Vor welchen Herausforderungen steht Europa, und wie kann man diesen begegnen? Darüber referierte Alt-Bundespräsident Heinz Fischer beim 20. Europaforum gestern in der Diplomatischen Akademie in Wien. Zur Wahl des US-Präsidenten Donald Trump prophezeit Fischer, „dass sich das Klima zwischen Europa und den USA in den nächsten Jahren eher abkühlen als erwärmen wird".
Fischer ist überzeugt, dass Trump „America first" größer schreiben werde als jeder Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg. Würde die Kooperation mit den USA loser werden, müsste man sich selbst verteidigen. Dennoch glaubt Fischer nicht, dass die NATO von Trump in Gefahr gebracht wird. Eine Auswirkung der US-Wahl auf die Bundespräsidentenwahl sieht Fischer nicht, aber er mahnt auch, „dass man populistische Tendenzen nicht unterschätzen darf".
Wunsch nach „Atempause" für EU
Die Europäische Union stehe vor einer Vielzahl von schwierigen Aufgaben, aber Krisen machen es notwendig, noch stärker zusammenzuarbeiten und sich solidarisch zu zeigen. Fischer appellierte, einen kühlen Kopf zu bewahren: „Ich halte nichts davon, Krisenszenarien zu überspitzen oder den Teufel an die Wand zu malen."
Die größte Herausforderung der EU sieht Fischer in der Flüchtlingskrise, die sich auch auf die öffentliche Meinung auswirkt. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sei eine intensive und funktionsfähige Zusammenarbeit nötig und Fairness zwischen den EU-Ländern. Angesichts aktueller Entwicklungen, wie dem „Brexit"-Votum und aufstrebendem Populismus, wünscht sich Fischer eine Atempause für die EU.
„So nicht"-Signal an Türkei gefordertEine andere strategische Herausforderung liege darin, ein stabiles Verhältnis zu Russland aufzubauen. „Die Europäische Union sollte nicht aus den Augen verlieren, dass die Entwicklung der NATO aus der Sicht Moskaus anders empfunden wird als aus der Sicht Washingtons oder Brüssels", analysierte Fischer. Russland seinerseits müsse stärker darauf Rücksicht nehmen, wie militärische Handlungen die europäische Öffentlichkeit irritieren könnten.
Wichtig sei auch das strategische Verhältnis zwischen der EU und der Türkei, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden dürfe. Seit den jüngsten Parlamentswahlen gebe es aber dramatische Veränderungen, die den Abstand zwischen der EU und der Türkei größer machen. „So wie die Dinge jetzt liegen, können solche Verhandlungen ja nicht ernsthaft geführt werden", sagte Fischer, aber „man muss sie nicht irreparabel abbrechen, nur das Signal muss eindeutig lauten: So nicht!"