Enrico Bartolini, 40, sitzt vor einem abstrakten Gemälde in seinem Restaurant. Es trägt seinen Namen, drei Michelin-Sterne und liegt in der dritten Etage des Museums für Weltkulturen in Mailand. Als die Regierung in Rom am 8. März Norditalien zur Sperrzone erklärte, musste er es schließen, Anfang Juni konnte er wiedereröffnen. Es ist 10.30 Uhr, Bartolini kommt aus der Küche, wo die Arbeit um acht Uhr morgens beginnt. Er erzählt von einem Vierteljahr Lockdown, in dem er das Kochen zu Hause wiederentdeckte - und sich fragte, ob die Spitzengastronomie durch die Pandemie eine andere werden würde.
ZEITmagazin ONLINE: Herr Bartolini, wie kocht es sich mit Maske?
Enrico Bartolini: Daran muss ich mich erst gewöhnen. Abends habe ich diese Abdrücke im Gesicht und meine Ohren tun etwas weh. Es sieht aus wie bei den Ärzten in den Krankenhäusern. Aber es ist natürlich richtig, sie zu tragen. Ich fürchte nur, die Maske verfälscht meinen Geschmack ein wenig, denn der Sauerstoffaustausch ist anders als sonst. Wenn ich koche, passe ich also noch besser auf und probiere noch häufiger.
ZEITmagazin ONLINE: Sie betreiben Restaurants in Mailand und in Bergamo, zwei vom Coronavirus schwer getroffenen Städten. Wie ist die Atmosphäre nach der Wiedereröffnung?
Enrico Bartolini
Im November 2019 holte er - lange nach Gualtiero Marchesi - wieder drei Michelin-Sterne nach Mailand. Er ist Italiens Koch mit den meisten Michelin-Sternen: insgesamt acht, verteilt auf seine Restaurants in Mailand, Bergamo und Castiglione della Pescaia. Außerdem führt er Restaurants in Venedig, Cioccaro, San Felice, Hong Kong und Dubai.
Bartolini: In unserem Ambiente können alle Sicherheitsmaßnahmen problemlos eingehalten werden. Die acht Tische hier in Mailand standen auch vor der schon weit genug auseinander. Doch das allein reicht nicht. Das Virus ist ja nicht einfach verschwunden. Es ist jetzt auch unsere Aufgabe, die Gäste zu beruhigen. Wir müssen ihnen versichern, dass sich hier alle an die Regeln halten.
ZEITmagazin ONLINE: Wie machen Sie das?
Bartolini: Indem wir diszipliniert und organisiert sind. Es gibt zum Beispiel zwei Fahrstühle, die zu meinem Restaurant hier fahren. Die Mitarbeiter, die unsere Gäste empfangen, sagen ihnen über eine Sprechanlage, wenn diese noch unten warten, dass wir alles unter Kontrolle haben, dass der Gang frei ist und dass sie kommen können. Oben angekommen müssen die Gäste ihre Hände gründlich desinfizieren, denn nur so fühlen sich alle sicher. Wir müssen in diesem Moment so handeln und die Gäste auch wirklich so verhätscheln, wie man es mit Kindern macht.
ZEITmagazin ONLINE: Das funktioniert?
Bartolini: Ja, denn gutes Essen hilft, die Regeln kurz zu vergessen. Das kann man sehen. Wir müssen manche Gäste dann aber wieder an die Regeln erinnern. Etwa wenn ein Gast aufsteht, um zur Toilette zu gehen, und vergisst, seine Maske aufzusetzen.
ZEITmagazin ONLINE: Wie anstrengend ist das?
Bartolini: Sehr. Wir hatten in den ersten Tagen Gäste, die nicht unter der Öffnung der Klimaanlage sitzen wollten, weil sie gehört hatten, dass die Anlagen das Virus in der Luft verteilen. Dann müssen wir erklären, dass wir längst ein System haben; dass die Luft, die da rauskommt, mikrofiltriert und hypersauber ist und sicher keine Viren verteilt. In einem Restaurant kann es nie sauber, ordentlich und präzise genug sein. Die Performance aller Mitarbeiter muss perfekt sein - und das immer. Das ist hart. Ein Fußballspieler spielt vielleicht heute Abend das Champions-League-Finale und dann in einer Woche wieder ein anderes Spiel. Wir spielen mittags ein Finale und heute Abend wieder. Physisch und psychisch ist ein Sternerestaurant ein anstrengender Job. Und das gilt jetzt mehr denn je.
ZEITmagazin ONLINE: Die Pandemie hat viele Menschen ärmer gemacht. Das Zehn-Gänge-Menü bei Ihnen im Museum kostet 250 Euro, ohne Getränke. Kommen jetzt nur noch Superreiche zu Ihnen?
Bartolini: Ich denke, wer immer im Luxus gelebt hat, wird das auch jetzt nicht ändern. Wer ein teures Auto besitzt, eine Villa und noch eine am Meer, wird weiterhin essen gehen. Bei Normalverdienern wird es schwieriger, sie werden abwägen müssen, sie brauchen Zeit. Unser Restaurant ist teuer, für viele fast unerreichbar teuer, aber es steht eben im Verhältnis zu dem, was wir bieten. Hier arbeiten 25 Menschen für acht Tische, 16 bis 40 Gäste. Hohe Qualität kostet, ich kann da keine Kompromisse machen. Wir Köche sind Handwerksmeister, deshalb arbeiten wir hier von acht Uhr morgens bis 24 Uhr.
ZEITmagazin ONLINE: Die Wirtschaftskrise trifft das Gastgewerbe in besonders hart. Wie geht es Ihnen wirtschaftlich?
Bartolini: Drei Monate mussten viele Gastronomen ihre Betriebe schließen, bekamen kaum Informationen, wie es weitergehen sollte, und mussten um staatliche Hilfen bangen, die es nicht gleich gab. Die Regeln, die zunächst für Restaurants erlassen wurden, wurden von Behördenmitarbeitern entwickelt, die noch nie in einem Restaurant gekocht haben. Wie soll ein Kellner einen Meter Abstand zu einem Gast halten, wie es erst verordnet wurde? Soll er den Teller auf den Tisch schmeißen? Das hat vielen in der Branche Angst eingejagt. Wir haben unglaublich hohe Mieten zu bezahlen und wenn wir in drei Jahren etwas verdient haben, dann reicht das kaum, um uns über diese drei Monate zu halten. Es gibt jetzt zwar neue Hilfspakete, die die Wirtschaft ankurbeln sollen, aber das ist auch nur eine Geste, die uns ein bisschen schützt, aber nichts löst.