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Von freier Sexualität zu Gewalt und Zwang

Viele verbinden Kommunen mit Hippies, Weltfrieden, Drogen und natürlich mit freier Sexualität. Hierarchie und Gewalt ist eigentlich nicht der bittere Beigeschmack der Kommunen. Eine Diktatur hingegen ist in unseren Breitengraden ausreichend negativ konnotiert: Ungerechtfertigtes Morden, Einschränken jeglicher Freiheiten. Doch was soll man mit einer „Diktatur der freien Sexualität" anfangen?

„... eine typische Kommune dieser Zeit"

Der Aktionskünstler Otto Muehl begann nach seiner Scheidung 1970 nach alternativen Lebensformen zu suchen. Die Gruppe, die er um sich scharte, experimentierte unter seiner Anleitung mit Psychoanalyse und von Wilhelm Reich inspirierter Körperarbeit. Beeinflusst 1972 richtete er Sprechstunden für die wachsende Zahl an Mitgliedern ein. Theoretische Grundlage war die Rückkehr zur Natur und zur freien Liebe dar. In der Realität existierten noch Zweierbeziehungen, durchzogen von Chaos, wechselnden PartnerInnen und Eifersuchtsanfällen. Die Analyse wurde zusehends als „anerkanntes Ficken" betrachtet. In den Augen Otto Muehls war es eine typische Kommune dieser Zeit: „Es war schöpferisch und chaotisch. Wir lebten wie die Kinder."1

Die Friedrichshof-Kinder

In diesem Zeitraum zog die in den Kinderschuhen steckende Kommune auf den verfallenenFriedrichshof im Nordburgenland. Muehl hatte radikale Ansichten: Er deklarierte die Monogamie zum Feind. Der aus einer Zweierbeziehung kommende Muehl kommentierte das indirekte Gesetz, das es zu befolgen galt, folgendermaßen: „Wer eine Zweierbeziehung hat oder haben will, ist von vornherein schwer geschädigt." Der Künstler war der Meister des Wasserpredigens und Weintrinkens. Direkte Demokratie wurde großgeschrieben, die Kommune wurde jedoch autoritär regiert. Otto, wie der Gründervater von den Mitgliedern genannt wurde, hatte die Beinamen Boss, Häuptling, Guru, Kaiser, Schamane und sogar Diktator. Die freie Sexualität, und somit die persönliche Weiterentwicklung, galt nur dann als erfüllt, wenn man es möglichst oft mit möglichst vielen trieb. Wie „ein Muslim nach Mekka" fünf Mal am Tag betet, sollte man in der Gemeinschaft fünf Mal am Tag mit unterschiedlichen Partnern schlafen, predigte Muehl. Je mehr sexuelle Kontakte man hatte, desto weiter stieg man in der Hierarchie auf. Kein Sexminderte die Beliebtheit, Schüchternheit war ein No-Go und Homosexualität eine Krankheit. Auch gegen Zärtlichkeit hatte man etwas einzuwenden, es sei „schwules Getue".

Hierarchie der Aktionsanalytischen Organisation

Nur wer Muehls Regeln befolgte, seinem Bann unterlag, konnte in der Kommune anerkannt werden. Dazu gehörte auch das Markenzeichen einer Glatze und Latzhosen, die Enteignung zugunsten der Aktionsanalytischen Organisation (AAO), so der offizielle Name der Gruppe. Wer es wagte, Kritik zu äußern, depressiv war oder wem die Unordnung missfiel, galt als ,psychopathisch' und ,behandlungsbedürftig' und konnte schlimmstenfalls mit einem Hinauswurf rechnen.

Symbolischer Mord an den Eltern

Das höhere Ziel der Therapie war die „Loslösung von der Kleinfamilie", was einer Wiedergeburt gleichkommen sollte. Denn die Familie galt als „Brutstätte aller Geisteskrankheiten". Ein Kind komme gesund und unbeschädigt zur Welt, durch die Kleinfamilie erleide es eine schwere Beeinträchtigung. Mit Hilfe der Aktionsanalyse sollte man die Schädigung der Eltern erkennen, denn die Einsicht sei die Voraussetzung für das Überwinden. Symbolisch lief das Ganze so ab: Es sollte zu einer blindwütigen Zerstücklung des Vaters und der Mutter kommen. Ein Kommunard stellte etwa dar, seinen Vater an einen Baum zu binden, seine Mutter zu pfählen. Er entledigte sich seiner Kindheit, indem er unter den Blicken des Vaters seine Mutter vergewaltigte. Zur ,Entpanzerung' des Ichs wurde auch physische Gewalt ausgeübt, wie etwa die ,Watschenanalyse'. Dabei wurden Ohrfeigen zum Wiedererleben der Kindheit ausgeteilt. Ebenfalls empfohlen wurde das Prügeln in den Magen, bis der Behandelte erbricht und so „einen Teil der Krankheit loswird". Dabei trieb Muehl seine Schäfchen in eine bedingungslose Abhängigkeit - ohne Besitz und ohne eigene Meinung -, um als Oberhaupt eine Art Vaterrolle einzunehmen.

Die ,neuen Menschen'

1977 titelte die Zeit, der Kopf sei an der Garderobe abzugeben. Doch 1977 war der Höhepunkt der Absurdität und des Größenwahns noch lange nicht erreicht. In den 1980er Jahren wurden die Kinder aufgrund der „Gefahr einer Zweierbeziehung" von ihren Müttern getrennt, der Vater war meist ohnehin nicht bekannt. Sie wurden Ersatzmüttern zugeteilt, Vaterersatz war der autoritäre Otto. Er glaubte an die Erziehung eines neuen Menschen. Diese ,neuen Menschen' litten an Beziehungslosigkeit und Verunsicherung. Sie hatten keine Eltern, die Gefühle wie Liebe oder Stolz äußerten, sondern waren der cholerischen Gewalt Muehls ausgesetzt. Mit dem Eintritt in die Pubertät wurden die Mädchen von ihm ,in die Sexualität eingeführt'. Außenstehende würden es als Pädophilie oder Vergewaltigung betrachten, in der Gemeinschaft war es eine ,Ehre'.

Was von damals übrigblieb

1985 sieht sich Otto Muehl als Monarch, der in der Mitte des Hofes wie ein Fürst leben sollte und seinen in diesem Jahr geborenen Sohn, als Thronfolger. Doch neben diesem Sohn hatte er noch über zehn Kinder, darunter auch Mädchen. Wusste er von allen seinen Kindern? Wo er doch damit prahlt, pro Tag etwa acht Mal Sex mit verschiedenen Frauen gehabt zu haben? Hat er sogar seine eigenen Töchter ,in die Sexualität eingeweiht'? 1988 wird ein Strafverfahren gegen Muehl eingeleitet. Es sollte noch weitere drei Jahre dauern, bis er im Gefängnis landet. In dieser Zeit löst sich die Kommune langsam auf. 2010 entschuldigt sich Muehl mit den Worten: „Die Stellungnahme der Jugendlichen damals im Gerichtssaal machte mich fassungslos. Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. Es war auf keinen Fall meine Absicht." Doch das wird an der verstörten Kindheit der in der Kommune Aufwachsenden, an der Vergewaltigung und an dem Psychoterror kaum etwas geändert haben. Die Erinnerung, Valium verabreicht zu bekommen, blutig geprügelt zu werden und in Zwangsjacken der Analyse ausgesetzt zu sein, wird weiterleben. Ein Opfer fasst das Großwerden folgendermaßenzusammen: „Er hat unsere ganze Kindheitüber Witze vor den Erwachsenen über seine Pädophilie gemacht, aber das hat er real täglich gemacht, und die Masse hat über seine Witze gelacht und geglaubt, es ist nur ein Witz."2

Anmerkungen: 1 Noever, Peter (Hrsg.): Otto Mühl. Leben-Kunst - Werk: Aktion / Utopie / Malerei 1960-2004. Erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien vom 26.11.2003-29.2.2004. Verlag der Buchhandlung König, Wien 2004. S. 178. 2 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ kritischer-nachruf-auf-den-aktionskuenstlerotto- muehl-a-902152.html (zuletzt aufgerufen am 22. März 2014).
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