Syllas Tzoumerkas lässt ein politisch und privat vergiftetes Griechenland in Flammen aufgehen.
Seit 2009 steht das verschuldete Griechenland im Zentrum der Eurokrise, und auch in den Filmen des Landes, die seitdem auf den internationalen Festivals gezeigt wurden, ist dieser Umstand allgegenwärtig. Beispiele sind etwa die Filme von Giorgos Lanthimos - Dogtooth ( Kynodontas, 2009) konnte die Cannes-Nebensektion „Un Certain Regard" gewinnen, ( Alpeis, 2011) wurde in Venedig für das beste Drehbuch ausgezeichnet - oder Standing Aside, Watching ( Na kathesai kai na koitas, 2013) von Giorgos Servetas, der 2014 in der Panaroma-Sektion der Berlinale lief. Als Bezeichnung für diese Bewegung ist der Begriff „Greek Weird Wave" im Umlauf. „Weird" soll sich wohl auf die teilweise absurd anmutenden Dialoge beziehen, ist aber als zusammenfassende Beschreibung trotzdem irreführend. Schließlich handelt es sich um eine Filmgeneration, bei der das zentrale Merkmal eher inhaltlicher als stilistischer Natur ist.
Während Krisenthemen wie der Generationenkonflikt und die persönliche Ohnmacht in einem Umfeld, das keine Chancen mehr zu bieten hat, in Dogtooth oder Athina Rachel Tsangaris (2010) in einem metaphorischen Mikrokosmos erzählt werden, geht es in A Blast - Ausbruch definitiv konkret zu. Die Wirtschaftskrise wird ständig thematisiert, im Radio, im Fernsehen, in Gesprächen miteinander. Wie eine dunkle Gewitterwolke liegt sie über den Bemühungen der jungen Maria (Angeliki Papoulia), trotz eines abwesenden Ehemanns und eines aggressiven Umfelds ihre drei Kinder aufzuziehen und gleichzeitig die Familie vor dem Bankrott zu bewahren. Syllas Tzoumerkas kehrt dieses Motiv auf visueller Ebene allerdings ins Gegenteil um und lässt seine hilflosen Protagonisten nicht durch triste Schattenlandschaften, sondern durch gleißendes Sonnenlicht hasten - in dem all ihre Sorgen, Ängste und Verfehlungen sichtbar werden.
In stilistischem Kontrast dazu steht die Darstellung einer Zeit in Marias Leben, als sie die Abgründe im Land und in den Menschen um sie herum noch erfolgreich verdrängte, als ihre Wünsche und Träume von der Außenwelt getrennt existierten. In Rückblenden zeigt Tzoumerkas, wie Maria und ihr späterer Mann Yiannis (Vassilis Doganis), sich in einem Raum ohne Fenster, schwach beleuchtet und in warmen Farben gehalten, immer wieder lieben. Leidenschaftlich, aber sehr zärtlich geht das junge Paar miteinander um, schmiedet Pläne für die Zukunft, schwört utopische Schwüre. Immer wieder wird der Haupterzählstrang durch diese Ebene unterbrochen, doch je dramatischer die Ereignisse in der sonnendurchfluteten Gegenwart werden, desto mehr bröckeln auch die Wände der vermeintlich harmonischen Liebeshöhle der Vergangenheit. Die Grenzen zwischen Leidenschaft und Brutalität verschwimmen zunehmend, Liebeserklärungen werden zu Machtdemonstrationen.
Gegen Gewalt hat die Liebe in Tzoumerkas' Griechenland generell keine Chance, genauso wenig wie Vernunft, Gesetze oder Familienbande. Letztere sind bei Maria zum Bersten gespannt. Auf gemeinsame Freude zwischen Geschwistern folgen unmittelbare Schläge, die zwar harmlos gemeint sein mögen, aber Rückschlüsse auf eine soziale Struktur nahelegen, deren destruktive Auswirkungen im Filmverlauf immer extremere Züge annehmen. Verbale und physische Backpfeifen werden in A Blast en masse verteilt, Eltern schlagen ihre Kinder, die ihnen wiederum den Hintern versohlen. Emotionale und wirtschaftliche Lasten, die die ältere Generation der jüngeren hinterlassen hat, verschwimmen und werden zu einem riesigen Brocken Feindseligkeit, auf den Maria in ihrer Verbissenheit, die Katastrophe nochmal abzuwenden, trotzig eindrischt, als wollte sie ihn mit bloßen Händen zerschlagen, wohlwissend, dass sie eigentlich chancenlos ist.
Angeliki Papoulia spielt die Protagonistin stets kampfbereit, egal ob sie gerade auf einen Boxsack einschlägt, einen Nazi verprügelt, in dessen Obhut sie ironischerweise ihre Kinder lässt, oder mit ihrem Mann telefoniert, der monatelang auf See arbeitet. Neben grimassenhaften und völlig überspitzten Ausbrüchen von Fröhlichkeit blitzt in ihrer überwiegend starren Mimik nur ab und zu eine melancholische Traurigkeit auf, doch diese Momente bleiben der Kamera, die ihr immer nah sein will, in hektischen Momenten hinter ihr herhuscht und sich in ruhigen genaustens ihr Gesicht ansieht, nicht verborgen. Sie lassen eine andere Maria erahnen, eine die uns auf keiner Handlungsebene gezeigt wird. Eine Maria irgendwo zwischen der Flucht in utopische Wunschvorstellungen, abgeklärter Resignation und wütenden Ausbrüchen. Eine, die noch Schmerz empfinden kann, weil sie sich Hoffnung bewahrt hat - eine, die in dieser Gesellschaft, so scheint es uns A Blast zu sagen, nicht überleben könnte.