Vincent: Nein, wir sind da mehr oder weniger hineingeschlittert. Barbara und ich kannten uns vom Studium. Die ersten zwei Jahre machten wir rein freundschaftlich kleinere Radeltouren. Unsere damaligen Partner waren nicht so reiselustig. Als wir dann ein Paar wurden, stand die Reiseplanung sofort im Raum. Wir wollten beide unmotorisiert vorankommen, das Fahrrad war erste Wahl.
Seid ihr mit der Idee losgeradelt, aus der ersten Reise den Diavortrag "Jena - Jemen" zu basteln? Damit habt ihr euch ja einen Namen in der Vortragsszene gemacht.Barbara: Fotografiert haben wir schon immer. Wir hatten die Idee, unseren Sponsoren als Dank einen Diavortrag anzubieten, sobald wir wieder zurück waren. Daraus wurde eine Diareportage mit vielen Bildern, Texten und O-Ton-Material, die wir erstmals auf dem "Weitsicht Festival" in Frankfurt vor 800 Leuten zeigten ...
Eine Ausbildung zum Vortragsreferenten oder Reisefotografen gibt es nicht. Hattet ihr etwas Vorwissen?Vincent: Ein bisschen. Aber weder unser Geografie-Studium noch meine frühere Ausbildung als Tischler waren entscheidend. Vielleicht war es wegweisend, dass mein Vater mir mit 14 die erste Spiegelreflexkamera schenkte. Nach der Wende wollte ich Fotografie studieren, fand aber keinen Platz. Aber die Leidenschaft blieb.
Wie bist du zum Fotografieren gekommen, Barbara?Barbara: Ebenso durch Learning by Doing auf meinen Reisen. Bevor ich Vincent kannte, war ich ein Jahr in Asien backpacken und knipste viel mit meiner Kompaktkamera. Bei mir muss es schnell gehen, ich bin für die Schnappschüsse verantwortlich. Vincent bevorzugt meist die technisch aufwändigeren Bilder.
Richtig gutes Timing hattet ihr mit dem Jena-Jemen-Vortrag leider nicht. Ein Jahr später kam der 11. September 2001, und der arabische Raum war für die meisten kein Reiseziel mehr ...Barbara: Genau. Niemand interessierte sich mehr für Jemen. Weniger Leute besuchten unsere Vorträge, Veranstalter trauten sich nicht mehr an das Thema ran. Dabei waren wir grad erst frisch dabei! Also beschlossen wir, die Sache in die Hand zu nehmen und die Leute selbst einzuladen. Das war die Geburt der Lichtbildarena, die quasi aus der Not entstand.
Was genau ist die Lichtbildarena?Vincent: Es ist ein Festival mit Diareportagen, Livemusik, wissenschaftlichen Vorträgen und Workshops. Jeden Herbst findet es an der Uni Jena statt. Der Untertitel: "Das Reise-Show-Festival". Wir versuchen, es immer weiterzuentwickeln, stecken ganz viel Arbeit und Mühe rein. Damit es dem Publikum gefällt, und uns natürlich auch.
Der eigentliche Teil eurer Arbeit - neben den Vorträgen und dem Festival - ist das Reisen. Eure letzten drei Reisen haben euch jedes Jahr in die Mongolei geführt, in das Land der Nomaden.Vincent: Insgesamt waren wir sieben Monate dort. Mit Kindern und Kamelen sind wir rumgezogen wie die Nomaden vor Ort. Unsere Töchter Saba (7) und Lola (3) lieben das Rumreisen und waren ganz vernarrt in unsere Kamele Botok, Kila und Mila. Die Steppen sind endlos weit und fühlen sich teils menschenleer an - das ist großartig. Hier in Jena wirkt alles viel enger.
Ihr habt euch also Kamele ausgeliehen und seid losmarschiert?Barbara: Wie bei all unseren Reisen ging es los mit einer Vision. Wir wollten mit Kindern und Kamelen durch die Mongolei reisen, hatten aber keinen blassen Schimmer wie. Wir telefonierten rum, lasen viel, bis die Idee langsam Form annahm. Eine mongolische Bekannte aus Jena wollte uns weiterhelfen. Sie war sich sicher, dass ihre Familie uns Kamele organisieren könnte. Also besorgten wir Karten, Flugtickets und Visa. Wir waren abflugbereit. Zwei Wochen vor Abreise kam dann der Anruf aus der Mongolei: Die Familie hatte nur drei domestizierte Kamele, die sie leider nicht entbehren konnte.
Aber ihr seid trotzdem los?Barbara: Uns fiel noch eine mongolische Bekannte ein, glücklicherweise konnte sie uns sofort helfen. Ihre Verwandten aus der Altai-Region kauften drei Kamele für uns. Mieten geht nicht.
Wer brachte euch den Umgang mit den Kamelen bei?Vincent: Socho, ein 50-jähriger Nomade. Bei ihm haben wir im ersten Jahr unser Praktikum gemacht. Es war viel aufwändiger, als wir dachten! Er ist die Runde mitgelaufen, hat uns erklärt, dass Kamele nicht über Brücken und rund geschliffene Flusssteine laufen und welche Pflanzen sie fressen. Irgendwann griff er nur noch ein, wenn etwas schieflief, beispielsweise wenn die Kamele mal wieder Angst hatten. Dann bleiben sie stehen. Die beste Lösung ist, einen anderen Weg zu suchen.
2012 wart ihr mit zwei Kamerastudenten unterwegs, dieses Jahr auf euch alleine gestellt. Mit drei neuen Kamelen. Hat's geklappt?Vincent: Echt gut. Wir wanderten, die Tiere trugen das Gepäck, unter anderem die 25 Kilo Kameraausrüstung oder die Kinder im Korb. Saba ritt sogar öfters alleine. Anstrengend war das Beladen jeden Morgen - mit Decken, Seilen und Holzstämmen mussten wir den Sattel schnüren und dann das Gepäck festklemmen.
Barbara: Das klappte immer besser - wir bekamen sogar Lob von den einheimischen Nomaden für unsere Packtechnik. Etwas Hilfe hatten wir aber, weil Tungaa teilweise mit dabei war.
Wer ist Tungaa?Barbara: Wir lernten Tungaa im ersten Jahr kennen. Sie wohnt in dem Dorf Mankhan, von dem wir immer in die Berge hochstiegen. Das Jahr über studiert sie in der Hauptstadt Ulan Bator, in den Sommerferien ist sie zuhause - und nutzte die Gelegenheit, mit uns das Nomadenleben kennen zu lernen.
Eine Mongolin zieht mit einer deutschen Familie los?Barbara: Tungaa hat sogar nomadischen Verwandte und war mit diesen auch unterwegs gewesen, aber immer nur für ein paar Tage. Mit uns hatte sie die Möglichkeit, länger durch die Steppe zu ziehen. Vier Wochen hat sie uns begleitet, also etwa die Hälfte unseres Trips.
Ihr hattet also eine dritte Tochter dabei ...Barbara: Vom Alter her hätte sie unsere Tochter sein können, aber wir sehen sie als Freundin an. Es war schön, dass sie mitkam. Während wir durch die Neugier der Kinder schnell in Kontakt mit Einheimischen kamen, öffnete uns Tungaa mit ihrer Übersetzung die Türen. Wir waren ein gutes Team. Nur ihre Eltern hatten etwas Angst - sie machten uns klar, gut auf ihre Tochter aufzupassen. Hattet ihr gar keine Angst, zum Beispiel vor wilden Tieren?
Barbara: Es gibt Wölfe, aber solange wir denen nicht im Winter begegnen, stehen wir nicht auf ihrer Speisekarte. Wir hätten gerne mehr Wildtiere gesehen. Murmeltiere tauchen öfters auf. Die werden auch geschossen, gelten dort als Delikatesse - haben wir als Vegetarier aber nicht probiert.
Vincent: Wir machten uns um andere Sachen Sorgen: dass die Kamele in den Bergen abrutschen würden, dass was mit den Kindern sein könnte. Zum ersten Mal hatten wir ein Satellitentelefon dabei. Glücklicherweise ist nichts Ernsthaftes passiert.
Barbara: Angst hatten wir eher vor besoffenen Männern ...
Angst vor besoffenen Männern? Was ist passiert?Vincent: Eines Nachts kamen zwei betrunkene Motorradfahrer zu unseren Zelten. Sie wollten Tungaa aus ihrem Zelt zerren. Es war ein Uhr nachts, eiskalt, es herrschten Minusgrade. Wir hatten Angst, dass sie Tungaa mitnehmen und vergewaltigen würden. Einer der beiden war hartnäckig, er wollte sogar mit mir ringen. Das ist ja ein beliebter Volkssport in der Mongolei. Ich hätte keine Chance gehabt.
Barbara: Ich schrie sie an, auf Deutsch und Englisch, dass sie Tungaa loslassen sollten, und schlug auf sie ein. Dem anderen wurde die Geschichte zu heiß, das merkten wir. Ihn versuchten wir zu überreden, wieder abzuhauen. Tungaa hatte totale Angst, übersetzte aber weiterhin, was wir sagten. Es dauerte eine Stunde, bis das Schreien und das Verhandeln wirkten. Sie fuhren wieder, kamen aber keine zehn Meter weit. Dann starb der Motor ab. Wir standen schon eine Stunde in der Eiseskälte. Wir dachten nur, oh nein, jetzt geht es wieder los. Zum Glück sprang der Motor wieder an, und sie hauten ab. Ihr traft also doch einige Nomaden in der angeblich menschenleeren Mongolei.
Vincent: Immer wieder kamen wir an Jurten vorbei. Die Nomaden sind furchtbar nett, der nächtliche Überfall war ein Einzelfall.
Wie sahen eure Treffen sonst aus?Vincent: Sehr herzlich und hilfsbereit. Einmal passierte uns das größte Malheur, was einem mit Kamelen passieren kann: Der Stock, der durch die Nase wie ein Piercing geht, brach. An dem hängt sonst der Strick, mit dem man das Kamel steuert.
Barbara: Zum Glück war eine Jurte in Sichtweite. Viele Nomaden sind nicht mehr mit Kamelen, sondern mit Lkws und Jeeps unterwegs. Trotzdem kennen sie sich aus. Einer sah sofort, was los war, schnitzte einen Stock zurecht und ersetzte den Nasenpflock. Wir hätten das alleine nie hingekriegt.
Kann man überall zelten?Barbara: Die ganze Mongolei ist ein riesiger Campingplatz! Man kann sich kaum entscheiden, wo man das Zelt aufstellt. Die Jurtenplätze sind meist schön flach mit einer Wasserquelle in der Nähe.
Vincent: Bei den Nomaden ist das Gewohnheitsrecht üblich. Sie ziehen zwischen drei- und 15-mal im Jahr um, haben allerdings ihre Stammplätze, wo sich niemand sonst hinstellt.
Außer Touristen?Vincent: Das haben wir teilweise schon gemacht. Tungaa hat uns darauf hingewiesen, dass sich das nicht gehört.
Barbara: Sie praktiziert Schamanismus und hat viele Zeremonien auf der Reise abgehalten. Sie hat uns erklärt, dass wir nicht auf diesen Plätzen übernachten sollten. Denn falls der Familie, die dort zuvor war, etwas passiert sein sollte, könnte sich diese schlechte Energie auf uns übertragen.
Was gab's während eurer Wanderschaft eigentlich zu essen?Barbara: Alles, was haltbar ist. Wie der Hartkäse, den man irgendwann nur noch lutschen kann. Zum Abendessen mal Reis mit Dosenerbsen und ein andermal Nudeln mit Dosenmais.
Hab ich das eigentlich richtig verstanden: Ihr wart dreimal in der Mongolei, um daraus einen einzigen Vortrag zu machen? Ist das nicht ein bisschen viel Aufwand?Vincent: Das sagt unser Steuerberater auch (lacht). Aber wir machen das Ganze ja des Reisens wegen.
Barbara: Natürlich müssen wir schauen, dass es sich auch verkaufen lässt. Eine Marktanalyse hätte sicher nicht für die Mongolei gesprochen. Es gibt keine Hotels, man muss sich im Gletscherbach waschen. Aber es schwingt eine Sehnsucht mit: das Leben der Nomaden, die endlose Weite ...
Wie teuer ist so ein Mongolei-Trip?Barbara: Ein Kamel kostete eine halbe Million Tugrik, ungefähr 280 Euro. Das ist günstig. Hoch waren die Kosten für die Autos, Visa und Flüge. Mit den Autos fuhren wir die 1800 Kilometer zu den Kamelen. Die drei Reisen kosteten insgesamt 25 000 Euro.
Gibt es ein Grundrezept für den Erfolg von Diavorträgen?Barbara: Fotos allein reichen nicht. Auch das Auftreten und die Geschichte müssen stimmen. Um das Programm für die Lichtbildarena zusammenzustellen, reisen wir zu Vorträgen von Kollegen oder laden Newcomer zu Probevorträgen ein - vor uns und unseren Nachbarn als Testpublikum.
Vincent: Die Länderwahl spielt ebenfalls eine Rolle. Vorträge über Länder wie Kanada und Neuseeland sind stark nachgefragt, weil sie einen starken Individualtourismus haben. Viele Zuschauer holen sich Anregungen oder schwelgen in Reiseerinnerungen.
Kann das jeder, mit Reisen Geld verdienen?Barbara: Wenn man was wirklich will, kann man fast alles schaffen. Aber man muss sich reinhängen und dranbleiben. Es geht viel Zeit drauf. Wir verbringen 70 Prozent mit Organisieren und Büroarbeit und 30 Prozent mit Reisen.
Vincent: Dazu kommen kaum freie Wochenenden im Winter, weil wir von Oktober bis März auf Vortragstour sind.
Barbara: Es ist unser Lebensinhalt. Wir leben für das Reisen und sind bereit, unser Leben danach auszurichten. Es hilft, dass wir uns mit der Lichtbildarena einen Job vor Ort geschaffen haben.
Ihr seid oft mit alternativen Transportmitteln unterwegs. Lässt sich das besser vermarkten?Vincent: Wie auch in der Mongolei machen wir immer genau das, worauf wir Lust haben. Das hat bisher einfach funktioniert. Wir sind beide aus Überzeugung zum langsamen, unmotorisierten Reisen gekommen. Als ökologisch denkende Menschen wollten wir möglichst wenig fliegen.
Barbara: Diese Einstellung hat uns verbunden. Mit Kanu und Rad sind wir die Donau entlang, mit Floß und Rad durch Kanada.
Auf euren Vorträgen erzählt ihr gerne, dass ihr lebende Souvenirs von euren Reisen mitbringt ...Vincent: Das stimmt. Unseren Kater Sultan haben wir von der Jena-Jemen-Reise mitgebracht, unsere älteste Tochter Saba von der Donau, die jüngste Tochter Lola ist "made in Canada". Aus der Mongolei wollten wir eigentlich zwei Kamele mitbringen ...
Ernsthaft? Zwei Kamele in Jena?Vincent: Denen hätte es gefallen, sie sind Hitze und Kälte bis zu minus 50 Grad gewöhnt. Aber es wäre zu teuer geworden und hätte weitere anderthalb Jahre gedauert, um bis nach Deutschland zu laufen. Wir mussten zurück. Sabas Schuljahr ging ja los.
Saba ist jetzt in der zweiten Klasse, Lola im Kindergarten. Befürchtet ihr, in Zukunft nicht mehr so viel rumzukommen?Vincent: Mit unseren Diavorträgen sind wir immer noch genug unterwegs. Während wir früher mit Zug und Handwägelchen anreisten, müssen wir jetzt viel im Auto sitzen, um die großen Projektoren zu transportieren. In Jena radeln wir nach wie vor überall hin.
Barbara: Am meisten fehlt Saba das viele Draußensein. Sie hat Probleme, im Klassenzimmer zu sitzen, besonders wenn die Fenster geschlossen sind. Dann bekommt sie schnell Kopfweh, und die Lehrerin lässt sie eine Runde um die Schule laufen.
Und wo geht's als Nächstes hin?Vincent: Noch ist es nicht spruchreif, aber Lasttiere sind wieder Teil des Plans. Mit dem Fahrrad ziehen wir wieder los, wenn Saba groß genug ist, um sich selbst mit Gepäck zu transportieren.
Barbara: Gerade eben würden wir am liebsten zurück in die Mongolei. Die Kamele fehlen uns. Sie haben solch eine Ruhe ausgestrahlt. Uns zieht es nach jeder Reise wieder zurück. Aber wir wollen und müssen auch wieder was Neues machen.
Was wurde eigentlich aus Botok, Kila und Mila ?Barbara: Das haben wir uns auch gefragt, als wir die Kamele zurückgaben. Wir hatten sie aus drei verschiedenen Herden genommen. Würden sie jetzt wieder zurückfinden in ihre alte Gruppe? Der Nomade, der uns die Kamele verkauft hatte, scheuchte sie bei sich über den Fluss. Als sie gemeinsam in die gleiche Richtung davonrannten, sagte er nur: "So, ihr habt sie zu einer Herde gemacht." Am nächsten Tag sahen wir drei Punkte am Fuß der Berge stehen. Das war unsere Kamelherde.
4-Seasons Info Alle Jahre wieder: Die Lichtbildarena in JenaVom 8. bis 10. November findet die 12. Lichtbildarena statt. Das Reise-Show-Festival, organisiert von Barbara Vetter und Vincent Heiland, präsentiert ein breites Weltenbummler-Programm: von Diareportagen über Burma und Kuba über Seminare der Portraitfotografie bis hin zu wissenschaftlichen Beiträgen. Alles findet auf dem Uni-Campus in Jena statt, Carl-Zeiss-Str. 3 (Eingang über Ernst-Abbe-Platz), Hörsaal 1 und 2. Die Nomadenfamilie steht natürlich auch auf der Bühne mit ihrem neuesten Mongolei-Vortrag inkl. Livemusik (9. 11., 20 Uhr, Hörsaal 1). Ticketverkauf: www.lichtbildarena.de.