Altenhof | Die schmale Strickleiter schwankt unter dem eigenen Gewicht bedrohlich hin und her. Immer wieder geht der Blick nach oben. Unmöglich. So fern scheint die rettende Plattform in der Baumkrone, die sich nur noch schemenhaft zwischen den Ästen ausmachen lässt. Dies ist der schwierigste Aufstieg im Hochseilgarten Altenhof. So hat Retter Fynn den Parcour 8 angepriesen. 18 Meter, Strebe für Strebe, geht es zunächst senkrecht in die Höhe. Die Lichtverhältnisse machen den Aufstieg nicht leichter. Es ist mittlerweile stockdunkel in dem kleinen Waldstück. Das ist das besondere am Vollmondklettern. Der Name ist trügerisch. Die dichte Laubdecke lässt den Schein des Mondes so gut wie gar nicht durch.
Seit fünf Jahren findet dieses Event regelmäßig statt. Es ist der zweite Termin in diesem Jahr. Noch bei Tageslicht, um 21 Uhr, trafen die meisten Besucher ein. Rund 130 Kletterer haben sich jetzt neben mir auf die insgesamt elf Strecken verteilt. Links, rechts, oben, unten - nur die Lichtpunkte der vielen Helmlampen verraten ihre Positionen im Wald. Ein Pärchen versucht, den Parcour nebenan mit Teamwork zu meistern. Gut gemeinte Tipps vom Freund. Die Holzbalken unter den Füßen seiner Freundin wackeln. Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen. Ihr Griff um die Seile ist fest. Der Bizeps zeichnet sich ab.
Sieben Mitarbeiter sorgen an diesem Abend für einen reibungslosen Ablauf - und für romantische Stimmung: Fackeln entlang der Wege, Kerzen und kleine Laternen an den Plattformen. Mehr Dekoration als Lichtquelle. Auf dem Dach des kleinen Unterstands, an dem sowohl die Anmeldung als auch die Ausrüstungsausgabe stattfinden, spielt der stellvertretende Chef des Hochseilgartens, Michel Wende, auf einer Gitarre. Psychodelische Klänge schallen durch den Wald, immer wieder durchbrochen von Jubelschreien. Vor allem die schnellen Seilbahnen, die am Ende einiger Parcours auf den Boden zurückführen, lösen Euphorie aus.
Als Retter stehen fünf Mitarbeiter bereit, um scheiternden Kletterern zur Seite zu stehen. Der Gedanke, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, kommt mir das eine oder andere Mal auf dem Weg nach oben. Meine Arme zittern, haben eigentlich keine Kraft mehr. Krampfhaft umklammere ich die Streben mit dem ganzen Unterarm, ziehe mich Zentimeter um Zentimeter hoch. Nur nicht loslassen. Auch wenn Klettergurt und Selbstsicherung mich im Ernstfall natürlich vor einem Sturz in die Tiefe schützen. Im Schein meiner eigenen Helmlampe tummeln sich die Insekten. Mücken, Bremsen. Wer weiß das schon? Irgendwie rückt die Angst vor den Blutsaugern angesichts meiner momentanen Lage in den Hintergrund.
Nach gefühlten zehn Minuten komme ich dann doch oben an. Ich sichere mich am Drahtseil, das um den dicken Baum geschwungen ist, erst den einen Haken, dann den zweiten. Am Ende löse ich den großen goldenen Karabiner und lasse mich auf den Hosenboden fallen. Kräfte sammeln. Meine Muskulatur entspannt sich langsam, gleichermaßen kommt Stolz in mir auf. "Viele scheitern an diesem Aufstieg", sagt Fynn. Er war nach mir die Strickleiter hochgejagt, schon das dritte Mal an diesem Abend. Ich frage nach seinem Rekord: "36 Sekunden". Die richtige Technik erleichtere vieles. das sei an jedem Hindernis im Hochseilgarten so.
Vorsichtig geht mein Blick nach unten, wo meine Kletterpartner für diese Station mit dem beschwerlichen Aufstieg beginnen - Melanie und Alexander Mergler. Auch wenn jeder Besucher eine ausführliche Sicherheitseinweisung erhält, beim Vollmondklettern darf niemand alleine in die Bäume. Auch die beiden sind von hier oben nur als kleine Lichtpunkte zu erkennen.
Was den Krafteinsatz angeht, ist das Schlimmste überstanden. Der Rest des achten Parcours glänzt vor allem durch Nervenkitzel. Über dünne Seilschlingen geht es zur nächsten Zwischenstation. Eigentlich gut, dass es so dunkel ist. Die Tiefe des Abgrunds sieht man so gar nicht. Ein, vielleicht zwei Meter unter den Füßen erkennt man noch Blätter. Das wars. Höhenangst ist hier also mehr als sonst eine reine Kopfsache.
Nach einer regelrechten Wellness-Etappe über ein breitmaschiges Kletternetz wird es dann spektakulär: Die folgende Strecke muss mit einem Fahrrad zurückgelegt werden. Es ist auf einem Drahtseil fixiert, zur Seite kippen kann das orangene Gefährt nicht. Trotzdem kostet es Überwindung, sich auf den Sattel zu schwingen. Wohin geht diese Fahrt? Das Ziel - die nächste Plattform - lässt sich in der Dunkelheit ebenfalls nicht einmal erahnen. Langsam lockere ich meinen Griff an den beiden Handbremsen. Der Blindflug ins Ungewisse beginnt. Und ich spüre wie die Euphorie jetzt auch in mir aufkommt und in einem lauten Freudenschrei ausbricht.
An zwei Turnringen hängend stürzen wir uns schließlich im 45 Grad Winkel wieder gen Waldboden. Sichere Landung. Ein tolles Gefühl. Nur die Beine fühlen sich noch etwas wackelig an. Melanie und Alexander haben sich jetzt noch den Parcour 4 vorgenommen. Statt eines Fahrrads soll es dort ein Skateboard geben, freut sich der 34-Jährige - und folgt dem schmalen Lichtstrahl, den das Helmlicht seiner Frau in einiger Entfernung wirft.> www.hochseilgarten-eckernfoerde.de
von Dana Ruhnke erstellt am 01.Aug.2013 | 04:59 Uhr