Süperunterwegs
Das andere Amsterdam
Von Christina Weise
Raue Industrie statt Grachtenromantik. Der Stadtteil "Noord" ist der neue Hotspot des Amsterdamer Kulturlebens. Ein inspirierender Ort, der sich immer neu erfindet.
Amsterdam Noord liegt auf der anderen Seite des Flusses IJ. Abseits der historischen Altstadt, den Coffee Shops und Sehenswürdigkeiten. Einst befand sich hier die drittgrößte Werft der Welt, die "Nederlandsche Dok en Scheepbouw Maatschappij", kurz NDSM. 4.000 Arbeiter bauten hier Frachtschiffe und Tanker - bis die NDSM 1984 Pleite ging. An ihrem letzten Arbeitstag ließen die Mitarbeiter alles stehen und liegen und noch immer finden sich einige materielle Zeugen der einstigen Blütezeit.
Nach den Werftarbeitern kamen die Künstler. In den 90ern zogen Kreative in eine der riesigen Werfthallen und richteten dort ihre Werkstätten ein. Daraus entstand die "kunststad", ein hippes Kreativzentrum mit hunderten containerartigen Raumeinheiten, in denen sich Werkstätten, Büros und Ateliers befinden. Die Wände hat jeder Künstler selbst gebaut aus Holz, Glas, Wellblech oder Pappe und dann bunt lackiert, beklebt oder besprayt. Hier arbeiten Architekten, Instrumentenbauer, Goldschmiede und Graphiker, Musiker, Filmemacher und Designer.
Sie haben hier mehr Platz als im engen Stadtzentrum, die Miete ist günstiger und die Kollegen direkt nebenan. Früher arbeiteten viele "draußen" vor ihren kleinen Räumen, heute ist das verboten. Aus Sicherheitsgründen. Heute gibt es mehr Regeln. Was zur Sicherheit beiträgt, aber auch einschränkt. Das Dach wurde repariert und eine Sicherheitsfirma eingestellt, denn Einbrüche häuften sich. Durch die Künstler erfuhr der einst verwaiste Bezirk eine Aufwertung, was Investoren anzieht. Die NDSM-Werft ist ein Industrieviertel im Umbruch.
Aus zweiter Hand
Direkt neben der "kunststad" findet jedes zweite Wochenende im Monat der größte Flohmarkt der Niederlande in der Werfthalle statt. Die Veranstalter werben sogar damit, dass es der größte Europas sei. Der Eintritt kostet 5 Euro. Über 750 private Händler verkaufen hier vor allem Kleidung, aber auch alte Bücher, Porzellan, Schallplatten, Spielzeug. Einige Touristen tummeln sich mittlerweile unter den Käufern, aber noch kommen vor allem Einheimische hierher.
Eine kleine Schatzkammer ist das "Woodies at Berlin". Hier findet man alles fürs Haus und Schiff: alte Industrielampen, bunte Teppiche und Retromöbel, die vor Ort hergestellt werden. Inspiriert von Berlin und der Seefahrt. Zu dem kleinen Laden gehören eine Schreinerei und ein "Boat Service", der Boote auch von innen aufmöbelt.
Zur Stärkung geht man in ein nettes Café. Das "Pllek" liegt direkt gegenüber der Flohmarkthalle in alten Schiffscontainern. Hier sitzt man in Liegestühlen auf Sand und kann den schönen Blick auf das ferne Zentrum von Amsterdam auf der anderen Flussseite genießen. Am Wochenende gibt's hier Live-Musik und sonntags Yoga.
Das "Noorderlicht" befindet sich schon etwas im Grünen in einem ehemaligen Gewächshaus. Hübsch eingerichtet mit Blumen und Holzmöbeln, aber alles etwas verwohnt und von Wind und Sonne geprägt - und genau das macht den Charme aus. Draußen sitzt man im Gras direkt am Wasser unter bunten Stoffgirlanden und genießt die Aussicht.
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