Sonja Heiss deprimiert in ihrem neuen Film eine sympathische Mittelschichtsfamilie und gelegentlich die Zuschauer, sieht dabei aber sehr genau hin.
Sehr fernsehtauglich steigt Regisseurin Sonja Heiss in Hedi Schneider steckt fest ein: Fröhliches Geklimper aus dem Off begleitet eine quirlige Frau (Laura Tonke), die flott, aber selig durch die Stadt radelt. Die Frau heißt Hedi, und es dauert keine fünf Minuten, bis der Titel des Films verbildlicht wird. Hedi Schneider steckt im Aufzug fest und fühlt sich dort plötzlich von ähnlicher Musik genervt, der bis kurz vorher noch die Zuschauer ausgesetzt waren. Mit Symbolik dieser Art wird auch im weiteren Verlauf großzügig umgegangen: Suizidale Kollegen heißen mit Nachnamen Schild, Spielzeugflugzeuge stürzen zusammen mit Emotionen ab, in Plastikplanen werden Fenster geschnitten, wenn ein Lichtblick dringend nötig ist.
Überspitzungen
Als öffentlich-rechtlicher Fernsehzuschauer ist man an solche Mittel gewöhnt, aber auf der Leinwand kann man sich davon schnell bedrängt fühlen. Die komischen Elemente im Film heben diese Entfremdung zu Beginn allerdings meistens noch wieder auf - mal gehen sie mit den Überspitzungen Hand in Hand, dann nehmen sie ihnen durch leichte Ironisierung die Aufdringlichkeit. Dem kommt vor allem Laura Tonkes Feinsinn für Timing zugute, mit dem sie gerade in unaufgeregten Szenen glänzen kann: wenn sie leise und leicht entrückt mit ihrem Chef spricht oder dem Stofftier ihres Sohnes eine Spritze gibt, damit sich die Krankheit nicht ausbreitet. Diese Momente ereignen sich, kurz bevor Hedi von einem plötzlich Depressionsschub völlig aus der Bahn geworfen wird. In ihnen offenbart sich eine tragikomische Figur, die Schwermut und Leichtigkeit gleichermaßen ausstrahlt, während sie vorher mit mädchenhafter Kleidung, hoher Stimme und hohem Pferdeschwanz permanent darauf hinzuweisen scheint, dass so ein Sonnenschein doch wohl nicht depressiv werden kann.
Die Angst vor der Angst
Natürlich kann er, und die Plötzlichkeit des emotionalen Umschwungs reißt mit und verstört. Ab jetzt hat Sonja Heiss die schwierige Aufgabe, einen Krankheitsverlauf zu inszenieren, von dem jeder irgendeine Vorstellung hat, der tatsächlich aber von Patient zu Patient sehr unterschiedlich aussieht. Hedi erlebt ihren in einer Blase, zu Hause bei ihrem Mann und einem immer enttäuschter werdenden Sohn. Das soziale Umfeld bleibt fast ausschließlich auf die Menschen in der eigenen Wohnung begrenzt, und diese Entscheidung hat den positiven Effekt, dass keine Zeit mit spontanen und austauschbaren Reaktionen von Mitmenschen vergeudet wird, sondern die Filmemacher sich auf die unmittelbarsten Auswirkungen der Krankheit konzentrieren können. Die Hilflosigkeit und Wut von Sohn Finn und Mann Uli (Hans Löw) reichen aus, um die vielen Wellen spürbar zu machen, die eine Depression ins Umfeld schlagen kann. Uli ist von all dem am stärksten betroffen, dieser freundliche charmante Mann, der einen Scheiß-Job macht, um bald nach Gambia reisen zu können und dort einen guten Job zu machen, der zwar ebenfalls schlecht bezahlt wird, aber zumindest sinnvoll erscheint. Hedi macht auch einen Scheiß-Job, findet das aber okay, bis sie mit einer Panikattacke auf dem Küchenfußboden liegt und nicht weiß, wovor sie eigentlich Angst hat.
Entwicklungshilfe in der Familie
Uli strebt nach einem modernen Traum des Bürgertums: Bedürftigen helfen, nicht zu Hause, möglichst irgendwo in Afrika, wo es den Leuten richtig mies geht, wo man vielleicht nicht von oben, zumindest aber von außen Ratschläge gibt, unter Arme greift, die Stirn in Falten legt, aber selber auf Distanz bleiben kann, wenn alles zu viel wird. Wo die Menschen sich freuen, wenn man hilft, weil auf der Hand zu liegen scheint, was gebraucht wird. Als die Hilflosigkeit aber im eigenen Haus einzieht, stößt das Mitgefühl schnell an Grenzen, die in einer Gesellschaft, die immer weniger Leistung braucht, aber immer mehr verlangt, sehr niedrig gesetzt sind und die ein einzelner netter Uli nur schwer verändern kann. Er muss betteln, damit er in Afrika helfen darf, seine Frau soll das aber bitte selbst schaffen, denn ihre Probleme sind zu komplex und nicht mit einem neuen Schulgebäude oder einem Brunnen zu lösen.
Als Zuschauer kann man diese Not verstehen, denn auch auf einen selbst mögen sich die psychischen Leiden nicht recht übertragen, erst recht nicht kann man sie enträtseln. Heiss baut keine filmischen Welten, die das Chaos aus Hedis Kopf auf die Leinwand bringen, sie beobachtet stattdessen und zwar sehr genau. So bleibt man gemeinsam mit Uli außen vor und bestaunt diese eigene Spezies, die nach allen evolutionären Errungenschaften jetzt vor dem selbstgesetzten Ziel zurückschreckt, länger als einen Tag glücklich sein zu können.