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Porträt - Terrorwarnung in Bayern

Porträt Olivier Ndjimbi-Tshiende wurde von der CSU beschimpft und erhielt Morddrohungen. Jetzt gibt der Pfarrer auf

Zorneding bei München präsentiert sich auf seiner Homepage als bayrisches Idyll. Kinder in Trachten spielen händchenhaltend auf der Gemeindewiese, ein Kirchturm thront vor blauem Himmel. Hier trat ein Pfarrer kongolesischer Herkunft vor vier Jahren sein Amt an. Er fühlte sich, wie er noch vergangenen Sonntag in seiner Predigt versicherte, „gut und freundlich" aufgenommen. Jetzt tritt Olivier Ndjimbi-Tshiende zurück und verlässt die Stadt. Rassistische Stalker haben ihn monatelang mit Morddrohungen terrorisiert. „Nach der Vorabendmesse bist du fällig" oder „Ab mit dir nach Auschwitz" stand auf Postkarten und in Briefen.

Ndjimbi-Tshiende ist Deutscher. Er zog 1986 aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo nach München, wo er als Kaplan arbeitete, Philosophie studierte und sich später auf dem Gebiet der Werteethik habilitierte. 2011 nahm er dann die deutsche Staatsbürgerschaft an, weil er sich „hier zu Hause" fühlte, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte. In einem Leserbrief äußerte er sich besonders begeistert über Angela Merkels Flüchtlingspolitik: „Sie wissen, dass die Ereignisse in dieser Welt sich wiederholen, aber nicht ewig sind, Sie wissen, dass die Erde uns allen gehört, gleichsam die Früchte dieser Erde, Sie wissen, dass keine Grenzen zum Helfen gezogen werden dürfen, sondern dass diese sich selbst zeigen."

Die verstörenden Anfeindungen gegen den Pfarrer begannen im vergangenen Oktober, nachdem er in seinen Predigten und Interviews Stellung zu den rassistischen Äußerungen der damaligen CSU-Ortsvorsitzenden von Zorneding Sylvia Boher genommen hatte. Sie hatte in der Rubrik „Kritisch angemerkt" im regionalen Parteiblatt Zorneding-Report über eine „Invasion" von Flüchtlingen geschrieben und solche aus Eritrea generell als „Militärdienstflüchtlinge" bezeichnet. Verbale Entgleisungen zu dem Thema haben bei Boher Tradition: Schon 1997 schrieb sie von Asylbewerbern, die sich „auf Kosten der deutschen Beitragszahler die Zähne sanieren lassen oder Stammesfrisuren für viel Geld vom Sozialamt" bezahlt bekämen. Ihr Stellvertreter Johann Haindl übertraf die Hetze in der Ebersberger Ausgabe des Münchner Merkur dann noch mal an Geschmacklosigkeit: „Der [Olivier Ndjimbi-Tshiende] muss aufpassen, dass ihm der Brem [Altpfarrer von Zorneding] nicht mit dem nackerten Arsch ins Gesicht springt, unserem Neger."

Ndjimbi-Tshiendes Reaktion auf die Hetze aus der CSU fiel gefasst aus. Er bekundete Mitleid mit der örtlichen CSU-Chefin Boher. Ihm war es wichtig, zwischen ihrer Person als Mensch und ihren Äußerungen zu unterscheiden - da diese „nicht auf aktuelle Tatbestände, sondern nur auf Emotionen aufgrund falscher Wahrnehmungen" bezogen seien. Nachdem die Wirtschaftsministerin Ilse Aigner das Verhalten ihrer Parteikollegen als inakzeptabel verurteilte, traten Boher und Haindl zurück - ohne Entschuldigung. Dass der Pfarrer nun vor dem Rassismus kapituliert, kommentierte Sylvia Boher so: „Im Leben gibt es immer Ankünfte und Gehen. Das ist ein normaler Prozess." Der bedrohte Pfarrer mochte sich nicht mehr äußern.

Aigner bezeichnete es diese Woche in einer Erklärung als „böswillig", den Skandal mit der CSU in Verbindung zu bringen. Das sehen viele Menschen anders. Angelika Burwick etwa, Vorsitzende des Helferkreises für Flüchtlinge in Zorneding, trat nach den Anfeindungen aus der CSU aus. Der Rücktritt des Pfarrers überraschte sie trotzdem: „Ich bin aus allen Wolken gefallen. Ich kann es nicht nachvollziehen, wie so was in Zorneding möglich ist", sagte sie dem Freitag. Ndjimbi-Tshiende empfand sie als Bereicherung für die Gemeinde: „Er ist ein sehr gelehrter Mensch, und es macht viel Spaß, sich mit ihm zu unterhalten." Von den Anfeindungen will sie nicht auf die Grundstimmung im Ort schließen lassen: „Wir haben 9.000 Einwohner und einen Helferkreis von weit über 150 Personen für aktuell 50 Flüchtlinge. Die Stimmung ist Flüchtlingen gegenüber unglaublich offen." 2014 machte Zorneding allerdings bereits einmal mit Rassismus Schlagzeilen. Als die Leiterin der Grundschule unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Klassenzimmer bereitstellte, wiesen die Betreiber einer islamfeindlichen Internetseite darauf hin. Die Frau bekam eine Reihe aggressiver Mails, der Staatsschutz ermittelte.

Auch Olivier Ndjimbi-Tshiende musste in der Vergangenheit gravierende Erfahrungen mit deutschem Rassismus machen. In Restaurants wurde er nicht bedient, ein Mitarbeiter in der Pfarrei Buch am Erlbach wollte nicht „unter einem Neger" arbeiten. Ein junges Ehepaar weigerte sich, sein Kind von einem Pfarrer afrikanischer Herkunft taufen zu lassen. Sein Amt in Zorneding trat er 2012 trotzdem hoffnungsvoll an. In seinem Vorstellungstext formulierte er seine „Vision für die Gemeinde": „Wo Menschen sind, entstehen auch Probleme, diese sind mit der Vernunft zu lösen, Emotionen lassen eher die Lage explodieren." Die guten Wünsche des Zorneding-Reports der CSU an den Pfarrer klangen da schon seltsam zweideutig: „In Büchern, allen voran der Bibel, findet er wohl Hilfe und Kraft, an der Zornedinger Alltagsfront siegreich zu bestehen."

Ndjimbi-Tshiende will nicht mehr kämpfen. Der Philosoph hat Sachtexte über die Entwicklung des moralischen Gewissens veröffentlicht, jetzt ist seine Schmerzgrenze offenbar erreicht. „Ich weiß, dass er Angst hatte", berichtet Angelika Burwick. Die Online-Petition „Unser Pfarrer soll in Zorneding bleiben" haben in wenigen Tagen über 34.000 Menschen unterschrieben. Olivier Ndjimbi-Tshiende aber wird seine Entscheidung lange durchdacht haben. In seiner letzten Predigt sprach er von seiner großer Erleichterung. Er wird die Gemeinde Ende März verlassen.

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