2 abonnements et 1 abonné(e)
Article

Die inszenierte Realität

In dem dokumentarischen Stück "Keine Mehr" der Bühne für Menschenrechte dreht sich alles um Gewalt gegen Frauen. Trotz der Schwere des Themas geht es auf der Bühne oft ermutigend zu - und an manchen Stellen sogar heiter.

Das Bühnensetting für das Stück "Keine Mehr" im SO36 in Berlin-Kreuzberg ist betont minimalistisch: Sechs Stühle, drei Tische, keine Requisiten. Dass die Ausstattung so karg ausfällt, liegt jedoch nicht nur an der Größe der Bühne. Denn das dokumentarische Theaterstück, das samt Obertitel auf Deutsch, Englisch und Türkisch aufgeführt wird, will die Zuschauer:innen eben nicht in fremde fantastische Welten, sondern in die Lebensrealitäten der drei Protagonistinnen Lillith, Sarah und Laura eintauchen lassen. Und diese drei Frauen eint, zumindest auf den ersten Blick, vor allem eines: die unmittelbare Erfahrung von Gewalt.
 

Was es bedeutet, eine Frau zu sein


"In der ersten Nacht meiner Ehe starb ich", erzählt Lillith. Die gebürtige Türkin heiratete bereits als junge Erwachsene, erfuhr von ihrem Ehemann allerdings keine Liebe, sondern Demütigungen und Schläge. Sarah wiederum sah sich gezwungen von Kenia nach Deutschland zu flüchten. Doch statt auf sicherem Boden landete sie in einem Asylbewerberheim, in dem Rassismus fortan zu ihrem Alltag gehörte. Lauras Leiden beginnt schon im frühen Kindesalter. Als kleines Mädchen wurde sie sexuell missbraucht.Trotz ihrer persönlichen Umstände wollen die drei Protagonistinnen sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden und als Opfer gesehen werden. Deshalb engagieren sie sich in Organisationen, die sich gegen Gewalt gegen Frauen stark machen. Lillith, Sarah und Laura wollen damit nicht nur sich selbst, sondern vor allem anderen helfen. Denn die drei sind sich einig: Nur wenn Frauen solidarisch sind, können sie der Gewalt, die sie erfahren, etwas entgegensetzen.


Die Realität auf der Bühne


Das Ziel der Theatergruppe "Bühne für Menschenrechte" war es, nicht nur eine Geschichte über Frauen zu erzählen. Das Team rund um die Regisseurin Elisabeth Pleß wollte Frauen, die Gewalt erfahren haben, aktiv in das Stück mit einbinden. Dafür haben die Macherinnen zunächst Einzelinterviews mit drei Opfern von Gewalt geführt. Anschließend wurden diese Frauen zu einer gemeinsamen Diskussion eingeladen.

Lillith, Sarah und Laura gibt es also, wenn auch mit anderem Namen, wirklich. Die Gespräche zwischen den Darstellerinnen auf der Bühne wurden zwar gekürzt, haben laut den Macherinnen aber wortgetreu so stattgefunden. Deshalb wird das Stück auch, samt Obertitel, auf Deutsch, Englisch und Türkisch aufgeführt. In dieser Originaltreue liegt die Stärke des Stücks: Die Zuschauer:innen lauschen zwar auf der einen Seite einem Schauspiel, gleichzeitig sind sie aber Teil eines intimen Austauschs.

Hätten statt der Schauspielerinnen die Betroffenen selbst auf der Bühne gestanden und über ihre Erfahrungen gesprochen, hätten sie mit größter Wahrscheinlichkeit keinen so tiefen Einblick in ihr Leben gegeben. Im Stück können die Schauspielerinnen hingegen auch einfach mal über die Marotten mancher Männer herziehen und dabei herzhaft lachen. An manchen Stellen erweist sich das Konzept des Nacherzählens jedoch auch als Schwäche. So manch spannende Debatte, die mehr Tiefgang verdient hätte, wird lediglich angerissen. Die Protagonistinnen springen dann schon wieder zum nächsten Thema – reale Gespräche sind eben kein perfektes Theaterskript.

Sexismus als Alltagserfahrung


Die Erzählungen über Gewalt und Repressionen wird durch das Schauspiel zugänglich und gleichzeitig erträglich. Trotz des Wahrheitsgehalts der geschilderten Erfahrungen dient die Bühne als Puffer zur Realität. Dabei haben die Erfahrungen an manchen Stellen einen universellen Charakter. Denn die drei Frauen unterhalten sich nicht nur über ihre traumatische Vergangenheit, sondern auch über Sexismuserfahrungen, die vielen Frauen bekannt vorkommen dürften: schlechtere Bezahlung für gleiche Arbeit, übergriffige Typen und Männer, die kein Nein akzeptieren wollen.


Gleichzeitig wird im Laufe des Stückes immer deutlicher, dass hinter Lilliths, Lauras und Sarahs Geschichten persönliche Biografien stecken. Dass Gewalterfahrungen zwar oftmals strukturell bedingt sind, sich aber auf ganz individuelle Art äußern. Die drei Frauen im Stück akzeptieren und achten ihre jeweiligen Differenzen und persönlichen Erfahrungen und fordern andere Frauen dazu auf, es ihnen gleich zu tun. Denn nur so könne man voneinander lernen und etwas bewegen. Oder wie Sarah sagt: “We need solidarity, we need sisterhood.” Übersetzt: “Wir brauchen Solidarität, wir brauchen Schwesternschaft.”