Vor einigen Monaten, das Buch "Good Economics for Hard Times" von Abhijit Banerjee und Esther Duflo war gerade erschienen, wurden die Ökonomen in einem Interview gefragt, wovon sie denn redeten, die USA hätten doch nahezu einen historischen Tiefstwert der Arbeitslosigkeit erreicht. Die Forscher erwiderten, dass das mit Blick auf Europa etwas anders aussehe und dass sich Ungleichheit ohnehin nicht nur an Arbeitslosenquoten ablesen lasse. Dem heutigen Leser gegenüber ist solche Rechtfertigung nicht mehr nötig. Die "harten Zeiten" des Buchtitels sind unübersehbar. Allein im April verloren durch die Covid-19-Pandemie mehr als 20,5 Millionen Amerikaner ihre Jobs - so viele, wie seit der Großen Depression in einem Monat nicht mehr.
Die MIT-Wissenschaftler Banerjee und Duflo forschen seit Langem zur Armutsbekämpfung, wofür sie 2019 den Wirtschaftsnobelpreis erhielten. Ihr neues Buch entstand vor der Coronakrise, aber das mindert die Überzeugungskraft der Argumente nicht. Im Gegenteil. Kaum erwähne man, schreiben die beiden Ökonomen, "in einem Raum voller Wirtschaftswissenschaftler eine staatliche Intervention", höre man "leises Hohngelächter." Gegenwärtig lacht kaum noch jemand; staatliche Geldhilfen, auch für Privatpersonen, sind plötzlich weithin akzeptiert.
Nach der Großen Depression, die ein Viertel der US-Bevölkerung arbeitslos zurückließ, begann mit dem New Deal die Auffassung, Armut sei vor allem durch staatliche Eingriffe zu bekämpfen. Erst Ronald Reagan verkündete 1981, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem. Die Reagonomics mit all ihrer Trickle-Down-Treue halten sich bis heute nicht nur im Wirtschaftsdenken Donald Trumps. Die Autoren ziehen eine Parallele zu Duflos marktliberal regiertem Heimatland Frankreich: "Trotz der offensichtlichen Unterschiede erlebt man bei Macron einen sehr Reagan-ähnlichen Ton." (...)
Süddeutsche Zeitung, 28. Juli 2020.
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