In seinem Debütfilm Krisha porträtiert Trey Edward Shults eine drogensüchtige Mutter, die an Thanksgiving ihre Familie um Vergebung bittet und sich von der Suche nach Schuldigen nicht freimachen kann.
Eine ältere Frau mit schneeweißen Locken steht mit starrem Blick vor der Kamera. Sie atmet schwer und scheint all ihre Kraft darauf zu verwenden, sich unter Kontrolle zu halten. Zu bedrohlichem wummerndem Sounddesign bewegen wir uns langsam auf sie zu, erkennen bald jede noch so klein verästelte Falte in ihrem von Schmerz gezeichneten Gesicht. Dann rollt eine dicke Träne aus einem tiefblauen Auge ihre Wange herab. Sie hat den Kampf verloren.
Die Frau heißt Krisha (Krisha Fairchild) und wird von der Tante des Regisseurs Trey Edward Shults verkörpert, der seinen gleichnamigen Debütfilm mit sehr geringem Budget im Haus seiner Mutter gedreht hat. Die spielt im Film Krishas Schwester, er selbst den Sohn der drogensüchtigen Frau, die nach einer langen Phase der Abwesenheit und Rehabilitation zum Thanksgiving-Fest in die Familie zurückkehrt, um alte Wunden zu heilen. Dazu reißt Shults sie zunächst alle wieder auf - langsam und schmerzhaft. Er zeigt seine Protagonistin, wie sie mit dem Auto vorfährt, und lässt sie in einer langen aufsichtigen Kamerafahrt mit ihrer Verlorenheit und nervösen Unsicherheit allein. Nach einem fluchreichen Selbstgespräch findet sie schließlich ihr Ziel, die Kamera senkt sich zu ihr herab und heftet sich nun an ihre Fersen. Immer wieder muss Krisha sich beruhigen, tief durchatmen und den Fluchtinstinkt unterdrücken, der die fahrige Körperlichkeit der Schauspielerin bestimmt. Die erste Umarmung mit ihrer Schwester findet über einem Hundezaun statt, eine äußere Grenze, die die Begegnung mit dem Sohn in ihrer bitteren Unbeholfenheit nicht mehr nötig hat.
Zerreißprobe Thanksgiving
Shults bleibt audiovisuell immer bei seiner Heldin und fügt ihrer gezwungenen Contenance durch schnelle Schnitte, kippende Kameraperspektiven, Vertigo-Effekte und chaotische Sounduntermalung immer mehr Risse zu. Er fordert den Zuschauer, weil Krisha überfordert ist, und findet dabei immer das richtige Maß. Kurz bevor die hektischen Trommeln, das spitze Piano, die dumpf rauschenden Soundeffekte und schwindelerregenden Bildrotationen nicht mehr zu ertragen sind, erlöst uns die Kamera und wischt mit einem schnellen Schwenk die Szene hinweg. Die Befreiung ist dabei freilich immer nur temporär, in Krisha und der Familie brodelt es weiter, so schön der kurzzeitige Frieden auch scheinen mag, in dem lustiger Smalltalk, harmlose Machtspiele und ein generell vermeintlich zwangloses Miteinander Hand in Hand gehen.
Shults versteht es, die Thanksgiving-Klischees aus den zahlreichen Hollywood-Feel-Good-Filmen, die rund um den Feiertag spielen, als Referenz zu nutzen und in ihr Gegenteil zu verkehren. Krishas Rolle als Störelement und Außenstehende ermöglicht es ihr, als Einzige hinter die Fassade der anderen Familienmitglieder zu blicken und durch halboffene Türen Geheimnisse zu erfahren, die zwar nicht gravierend sind, aber, weil sie so zwanghaft unter den Teppich gekehrt werden, die Situation verstärkt anspannen. Lange Gespräche, die als vielversprechende Grundlage für emotionale Aufarbeitung beginnen, werden mit fragmentierten Szenen von Alltagshandlungen unterschnitten, die trotz ihrer scheinbaren Beiläufigkeit Krisha, die diese Art von familiärem Alltag nicht mehr gewohnt ist, auf eine ständige Geduldsprobe stellen. So bleibt immer offensichtlich, dass diese Gespräche nicht für sich stehen können - sie müssen im Zusammenhang mit all den Beklemmungen und Enttäuschungen aus der Vergangenheit gesehen werden, die im Hinterkopf aller Beteiligten lauert. In diesem Mindset wirkt es denn auch vollkommen dynamisch, wenn sich die Unterhaltung schließlich in einen von Frustration durchwachsenen Schlagabtausch verwandelt.
Neben all diesen stilistischen Feinheiten ist es aber die kompromisslose Performance von Krisha Fairchild, die den Film durch Mark und Bein gehen und unvergesslich werden lässt. In ihren tiefen Tränensäcken sammelt sich all der Schmerz, den sie ihrer Familie zugefügt und gleichzeitig in sich selbst konserviert hat. Nach gezwungenen Versuchen zu Beginn, den Teufelskreis der An- und Entschuldigungen zu durchbrechen, wandelt sie sich im Laufe der Handlung mehr und mehr zur Personifizierung von Albert Einsteins berühmter Definition von Wahnsinn, indem sie immer wieder das Gleiche tut und ein anderes Ergebnis erwartet. Dieser Prozess entwickelt sich von nervösem Optimismus über selbstgeißelnde Verbissenheit bis zu schierer Verzweiflung und offenbart schließlich ein gebrochenes Individuum, dessen größter Feind nicht die anderen, sondern der übermächtige Drang zur Selbstzerstörung bleibt.