Sieben Monate, 23 Tage und einige Stunden hat Andreas Syrbe auf sein neues Herz gewartet. Dank der Organspende konnte der 55-jährige Cottbuser, Vater von drei Kindern, die Feiertage wieder zu Hause mit der Familie verbringen.
Als der Mann mit dem Mundschutz kurz vor Weihnachten zum Friseur geht, zieht er die Blicke im Warteraum auf sich. „Ich bin nicht krank. Das ist nur, um mich zu schützen", verteidigt sich Andreas Syrbe. Nach der Transplantation ist im Leben des 55-jährigen Cottbusers nichts mehr, wie es mal war. Größere Menschenmengen sollte er meiden, die Öffentlichkeit ebenso. Eine Infektion könnte böse Folgen für seinen Körper haben. Der Mann mit dem Mundschutz muss ein Leben lang Medikamente nehmen. Die sollen dafür sorgen, dass der Körper das fremde Organ nicht abstößt. Jeder Gang nach draußen wird somit zur Gefahr. Seit wenigen Wochen schlägt in seiner Brust ein neues Herz.
Andreas Syrbe stellte gerade sein Tablett mit dem Mittagessen auf einem Tisch in der Kantine des Paulinenkrankenhauses in Berlin ab, als der Anruf kam. Das war am 26. Oktober um 13.30 Uhr. Genau vier Stunden später lag er im Operationssaal des Deutschen Herzzentrums auf dem Gelände der Charité. Als er aufwachte, war es vollbracht - in seiner Brust pochte ein neues Herz. „Ich hatte Glück, hätte ich etwas gegessen, hätte ich noch länger warten müssen", sagt der gebürtige Leipziger, der zu DDR-Zeiten in die Lausitz zog. Acht Stunden vor der Operation darf nichts gegessen werden. Hätte das Telefon zwei Minuten später geklingelt, wäre der gelernte Rettungsassistent vielleicht heute noch dort, wo er monatelang wartete. Stattdessen wurde der Retter zum Geretteten.
Die Station 4 des Paulinenkrankenhauses ist ein Warteraum zwischen Tod und Leben, zwischen Herzversagen und Transplantation. Ende September liegen dort sechs Menschen, die „HU"-gelistet sind. Das Kürzel steht für „High Urgency", auf Deutsch: höchste Dringlichkeit. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie brauchen ein neues Herz. Die Patienten kommen aus Finsterwalde, Eberswalde, Halle und Cottbus. Lkw-Fahrer, Krankenpfleger, Industriemechaniker, Familienväter. Die Männer wurden aus dem Beruf gerissen, sind herzkrank geworden und auf die Station 4 gekommen. Wann das neue Herz kommt, ist ungewiss. Wer es bekommt, hängt von vielen Faktoren ab - Dringlichkeit, Größe, Gewicht, Blutgruppe.
Im September, vor der Operation, wartet auch Syrbe auf der Station 4 in der „Pauline", wie er sie in seinem Leipziger Dialekt nennt. In der Hand hält er das, was sein Leben rettet. Das Kunstherz, eine mobile Pumpe, die über einen Schlauch direkt mit seinem Herzen verbunden ist, muss er permanent mit sich tragen. 17 Stunden halten die Akkus der „Pumpe", wie Syrbe es nennt. Alle zwölf Stunden muss er sie wechseln, um auf Nummer sicher zu gehen. Im Bett, in der Kantine, auf der Toilette, kein Weg ohne „Pumpe".
Nach einem Herzinfarkt vor neun Jahren baute das Herz von Andreas Syrbe immer weiter ab, mehrere Operationen brachten keine Besserung. Innerhalb dieser Zeit sank seine Herzleistung von 40 auf 15 Prozent. Bis er im August 2017 umkippte. Ein Hubschrauber brachte ihn nach Berlin, der Cottbuser bekam ein Kunstherz, die „Pumpe". Im April kam Syrbe auf die HU-Warteliste.
Jetzt ist er überglücklich, wieder bei der Familie sein zu können. „Es war auch für sie eine schwere Zeit", sagt der Vater von drei Kindern.
Mehr als 800 Menschen in Deutschland warten derzeit auf ein neues Herz. Die Zahl der Transplantationen geht permanent zurück. Wurden vor fünf Jahren bundesweit noch 345 Herzen transplantiert, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 257. Auch die Zahl der Organspender sank in den letzten zehn Jahren akut - von 1300 auf 800. Nach aktuellen Umfragen ist die Bereitschaft zur Spende sehr viel höher als die Zahl der Organspender.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wirbt deswegen seit September dafür, dass jeder Mensch in Deutschland automatisch zum Spender wird, es sei denn er spricht sich ausdrücklich dagegen aus. Bis Mitte des kommenden Jahres will der CDU-Mann eine Entscheidung des Bundestags herbeiführen. Eine Gruppe um CSU-Politiker Stephan Pilsinger und Grünen-Chefin Annalena Baerbock schlug dagegen jüngst vor, die Bundesbürger alle zehn Jahre bei der Ausgabe des Personalausweises entscheiden zu lassen. „Es kann jeden treffen, auch jemanden in der Familie. Wenn man das Organ verbuddelt oder verbrennt, ist keinem geholfen. Es kann ein Menschenleben retten", so Andreas Syrbe.
Über die Feiertage war es voll im Haus der Syrbes. Es kamen der Sohn aus Leipzig, eine Tochter aus Senftenberg und eine weitere aus Cottbus, sie bringen die Enkel mit, 13, 12 und sieben Jahre alt. Wie lange das neue Herz des stolzen Großvaters schlägt, ist unklar. Es gibt Menschen, die über 20 Jahre mit dem neuen Organ leben, wenn alles gut geht. Bei anderen versagt das Herz bereits nach wenigen Monaten oder Jahren. Warum das so ist, ist medizinisch umstritten. Andreas Syrbe hat gelernt, das Leben zu schätzen. „Ich genieße jeden Moment, jede Sekunde mit meinen Enkeln, meinen Kindern und meiner Frau", sagt der Familienmensch. Andreas Syrbe wartet nicht mehr. Er lebt.
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