Seit dem Jahr 2013 wird in Deutschland die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität von geflüchteten "Homo-, Bi-, Trans* und Inter*Sexuellen" in deren Herkunftsländern als Asylgrund anerkannt (EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU). Dies ist den langjährigen Kämpfen verschiedener NGOs zu verdanken, die sich für die Menschenrechte von queeren Geflüchteten einsetzen. Zuvor wurde beim "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" (BAMF) argumentiert, dass queere Geflüchtete nicht offen lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder inter* leben müssten und somit möglicher Verfolgung entgehen könnten. Bis 2014 etwa mussten sich queere Geflüchtete noch einer grenzüberschreitenden "Glaubhaftigkeitsprüfung" unterziehen, d.h. "belegen", dass sie entsprechend leben. Dieses Vorgehen wurde in der Praxis mittlerweile eingeschränkt; mit dem Verweis auf das Grundrecht der Menschenwürde und Achtung des Privatlebens wurde das Gesetz geändert (Az. C-148-150/13 u.a.). Für einen Anspruch auf Asyl reichen Drohungen oder Schmähungen aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentitäten jedoch nicht aus. Es müssen im Herkunftsland so gravierende Verfolgungshandlungen stattfinden, dass sie (mindestens zusammengenommen) eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen, um laut BAMF Anspruch auf Asyl zu haben (vgl. LSVD).
Die Rolle der Verwaltung In den administrativen und sozialen Einrichtungen der Bundesrepublik - so Eckhard Brickenkamp vom Rostocker Verein für Lesben, Schwule und Trans*"Rat und Tat" - müsse mehr darauf gesetzt werden, queere Geflüchtete mit ihrem Asylgrund wahr- und ernst zu nehmen. Nur so können die Geflüchteten umfassend unterstützt und ein faires Asylverfahren gewährleistet werden. Zum einen haben queere Geflüchtete nicht selbstverständlich Kenntnis davon, dass ihre Verfolgung einen Anspruch auf Asyl bedeuten kann. Gleichzeitig ist ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in den Herkunftsländern höchst tabuisiert - ihr Schweigen darüber war häufig eine (über-)lebenswichtige Strategie. Im Asylverfahren hingegen aufgefordert zu sein, über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu sprechen, sich vor Beamt_innen zu outen, empfinden vor diesem Hintergrund einige als große Barriere.
Zum anderen müssen die Entscheider_innen für das Thema sensibilisiert sein, um die Verfolgungssituation von queeren Geflüchteten einschätzen zu können. Das BAMF kann derzeit keine Aussage darüber treffen, ob und wie Entscheider_innen für das Thema sensibilisiert sind, die mit Geflüchteten über die Hintergründe ihres Asylantrags sprechen. Denn lediglich durch die "Glaubhaftigkeit" und die "Art des Vorbringens" der eigenen Verfolgungsgeschichte sowie der Vorstellungen der BAMF-Mitarbeitenden über die "richtige" queere Lebensweise wird letztlich über den Antrag entschieden. Aber auch Sprachmittler_innen, die im Prozess der Asyl-Antragstellung eine zentrale Rolle spielen, müssen geschult und sensibilisiert werden, sagt Brickenkamp. Ebenso wie bei den Entscheider_innen können ihre homo- und trans*feindliche Einstellungen Einfluss auf die Anhörung haben, indem bestimmte Aussagen der Antragsstellenden nicht übersetzt oder z.B. für Trans* das Wort "psychisch Erkrankte" benutzt wird.
Die Situation von queeren Geflüchteten in der Erstunterbringung Das Problem der psychischen Belastung durch die Unterbringung in einer Erstaufnahme- oder Gemeinschaftseinrichtungen drängt für alle Geflüchteten. Eckhard Brickenkamp weiß von queeren Geflüchteten, dass sie sich dort aus Selbstschutz oft nicht outen. Sie haben Angst vor Übergriffen und Anfeindungen sowie vor dem Verlust ihres persönlichen Umfeldes von Bekannten und Verwandten - in vielen Herkunftsmilieus ist das offene Reden über sexuelle Themen tabuisiert und Homo- und Trans*feindlichkeiten verbreitet. So ist eine Gemeinschaftsunterkunft nach einem Outing tatsächlich in den meisten Fällen kein sicherer Raum mehr. In Nürnberg und Berlin existieren zielgruppenspezifische Unterkünfte für queere Geflüchtete. Aber auch dies scheint keine problemlose Intervention zu sein. Oft fürchten sich Geflüchtete davor, aufgrund der expliziten Sichtbarkeit noch mehr zur Zielscheibe rechter Gewalt in der Bundesrepublik zu werden. Eckhard Brickenkamp sieht eine mögliche Lösung darin, dass Geflüchtete vor allem dezentral - also in privaten Wohnungen - untergebracht werden. Bei einem fehlendem oder nicht ausreichendem Unterstützer_innennetzwerk kann eine dezentrale Unterbringung, vor allem in ländlichen Regionen wie in MV, auch ein Problem darstellen: Immer wieder kommt es zu Übergriffen und Bedrohungen durch alteingesessene Nachbar_innen.
"Sichere Herkunftsstaaten" - das Aus für den Schutz von LGBTI? Die beschriebene Situation verschärft sich für queere Geflüchtete, die aus den sog. sicheren Herkunftsstaaten kommen. Die Ausweitungen dieser Liste erfolgen unter der bedenklichen Annahme, dass in den gelisteten Ländern keine Verfolgungen nach Art. 16a GG stattfinden. Damit muss lediglich "gewährleistet erscheinen", dass ein Staat als sicher gilt. Unionsrechtlichen Anwendungsvorrang hätte in der Einstufungsfrage der "sicheren Herkunftsstaaten" jedoch Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie). Nach Maßstab dieser Richtlinie muss sich nachweisen lassen, dass "generell und durchgängig" keine Verfolgung stattfindet. Laut zahlreichen NGOs wurde jedoch nicht ausreichend geprüft, ob menschenrechtliche Schutzmechanismen für queere Personen existieren bzw. ob diese auch vollumfassend angewandt werden (vgl. Stellungnahme UNHCR 2014, Marx/Waringo 2014).
Die meisten Geflüchteten in MV kommen aus Syrien, aber auch aus der Ukraine, Albanien, Afghanistan und Ghana. Mit Ghana und Albanien sind zwei Herkunftsländer vertreten, die von der Bundesregierung als "sicher" eingestuft werden. Menschen aus diesen sicheren Herkunftsstaaten erfahren somit eine fortgesetzte Diskriminierung, sowohl im Herkunftsland als auch während ihres Asylgesuchs in Deutschland. Sie können bei ihrem Asylgesuch zwar auf ihre Verfolgungssituation wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität im Herkunftsland verweisen, das Asylverfahren erfolgt jedoch verkürzt. Das Label der "sicheren Herkunftsstaaten" bedeutet für die Betroffenen weitreichende Verschärfungen. Neben Arbeitsverboten gilt für die Geflüchteten auch eine durchgängige Verwehrung ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit, indem sie in Aufnahmeeinrichtungen ohne ausreichende Schutzmechanismen bleiben müssen, bis über ihr Asylantrag entschieden wurde (vgl. Fabio Ghelli für Mediendienst Integration).