Die palästinensischen Zwillinge Tarzan und Arab Nasser zeigen den Alltag im Gazastreifen durch den Spiegel eines Tages im Schönheitssalon.
Im bunten Setting eines wenig luxuriösen Salons wartet eine Reihe von Frauen verschiedener Altersklassen darauf, verschönert zu werden. Sie alle sind an diesem sonnigen Nachmittag aus verschiedenen Gründen gekommen. Eine Braut (Dina Shuhaiber) sitzt schon auf dem Stuhl, während ihre Schwiegermutter in spe ihr im Spiegel böse Blicke zuwirft und ihre Mutter daneben unter Atemschwierigkeiten leidet. Eine verschleierte Muslima begleitet ihre Freundin mit wilden Locken, die ihr rät, sich doch mal schön waxen zu lassen, und eine dunkelhaarige Frau mit verkniffenem Blick (Hiam Abbass) will sich in möglichst jugendliche Form bringen, um ihren Scheidungsanwalt zu verführen. Die Arbeit am Gast verrichten eine Russin (Victoria Balitska), die Besitzerin des Ladens, und eine junge Palästinenserin (Maisa Abd Elhadi), die zwischen Enthaarungen diverser Körperteile immer wieder mit feuchten Augen auf ihr Handy schaut und zahlreiche Streitgespräche mit ihrem Geliebten führt, der, mit seinem Löwen an der Leine und dem Maschinengewehr auf dem Rücken, vor dem Geschäft herumlungert und zwischendurch unangenehme Begegnungen mit Hamas-Mitgliedern erlebt. Die junge Frau begleitet die Kamera für ein kurzes Intermezzo vor die Tür - ansonsten bleibt die Welt von Dégradé auf den Schönheitssalon beschränkt, der aber mit facettenreichen Repräsentantinnen der palästinensischen Einwohnerinnen bevölkert ist.
Unverschleierter Mikrokosmos
Die Regisseure und Zwillingsbrüder Tarzan und Arab Nasser fangen das sympathische Durcheinander mit einer lebhaften Kamera ein, die überall gleichzeitig zu sein scheint. Das pausenlose Geplapper der Frauen wird zu Beginn des Films noch von zackig-monotoner Berichterstattung eines Fernsehers begleitet, der dann aber auf Aufforderung ausgeschaltet und von schnulziger Musik abgelöst wird. Auch die gefällt den Frauen nicht - die Zuschauer können aufatmen. Jetzt kann die Konversation ihren eigenen Rhythmus entwickeln. Themenabschnitte werden im Schnelldurchlauf gewechselt, ohne dass sich ein Gefühl von künstlicher Stichwortgeberei aufdrängt. Der Humor in Dégradé entsteht durch die Ehrlichkeit, die unerwartete Promiskuität dieser Frauen, die sich vor jedem Gang nach draußen das Haar bedecken müssen, und durch ihre Blicke, die abschätzend und spöttisch hin- und hergeworfen werden und dabei immer wieder Umwege über die diversen Spiegel machen. Auf konstante Achsen können die Regisseure dabei keine Rücksicht nehmen, was bei dem kleinen Setting aber nicht zu Desorientierung führt und eher charmant wirkt, weil es die chaotische Atmosphäre noch verstärkt.
Der Krieg vor der Haustür
Die Außenwelt dringt mit vereinzelten Einstellungen durch die staubige Glastür, vor allem aber auf der Tonebene ins Geschehen. Männer rufen regelmäßig an, kommen aber mit Ausnahme des Liebhabers (gespielt von Tarzan Nasser) nicht zu Wort. Knalleffekte, die zusammenzucken lassen, sind zuerst das Produkt von Kinderspielen und werden später zu harter Kriegsrealität. Bis es aber so weit ist, muss im Salon noch einiges passieren, und leider geht den Regie-Brüdern nach dem sehr gelungenen Einstieg ein wenig die Puste aus. Nachdem die Rollen etabliert sind, politische Zusammenhänge angerissen wurden und man das ein oder andere Geheimnis erahnen kann, das sich hinter der Fassade der Frauen verbirgt, verliert sich die Handlung in Wiederholungen und - gerade bei der schon für sich aussagekräftigen Figurenkonstellation - unnötigen Zuspitzungen.
Über dramaturgische Versäumnisse trösten auf visueller Ebene aber immer wieder die punktgenau gewählten Bildausschnitte hinweg. Wenn sich im Vordergrund zum Gebet verbeugt wird, setzen im Hintergrund die Wehen ein, und ein melancholisch abgestreifter BH-Träger über einem alternden Körper beschämt die junge Frau dahinter. Ein roter Lippenstift kann das Selbstbild verändern, blaue Flecken den Wert einer angespannten Freundschaft bestärken und ein in der Krise übergezogenes Brautkleid neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben. In diesen Momenten übertragen sich all die Konflikte, Absurditäten und auch die raue Schönheit, die die Filmemacher über das widersprüchliche Leben im Gazastreifen erzählen wollen.