Die App stürzt ab, und mit schwerem Magen stehe ich unter dunklem, wolkenbedecktem Himmel. Eine SMS mit dem Inhalt "Willkommen in Tschechien" begrüßt mich an der Haltestelle in Sigmundsgrün. Dabei bin ich doch noch in Bayern. Momentan seien keine Fahrzeuge verfügbar, ich solle es später nochmal versuchen. Ein bedrückendes Gefühl der Ohnmacht überkommt mich bei dem Gedanken, in Sigmundsgrün festzusitzen.
Die Hofer Landbusse fahren seit etwa zwei Wochen. Mitte September, am 17. genau, startete das Pilotprojekt im Hofer Landkreis rund um die Orte Rehau und Regnitzlosau. Von 6 bis 23 Uhr stehen fast 200 Haltestellen zur Verfügung. Je nach Bedarf kalkuliert eine algorithmengesteuerte App die umweltfreundlichsten und schnellsten Fahrten, ganz ohne Fahrplan. Egal welche Strecke, die Fahrt kostet immer drei Euro, bar. Menschen mit einem Behindertenausweis und die Begleitperson sowie Kinder unter sechs Jahren fahren kostenlos mit.
Das Abenteuer beginnt an einem grauen Herbstmontagnachmittag am Rehauer Bahnhof. Aus dem Zug von Hof ausgestiegen, erblicke ich ihn etwas überraschend sofort, den weißen Kleinbus eines deutschen Autoherstellers mit großem blauen Logo-Schriftzug an den Seiten: Hofer Landbus. Drei Fahrgäste sitzen schon drin. "Die App funktioniert grad nicht", sagt einer der Mitfahrer, während ich versuche, die Fahrt nach Sigmundsgrün einzutippen.
Der gepflegt aussehende Busfahrer, Mitte 50, helles Haar, winkt mich herein. Das Navi mit der Buchungs-App sei ausgefallen. Also geht’s ganz altmodisch ohne App los. Der Fahrgast vorne rechts im VW-Bus fungiert jetzt als Navi-Ersatz. "In 150 Meter links. Achtung, da vorn blitzen se." Wir vergessen, dass das Navi nicht funktioniert. Die anderen Fahrgäste steigen an einer Haltestelle am Rande Rehaus aus. Auch das menschliche Navi verabschiedet sich.
"Ich bin seit 6 Uhr im Einsatz und hatte gerade mal zehn Minuten Mittagspause", erzählt mir der bärtige Fahrer des nun leeren Landbuses. Das Angebot werde gut angenommen, heute Vormittag sei der Achtsitzer oft sehr voll gewesen. Das älter wirkende Taxameter des nagelneuen Busses läuft mit. Dabei kostet eine Fahrt, egal wohin und wie weit, denselben Preis, eben jene drei Euro. Das Projekt läuft testweise ein Jahr, wird größtenteils von der bayerischen Landesregierung und dem Landkreis Hof finanziert. Danach könnte es im Landkreis auf weitere Städte und Dörfer ausgebreitet werden.
Zur Hälfte der Fahrt zwischen Rehau und dem fernen Dorf an der tschechischen Grenze sowie einem Neustart läuft auch die App wieder. Mein Vorname steht da unter "Fahrgäste" auf dem Bildschirm, ganz familiär eigentlich. "Hinten bei Faßmannsreuth stürzt die App oft ab. Oh, da hätte ich rechts gemusst? Ok, jetzt muss ich dort vorne wenden." Nach dem kurzen Umweg steige ich am Ziel, in Sigmundsgrün, direkt neben der Dorfkirche, aus.
Die Straße ist noch nass vom Regen, das einzige Geräusch ist das Rauschen der Baumkronen des Wäldchens, direkt hinter der holzüberdachten Haltestelle. Der freundliche Busfahrer fährt zum Abschied das Fenster elektronisch herunter: "Wenn Sie gar keinen Empfang haben, gehen Sie den Berg rauf", empfiehlt er mir. Ich habe Empfang - tschechisches Netz. Nur die App funktioniert nicht. Kein Wagen verfügbar. Die einzigen zwei regulären Busverbindungen am Tag, einmal um 7 Uhr und dann kurz vor 14 Uhr sind schon weg. Nach ein paar Minuten Bauchschmerzen und ungewissen Bangens, im Nichts festzusitzen, klappt es dann doch per App. Die Fahrt nach Regnitzlosau ist in trockenen Tüchern. In 20 bis 30 Minuten soll der Bus wieder hier sein. Es heißt also erst mal warten.
Kurz darauf hält an der Haltestelle ein roter Ford-Kombi in der Champions-League-Edition an, zwei ältere Herren steigen aus. "Wir sind nicht der Landbus", so beantworten sie beim Türöffnen meine unausgesprochene Frage. Aus dem Kofferraum holen sie zwei Wasserkanister und füllen sie am Kirchengebäude gegenüber auf. "Wir pflegen zwei Gräber im Wald, nicht weit von hier, von französischen Soldaten, die 1813 bei der Völkerschlacht der Nationen bei Leipzig verwundet wurden und hier umgekommen sind", sagt einer der beiden. "Das wird seit 200 Jahren so gemacht. Wäre auch eine Geschichte für die Frankenpost", sagt der andere. Ein anderes Mal. Die Landbus-Idee finden sie gut, aber dass mit der App klinge kompliziert. Bis man da was rausgesucht habe - gefahren sind sie deshalb mit dem Bus noch nicht.
In der App verfolge ich den Standort meines gebuchten Taxis - äh, Busses. In Echtzeit um 15.15 erahne ich auf dem Smartphone, wie der Landbus mit dem Kennzeichen HO-KH 35 gleich am Horizont erscheinen müsste. Da ist er. Erleichterung.
Wieder sitzt derselbe Busfahrer darin. "Eigentlich ist meine Schicht seit 14.30 vorbei", sagt er. Das ist nun aber ganz sicher die letzte Fahrt, gibt er mir zu verstehen. Ich solle, wenn ich in Regnitzlosau bin, noch etwas mit dem Buchen warten, sonst könne es passieren, dass die App ihn wieder umdrehen lässt. Bei dem Gedanken, dem ausgelaugt wirkenden Brillenträger bereits genug Umstände bereitet zu haben, stimme ich zu.
In Regnitzlosau, gegenüber der Sparkasse angekommen, treffe ich bei schummerigem Himmel einen alten Klassenkameraden, Daniel Schubert. "Ich finde die Idee klasse", sagt er. Selbst gefahren sei er noch nicht. Nach dem Pläuschchen öffne ich die Hofer-Landbus-App. Die App konzipierte der Berliner Softwarehersteller door2door. Die Firma hat bereits einige Mobilitätskonzepte in ganz Deutschland auf den Weg gebracht. Trotzdem - wieder kein Fahrzeug verfügbar. Leichte Panik. Auf dem blauen, rechteckigen Hofer Landbus-Halteschild kein Hinweis auf eine Telefonnummer, einzig der App-Verweis für Android und iOS. In der Tiefe der neu-programmierten App finde ich nach frustriertem Herumsuchen doch noch eine Telefonnummer. Taxi Hermann 3033. Ich rufe an und schildere meine Situation. Wenigstens regnet es nicht, denke ich mir. Fünf Minuten später kann ich per App die Fahrt nach Wurlitz buchen. Noch 15 Minuten warten.
Mit etwas Verspätung rollt der weiße Kleinbus an. Diesmal ein anderer Chauffeur , daneben sitzt- der vorherige Fahrer. Wir lachen. "Ich muss ihn noch einweisen", sagt der Herr mit nun zwei Überstunden auf dem Buckel. Der neue Busfahrer, Ende 40, in voller Taxi-Uniform samt dazugehörender Mütze, findet das Konzept des Hofer Landbuses gut: "Es gibt immer Anlaufschwierigkeiten, viele Gäste erwarten aber, dass alles gleich funktioniert", erzählt der, dessen Schicht bis 23 Uhr gehen wird.
Nach der recht zügigen, 15-minütigen, Fahrt, die mich im Taxi vermutlich ein Vermögen gekostet hätte, bezahle ich vergnügt läppische drei Euro und steige in Wurlitz aus. Für den Preis - sehr gerne bis zum nächsten Mal.