In seinem Debütfilm lässt Andrew Cividino auf der Leinwand und in seinen drei jungen Protagonisten Natur und Zivilisation aufeinander los.
Sleeping Giant beginnt unvermittelt und mitreißend. Bevor der Zuschauer weiß, wie ihm geschieht, fliegt er schon auf dem Rücken der Kamera über die Weiten des kanadischen Lake Superior hinweg, begleitet von schnellen, an Stammesmusik erinnernden Trommeln. Chöre setzen ein, die Intensität verdichtet sich, im Schnellflug geht es auf das Ufer zu. Plötzlich herrscht Stille - dann quietscht eine Schaukel. Das Bild steht, und die Natur wird durch einen künstlich angelegten Kinderspielplatz ersetzt. Nur dass hier keine Kinder schaukeln, sondern drei heranwachsende Jungs, deren Spiel alles andere als sorglos wirkt. Zum Anschubsen wird alle Kraft verwendet, die zur Verfügung steht, und nach einem kurzen Plausch über schulische Verfehlungen muss der Rest in einer Rauferei am Strand verbrannt werden. Die sehnigen Körper der Jungen bewegen sich dabei ungelenk, und in ihrer Verbissenheit, den anderen niederzuringen, bleibt keine Zeit für die Suche nach dem eigenen Gleichgewicht. Das Spiel endet mit einer Grenzüberschreitung - der ersten von vielen, die noch folgen werden.
Die Cousins Nate und Riley leben bei ihrer Großmutter am Lake Superior, dem größten See Nordamerikas. Die Landschaft besticht durch ihre dichten Wälder, rauen Klippen und den See selbst, der das Leben im Ort mit dem Geräusch seiner vermeintlich friedlichen Wogen begleitet. Die beiden 15-Jährigen blicken durch ihre zu langen Ponys skeptisch auf die Welt um sie herum, die regelmäßig eine neue Enttäuschung für sie bereitzuhalten scheint. Nur zueinander haben sie Vertrauen und lassen hin und wieder auch die Konfrontation mit Unsicherheiten zu. Diese Dynamik wird gestört, als Adam, ein sanfter, gebildeter Junge, zu ihnen stößt, der mit seinen Eltern regelmäßig den Sommer am See verbringt. Während Riley sich von dessen Sensibilität angezogen fühlt, provoziert die Passivität bei Nate Aggression, die zurückhaltend, aber wirksam platziert wird.
Adam ist von der Welt der Jungs, die so viel wilder als seine eigene scheint, fasziniert, und für eine Weile geben die drei sich der Ekstase der Illusion von Freiheit hin, deren Schlüsselszenen Cividino in Zeitlupe abbildet und mit erhebender Indie-Rockmusik unterlegt. Subtil ist das nicht, zielführend aber schon, denn es vermittelt die Momente des Gefühls von Freude, Abenteuer und Unbesiegbarkeit, die in der Pubertät real und später nur noch kitschig erscheinen. In diesen Momenten ist Sleeping Giant bunt, laut und roh, doch das Tempo wird stets bald wieder gedrosselt, mit stillen Naturaufnahmen, die die emotionalen Aufs und Abs dieser kleinen Menschen, die in ihr leben, in eine bescheidenere Perspektive rücken. Untersichtig zeigt die Kamera, wie die drei Jungs nur die Wälder streifen und auf Klippen stehen, und bildet damit ihre Ohnmacht vor und Faszination von der Welt gleichermaßen ab.
Die bröckelnde Dreierkonstellation der Heranwachsenden steht vor einer weiteren Belastungsprobe, als auch der gutgläubige Adam begreift, dass seine Eltern nicht frei von Abgründen sind und sich das allwissende Gesicht seines Vaters vor seinen Augen in eine hässliche, fischgrätenkauende Fratze verwandelt. Es wird allerdings noch lange dauern, bis sich dieser passive Protagonist aus seiner Haut wagt, und ihm Szene für Szene dabei zuzusehen, wie er zögert - seine Mimik bei jeder Konfrontation auf eine nachvollziehbare Reaktion zu überprüfen und immer wieder enttäuscht zu werden -, das entwickelt sich zu einer harten Geduldsprobe. Cividino ist mit seiner Hauptfigur ein Risiko eingegangen, was sich trotz aller Irritation für den ansonsten recht konventionell gebauten Coming-of-Age-Film als kluge Entscheidung herausstellt. Bei aller Brutalität, die Nate ausstrahlt, ist es so schließlich Adam, dessen Verhalten für den Zuschauer am schwersten vorauszusagen ist und zum Element der Spannungserhaltung wird. Er bleibt ein Fremdkörper, sowohl zwischen den schlaksigen Cousins, weil er stärker und gleichmäßiger proportioniert ist und sein Gesicht weiblich anmutende Züge hat, als auch in der Landschaft, mit der er sich zwar verbunden fühlt, die ihm vor allem aber Angst macht und ihm Grenzen aufzeigt, von denen er vorher noch nicht wusste, dass er sie eigentlich kurz und klein schlagen will.
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