Die Universität von Kabul liegt zwischen zwei Bergen, in jener Gegend, die während des Krieges zwischen Taliban und US-Truppen am stärksten umkämpft war. Überall türmen sich Schutt und Trümmer auf, nur hin und wieder ist zwischen den Steinhaufen ein einstöckiges Haus zu sehen. Für Felix Borchers, 28, war die erste Begegnung mit Afghanistan ein Schock. "Da steht kein Stein mehr auf dem anderen", musste der Berliner Student feststellen, als er im März vergangenen Jahres das erste Mal ins Land kam. Borchers gehört zu einer Gruppe von Informatikstudenten der Technischen Universität (TU) Berlin, die an der Universität Kabul ein Rechenzentrum aufbauten.
"Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, dass die Uni wieder den Anschluss an die Informationsgesellschaft findet", sagt der afghanische Dozent Nazir Peroz, der seit 25 Jahren in Berlin lebt und der Initiator des Projektes ist. Das Technische Hilfswerk (THW) renovierte einen Raum an der Universität und stattete ihn mit Elektrik aus. Eine echte Herausforderung, denn die Taliban hatten während ihrer Herrschaft im ganzen Land die Kupferleitungen herausgerissen, eingeschmolzen und nach Pakistan verkauft. "Einige der am Projekt beteiligten Afghanen wohnen in Gegenden, in denen es nur ein bis zwei Stunden am Tag Strom und Wasser gibt", erzählt Informatikstudent Tobias Wölk, 26.
Die Maus hin und her bewegen
Trotz aller Schwierigkeiten begannen im März 2003 die Schulungen für Dozenten, Tutoren und Studenten. Jeweils zwei bis drei TU-Studenten reisten über ein Jahr lang für jeweils zwei Monate nach Kabul, Felix Borchers gehörte zu den ersten. "Computer-Wissen war bei den Leuten faktisch nicht vorhanden", berichtet er vom mühevollen Beginn. "Wir hatten eigentlich gehofft, dass wir den Afghanen nicht noch zeigen müssen, wie man die Maus hin und her bewegt."
Zudem kann ein Großteil der Afghanen kein Englisch. Das Übersetzen in Dari, neben Paschtu eine der beiden verbreiteten Umgangssprachen, ließ die Computerkurse zu einer langwierigen Angelegenheit werden. Was die Begeisterung der Studenten nicht schmälerte: "Die haben uns die Bude eingerannt", sagt Borchers.
Dabei stehen für die rund 8000 Studenten nur 40 Rechner zur Verfügung. "Letztlich sind bislang nur 200 bis 300 Studenten in den Genuss des zweimonatigen Kurses gekommen", bedauert Borchers. Und zwar nach Frauen und Männern getrennt, denn gemeinsame Kurse waren für die Afghanen undenkbar. Vom anfänglichen Plan gemischter Kurse brachten die Einheimischen die Berliner schnell ab - was sich gerade für die Frauen als Glücksfall entpuppte: In gemischten Kursen hätten sie sich wohl kaum getraut zu reden.
Akademische Aufbauhilfe
So aber wurden sie im Laufe der Schulungen immer lebhafter, nach einiger Zeit legten viele sogar ihre Schleier ab. Die Frauen bewegten sich in der Universität viel freier als in der Stadt, so der Eindruck der Berliner Studenten. Der Präsident der Hochschule, Akbar Popal, sei weltoffen und westlich orientiert, was man auf dem Campus deutlich spüre. "Wenn die Studentinnen die Uni verlassen, setzen sie die blaue Burka wieder auf", erzählt Borchers.
Das Engagement der Informatikstudenten ist nicht die einzige akademische Aufbauhilfe für Afghanistan. Universitäten wie Bonn, Karlsruhe, Kassel, Heidelberg, Erlangen oder Hohenheim laden regelmäßig afghanische Dozenten zur Weiterbildung nach Deutschland ein. Studenten und Professoren der Universität Bonn gründeten 2003 die Initiative "Ein Stuhl für Kabul", die Spenden für die afghanische Universität sammelt.
Der Lehrstuhl für Städtebau der Universität entwickelte Lösungen für die zerstörte Hauptstadt. Im Herbst vergangenen Jahres fand ein Dozentenaustausch mit dem Fachbereich "Deutsch als Fremdsprache" der Universität Essen statt. Und afghanische Medizinstudenten konnten im Sommer in Kabul an einem Fortbildungskurs in Kardiologie teilnehmen - geübt wurde an EKG-Geräten aus Deutschland.
Klassenzimmer auf Folterkellern
Afghanistan-Erfahrung sammelten auch 22 Berliner Architekturstudenten, die im Sommer 2003 erstmals nach Afghanistan flogen. Neben einer Begegnungsstätte für Studenten sollten zwei Gebäude für eine Mädchenschule gebaut werden. Die Sooria-Schule hatte während des Krieges als Militärquartier gedient, in ihren Kellern wurden Gefangene gefoltert und hingerichtet.
"Da war alles platt", erinnert sich Rainer Mertes, Architektur-Professor an der TU und neben zwei Diplom-Ingenieurinnen Leiter des Projektes, an seinen ersten Eindruck vom Gelände. Zwischen Lehmhügeln standen nur noch einige Mauern, an einer hing noch eine Tafel. Von den sanitären Einrichtungen waren allein die Grundrisse erkennbar.
In der Zusammenarbeit mit den afghanischen Architekturstudenten gab es einige Überraschungen: "Während eines Abendseminars standen plötzlich alle Studentinnen schweigend auf und gingen", erinnert sich Mertes. Er hatte nicht eingeplant, dass sich afghanische Frauen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außerhalb des Hauses aufhalten dürfen.
Verschleiert auf dem Bau
Probleme warf auch die gemeinsame Arbeit auf den Baustellen des von TU, DAAD und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanzierten Projektes auf. Die afghanischen Studenten erschienen im feinen Zwirn - und schauten erst einmal zu. Es entsprach nicht ihrem Selbstverständnis, mit anzupacken. Für die Frauen war es zunächst unvorstellbar, in Arbeitskleidung und vor den Augen aller Familienmitglieder und Bekannten Mörtel zu mischen und Steine zu schleppen.
"Besonders die Frauen in unserer Gruppe haben dann versucht, sie durch den behutsamen Aufbau von persönlichen Kontakten langsam zu integrieren", erzählt Mertes. Es entwickelten sich Freundschaften, einige der Berlinerinnen schliefen gar für eine Nacht in einem zum Wohnheim für Studentinnen umfunktionierten Mietshaus. "In den zehn Quadratmeter kleinen Zimmern standen jeweils vier Doppelstockbetten, Möbel gab es keine, und die Toilette war ein Loch im Boden", erzählt die Architektur-Studentin Charlotte Kellersmann, 29.
Doch den TU-Studenten, die schon aus Kabul zurückgekommen sind, bleiben nicht nur negative Erlebnisse in Erinnerung. "Allein für den Tagesausflug in den Hindukusch hat es sich gelohnt, zwei Monate hart zu arbeiten", sagt Felix Borchers. "Da saßen wir im Schatten der Maulbeerbäume und haben die erntefrischen Beeren gegessen."
Daniel Schalz