahmeregel folgte politischem Kalkül, um die Zustimmung zum Abfallgesetz im Bundesrat zu erhaschen: Weil viele Müllverbrennungsanlagen in kommunalem Besitz sind, fürchtete die Merkel-Regierung den Druck der Kommunen auf die Bundesländer.

EU-Kommissar Potočnik sieht in dieser Heizwertklausel einen klaren Verstoß gegen seine Richtlinie. Ende Februar eröffnete die EU-Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. „Die Priorität muss eindeutig bei der stofflichen Verwertung liegen, weswegen wir das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren klar begrüßen", sagt Eric Schweitzer, Vorstandschef des Berliner Alba-Konzerns und im Ehrenamt Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

Öko-Forscher Günther Dehoust hält Müllverbrennung ohnehin für ein Auslaufmodell, weil sie in keiner Weise mit der Energiewende zusammenpasst. Das ist zumindest das Fazit einer aktuellen Studie über den Beitrag der Kreislaufwirtschaft zur Energiewende, die er und seine Kollegen vom Öko-Institut im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft erstellt haben.

Mit steigendem Anteil von fluktuierenden erneuerbaren Energien wird laut Studie immer weniger von jenem Grundlaststrom gebraucht, den heutige Müllverbrennungsanlagen produzieren. Statt der 71 Anlagen seien in Zukunft zehn ausreichend. Die sollten als hocheffiziente Ersatzbrennstoffwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung im Strommarkt Flexibilität in Form von Reservekapazität bereitstellen. Dabei sollten nur noch Abfallreste verfeuert werden, die nicht mehr zu recyceln sind.

Sicher benötigt auch das Aufbereiten von Kunststoffabfällen sehr viel Energie. Doch in aller Regel ist das Recyceln deutlich klimafreundlicher als das Verbrennen, stellen verschiedene Studien übereinstimmend fest. Kunststoffrecycling spart den Einsatz von Öl, vermindert den CO2-Ausstoß bei der Müllverbrennung und trägt aktiv zu Ressourcenschonung und Klimaschutz bei. So attestiert es das Öko-Institut, so will es die EU.

Dennoch ist die Branche der Kunststoffrecycler zuletzt in Bedrängnis geraten, und zwar ausgerechnet durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Vorzeigeinstrument der Energiewende. Anders als in den Vorjahren hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) für 2014 die Befreiung von der EEG-Umlage für die Branche nicht bewilligt. Die EU-Kommission hat den Recyclingsektor zwar kürzlich als eine der 65 Branchen definiert, die in den Genuss der Besonderen Ausgleichsregelung für energieintensive Unternehmen kommen. Doch die Kunststoffrecycler fürchten, dass dies erst 2015 in Kraft treten könnte. Dann läge zum Beispiel die Mehrbelastung der Firma Multiport aus Bernburg in Sachsen-Anhalt 2014 bei einer Million Euro. Multiport-Chef Herbert Snell hofft daher, „dass die Bafa-Entscheidung noch revidiert werden kann".

Die Brüsseler Definition zur Besonderen Ausgleichsregelung werten die Recycler als Würdigung ihres Beitrags zur CO2-Minderung. Jetzt könnte es für sie sogar noch besser kommen. Bis Herbst will EU-Umweltkommissar Potočnik ein neues Richtlinienpaket zum Abfallrecht vorlegen. Auf der Agenda stehen auch schärfere Recycling-Vorgaben für Kunststoffabfälle bis hin zum europaweiten Verbot von Deponien. Öko-Forscher Dehoust kommt in der Diskussion allzu oft die Abfallvermeidung zu kurz. Zumindest im Streit um das Plastiktüten-Verbot hat er eine einfache Lösung: seinen Jutebeutel.

Daniela Becker lebt als freie Journalistin in München und ist auf die Themen Energie, Umwelttechnologien und nachhaltige Entwicklung spezialisiert. Sie schreibt unter anderem regelmäßig für das in München erscheinende Recycling Magazin.

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