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Das patriarchale System auf dem Prüfstein

Noch bevor etwas zu sehen ist, ertönt ein Stim­men­ge­wirr: „Geh weg!“, „Gib das her!“, „Komm her!“ Immer wieder erklin­gen entsetzte „Nein!“-Ausrufe – von Frauen, Männern, allen gleich­zei­tig, alle durch­ein­an­der. In einem spär­lich ausge­leuch­te­ten Raum, der vor Emotio­nen zu bers­ten droht, stehen sich die mitein­an­der inter­agie­ren­den Perso­nen gegen­über. Manche schauen sich gegen­sei­tig nur an, andere habe ein Stück Seil in der Hand, mit dem sie sich gegen­sei­tig in die eine oder andere Rich­tung ziehen. Für seine gesamte Lauf­zeit verlässt Julika Rude­lius‘ „It is true because I feel it“ (2021) nicht mehr diesen Raum, in dem fremde Menschen in immer wieder zufäl­lig zusam­men­ge­wür­fel­ten Paar­kon­stel­la­tio­nen Emotio­nen mitein­an­der ausle­ben, einüben und viel­leicht auch austes­ten. Sie schreien anein­an­der an, unter­wer­fen sich, weinen, berüh­ren sich zärt­lich, reden in klei­nen Grüpp­chen über Sexua­li­tät und Inti­mi­tät. Der Film hat ebenso wenig einen rich­ti­gen Anfang wie ein Ende. So schei­nen die Prot­ago­nist*innen gefan­gen in einer Endlos­schleife aus Gefüh­len, wahr­haf­tig oder ange­eig­net, die kein konkre­tes Gegen­über finden und immerzu dazu verdammt sind, wieder auf sich selbst zurück­fal­len.


KRITIK AM PATRIARCHAT, KRITIK AM SYSTEM

Ließe sich das Gesche­hen in „It is true because I feel it“ noch als patri­ar­cha­lisch geprägt beschrei­ben, nämlich als eines, in dem Frauen Männern offen­bar dabei helfen, ihre Emotio­nen zu verba­li­sie­ren oder auszu­pro­bie­ren, beschäf­tigte sich Julika Rude­lius Früh­werk noch deut­lich konkre­ter mit Männern: „Als ich ange­fan­gen habe, habe ich sehr viel über Männer gear­bei­tet, weil ich auch das Gefühl hatte, dass ich […] Männer kriti­sie­ren muss.“ In der Arbeit „Train“ (2001) sieht man beispiels­weise Jugend­li­che im Zug, die frau­en­feind­li­che Sprü­che klop­fen, offen­bar zufäl­lig gefilmt, aber tatsäch­lich von Rude­lius geschickt in Szene gesetzt. Im Laufe der Zeit sei der Künst­le­rin aller­dings klar gewor­den, „dass die Probleme viel komple­xer sind, und mir geht es nicht so sehr um die Bezie­hung zwischen den Geschlech­tern, sondern mir geht es eigent­lich ums Syste­mi­sche.

Die Drei-Kanal-Instal­la­tion „Layers of Senti­ment" (2023) – eben­falls im DOUBLE FEATURE zu sehen – zeigt hinge­gen drei kurze Filme, in der Männer nur unter­ge­ord­nete Rollen spie­len, wenn sie über­haupt auftau­chen. Eine Frau, die ihren SUV belädt, während ihr Mann ziel­los im Hinter­grund rumläuft, tele­fo­niert und erzählt phra­sen­haft aus ihrem Leben: „Ich erlebe die Welt, wie ich sie fühle“, „ich bin froh, dass meine Eltern mich so strikt erzo­gen haben“ oder „Liebe hatte schon etwas mit Leis­tung zu tun“ – Gesprä­che über das eigene Leben in reins­ter Marke­ting­ma­nier. Der zweite Film zeigt eine Künst­le­rin und einen Sohn aus reichem Hause, der Ausstel­lun­gen orga­ni­siert, im schöns­ten Kunst­sprech-Dialog. Die Frau redet über Femi­nis­mus, der Mann fühlt sich zunächst atta­ckiert, antwor­tet dann nur in typi­schen Phra­sen („Die klas­si­schen Geschlech­ter­rol­len – die sind so lang­wei­lig“), bevor er schließ­lich doch wieder männ­li­che Domi­nanz in finan­zi­el­ler wie auch körper­li­cher Weise demons­triert, zeit­gleich aber alles doch nur als post­mo­der­nes Zitat verstan­den wissen möchte. Im drit­ten Film sehen wir schließ­lich eine junge Influ­en­ce­rin in einem Reise­bus, die die sie umge­bende Welt samt Menschen augen­schein­lich nur noch als Staf­fage wahr­nimmt, die, wenn über­haupt, ledig­lich als Requi­sit für kurze Werbe­vi­deos herhal­ten darf.



WONG KAR-WAIS „CHUNGKING EXPRESS“

Als zusätz­li­chen Film hat sich Julika Rude­lius „Chung­king Express“ (1994) des aus Hong­kong stam­men­den Regis­seurs Wong Kar-Wai ausge­sucht. In zwei lose mitein­an­der verbun­de­nen Episo­den erzählt der Film die Geschichte zweier von Liebes­schmerz dahin­sie­chen­den Poli­zis­ten, die in zufäl­li­gen Begeg­nun­gen auf zwei Frauen tref­fen, die ihr Leben nach­hal­tig beein­flus­sen. Des Nachts irrt der Poli­zist (Take­shi Kanes­hiro) mit der Kennung 223 ziel­los durch das mit grel­lem Neon­licht ausge­leuch­tete Hong Kong und trau­ert seiner Ex-Freun­din May hinter­her, die ihn vor knapp einem Monat verlas­sen hat. Zeit­gleich versucht eine Frau (Brigitte Lin) mit einer blon­den Perü­cke, nach­dem sie bei einem Drogen­deal übers Ohr gehauen wurde, die Nacht unbe­scha­det zu über­ste­hen, und trifft in einer Bar schließ­lich auf den Poli­zis­ten. In der zwei­ten Episode sinniert ein Poli­zist (Tony Leung Chiu-Wai) mit der Kennung 663 noch über die geschei­terte Bezie­hung mit einer Stewar­dess, als er an einem Essens­stand Faye (Faye Wong) kennen­lernt, die sich kurzer­hand in ihn verliebt.

Erst zwei Jahre nach Entste­hen fand „Chung­king Express“ seinen Weg in west­li­che Kinos, nach­dem er vom begeis­ter­ten Quen­tin Taran­tino entdeckt worden war. Der Film ist ein wahres Feuer­werk visu­el­ler und klang­li­cher Art: In einem Hong­kon­ger Fieber­traum verwebt Kar-Wai Elemente aus Film noir wie auch fran­zö­si­schem oder ameri­ka­ni­schem Auto­ren­kino zu einem genui­nen Werk, das jegli­che Genre-Gren­zen sprengt und neben allem Witz, aller Verspielt­heit und Exzen­trik niemals ins Absurde abdrif­tet, sondern viel­mehr eine filmi­sche Poesie kreiert, die keiner falschen Senti­men­ta­li­tät huldigt.

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