Vor zehn Jahren der Absturz der Finanzindustrie, nun die Corona-Pandemie: Jungen Spaniern droht auf dem Arbeitsmarkt ein bitteres Déjà-vu.
Carmen Gómez de Arce hat Erfahrung mit Wirtschaftskrisen. Als im September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging, suchte sie gerade ihren ersten Job. Zuvor hatte sie in Madrid Modedesign studiert, nun hoffte sie auf eine Stelle in der spanischen Textilbranche, etwa bei Inditex, dem Konzern hinter Zara. Nach monatelanger Suche fand sie dort sogar etwas - allerdings nur als Verkäuferin bei der Modekette Massimo Dutti, die ebenfalls zu Inditex gehört. Ihren Einstieg in das Berufsleben hatte sie sich anders vorgestellt.
Heute, zwölf Jahre, sieben Arbeitsplätze und drei Ortswechsel nach der Bankenpleite, die weltweit die Wirtschaft erschütterte, ist die nächste Krise bei der Spanierin angekommen. Gómez ist inzwischen 34. Sie hat eine anderthalbjährige Tochter und ist arbeitssuchend. Diesmal aber nicht wegen einer kollabierten Bank. Diesmal kostete sie ein Virus den Job.
"Während meines Studiums hätte ich niemals gedacht, dass es so kommen würde", sagt Gómez. Doch nun ist sie Teil einer Generation junger Spanierinnen und Spanier, die bereits zum zweiten Mal in ihrem Arbeitsleben von einer schweren Wirtschaftskrise erwischt werden. Anders als in Deutschland kostete die erste, die viel mit überbewerteten Immobilien zu tun hatte, Hunderttausende junger Menschen in Spanien den Job. Damals stieg die Arbeitslosenquote in Gómez' Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen über mehrere Jahre und erreichte 2013 mehr als 50 Prozent. Danach wurde es wieder besser. Doch jetzt droht sich das Drama zu wiederholen.
390.000 Menschen zwischen 20 und 34 Jahren haben in den vergangenen drei Monaten in ihren Job verloren, wie aktuelle Zahlen des spanischen Statistikinstituts zeigen. Carmen Gómez ist nur eine von ihnen. Ihre Generation wollte jetzt - mit Anfang bis Mitte 30 - endlich in ein stabiles Erwerbsleben starten. Und steht erneut vor großer Ungewissheit. Denn das Ausmaß der bevorstehenden Wirtschaftskrise hängt vom schwer vorhersehbaren Corona-Infektionsgeschehen ab. Die Industrieländerorganisation OECD rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Spanien von 11,1 Prozent gegenüber 2019. Das ist fast doppelt so viel wie in Deutschland.
Was den Arbeitsmarkt angeht, ist Spanien aktuell Schlusslicht in Europa. Und es ist nicht das einzige Land, das bis heute die Folgen der Finanzkrise spürt. In anderen Ländern Südeuropas ist die Situation ähnlich. In Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit heute noch bei über 30 Prozent, auch wenn die Arbeitslosigkeit über alle Altersgruppen hinweg seit der Finanzkrise auf 16 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres zurückgegangen war. Und besser dürfte es nicht werden, eher im Gegenteil: Die EU-Kommission erwartet, dass bis Ende 2020 die Arbeitslosenquote in dem Land wieder steigt.
In Italien war die Arbeitslosenquote nie so hoch wie in Griechenland - der Höchststand lag 2014 bei rund 14 Prozent. Laut OECD wird sie Ende des Jahres jedoch wieder auf dem Niveau von 2016 sein. Vier Jahre Erholung wären damit dahin.
Auf die Krise nach der Lehman-Pleite reagierten Gómez und ihr Partner Isaac de las Heras, ein studierter Pädagoge, so wie Menschen weltweit in einer ähnlichen Lage: Sie wanderten aus. 2010 zogen sie nach Edinburgh. Damit waren sie zwei von 133.417 Spanierinnen und Spaniern im Alter von 20 bis 34 Jahren, die zwischen 2009 und 2014 emigrierten. 18 Prozent davon gingen wie Gómez und de las Heras nach Großbritannien, rund zehn Prozent nach Deutschland.
Gómez putzte in einem schottischen Bed & Breakfast, bis sie an die Rezeption durfte. Ihr Partner wusch Teller. Dann wurde seine Großmutter schwer krank - und sie kehrten zurück. "Eigentlich war der Plan, in Schottland zu bleiben. Vielleicht hätten wir uns dann wirtschaftlich verbessert", sagt Gómez und schiebt einen Seufzer hinterher. Aber die wenigsten blieben lange. In Deutschland zum Beispiel blieb die Mehrheit höchstens vier Jahre lang.