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Reportage

Gegenwind - Thema des Tages - Frankfurter Rundschau

Windkraftanlagen sind gut für die Umwelt. Das zumindest ist die gängige Meinung. Für Vera Krug ist jedoch klar: Die Windkraft macht sie krank. Sie scheitert seit Jahren an Politik und Gerichten – und kämpft trotzdem immer weiter.

Es ist der Morgen des 13. Februar 2017, als Vera Krug ihren bisher größten Kampf verliert. Auf dem Stillfüssel, einem Berg im südhessischen Odenwald, blockieren rund 30 Demonstranten einen kleinen Waldweg. Krug steht am Rand und filmt mit dem Handy.
Die Aktivistin schwenkt die Kamera den Weg hinunter auf dutzende Polizisten, die auf sie zu marschieren. Hinter ihnen walzt eine tonnenschwere Holzernte-Maschine über den festgebackenen Boden. Auf dem Stillfüssel sollen an diesem Tag die ersten Bäume gefällt werden. Dort sind fünf Windkraftanlagen geplant. Krug und die Demonstranten wollen das verhindern. „Achtung! Festhalten!“, schreit sie, als die Polizisten näherkommen. Kreuz und quer sitzen die Menschen über den Weg verstreut und klammern sich aneinander fest. Doch die Polizisten schleifen die Aktivisten einfach beiseite. Die Maschine rollt weiter.
Drei Jahre später sind die Windkraftanlagen längst gebaut. Viele Demonstranten von früher haben sich damit abgefunden. Man könne jetzt ja eh nichts mehr ändern, „gebaut ist gebaut“ – so sagen es die meisten. Krug sieht das anders. Die 52-Jährige kämpft weiter. Weil sie findet, dass die Windkraftanlagen die Natur zerstören. Weil sie sagt, dass die Windkraftanlagen gefährdete Tiere töten. Und weil sie das Gefühl hat, dass die Windkraftanlagen sie und ihre Familie krank machen.
Wie am Stillfüssel ist der Widerstand gegen Windkraftanlagen in ganz Deutschland groß. Allein in Hessen war Anfang des Jahres fast jede zehnte Windkraftanlage beklagt. Insgesamt 106 Stück, teilt das hessische Umweltministerium mit.
Krug stemmt ihren Fuß gegen einen großen Blumentopf vor ihrem Haus. Penibel knotet sie die Schnürsenkel der Wanderschuhe. „So ein kleiner Spaziergang wird mir guttun“, ruft sie ihrem Mann zu, dann schlendert sie los. Seit 43 Jahren lebt Krug im kleinen Ort Siedelsbrunn in Südhessen. Ihre Eltern sind damals dort hingezogen, um eine Gaststätte zu übernehmen. Sie ist Stammdatenmanagerin bei einem mittelständischen Betrieb.
Krug liebt die Natur. Sie stapft an ihren drei Pferden vorbei, die direkt neben dem Haus auf einer Wiese stehen. „Ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie machen soll.“ Doch ihre Tiere hätten sich verändert. „Die merken das auch“, sagt Krug und blickt auf den Bergrücken, knapp zwei Kilometer vom Haus entfernt. Dort drehen sich die Rotoren von fünf Windkraftanlagen, jede rund 220 Meter hoch. Energieversorger Entega wirbt mit mehreren Tausend Tonnen CO2, die mit dem Windpark pro Jahr eingespart werden können. Für Krug ist das alles Quatsch. Für einen kurzen Moment mischt sich Verzweiflung in ihren sonst bestimmten Blick. „Ich habe Angst. Angst um die Gesundheit meiner Familie“, sagt sie.
Seit 2018 sei es ganz schlimm. Die Windkraftanlagen seien deutlich mehr gelaufen, teilweise eine Woche ohne Unterbrechung. Dann höre und spüre sie immer dieses Wummern, das die Rotoren aussenden würden. „Ich wache manchmal schweißgebadet auf“, sagt sie, „dann bin ich nervös, unruhig, habe das Gefühl, dass ich sofort aufstehen muss.“ Eigentlich wollte Krug das alles nicht an sich heranlassen. Doch mittlerweile reagiere sie deutlich sensibler auf Geräusche, sei immer in „Alarmbereitschaft“ – das stresse sie. Zum Arzt ist die 52-Jährige wegen ihrer Beschwerden aber nie gegangen. „Ich weiß genau, dass mir das mit den Windkraftanlagen niemand glaubt“, erzählt sie. Sie fürchte sich davor, dass die Ärzte sie nicht ernst nehmen und alles auf ihren stressigen Alltag schieben.
Dabei ist wissenschaftlich unumstritten, dass Windkraftanlagen sogenannten Infraschall erzeugen. Das sind Geräusche, die der Mensch eigentlich nicht mehr hören kann. Sie starten ab einer Frequenz von unter 20 Hertz. Solche Geräusche können natürliche Ursachen haben, wie Meeresrauschen oder Erdbeben, aber eben auch menschengemachte, wie Autos oder Windkraftanlagen.
Nach wenigen hundert Metern endet die geteerte Straße vor Krugs Haus in einem Waldweg. Sie sagt: „Der Politik geht es bei der Windkraft nicht wirklich um die Menschen.“ Mit vielen Politikern habe sie gesprochen – manche aus der Region, andere aus Darmstadt oder Wiesbaden, habe versucht, sie zu überzeugen. Ohne Erfolg.
Das hessische Umweltministerium sieht sich nicht in der Schuld. Man habe strenge Vorgaben für den Umwelt- und Gesundheitsschutz und möchte dadurch schädliche Umwelteinwirkungen verhindern. Auch das Umweltbundesamt hatte sich bisher immer klar positioniert. In einem Dokument aus dem Jahr 2016 schreibt die Behörde, dass es durch die Entfernung zwischen Siedlungen und Windkraftanlagen „nicht zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit kommt.“ Allerdings schließt das Umweltbundesamt gesundheitliche Schäden nicht aus. Im Positionspapier steht ebenso, dass Infraschall grundsätzlich zu Benommenheit oder Übelkeit führen könne. Auch eine Forschungsarbeit der Universität Mainz kommt zu dem Ergebnis, dass sich Infraschall von Windkraftanlagen negativ auf den Körper auswirken kann. So mindert Infraschall die Kraft eines Herzmuskelstücks in manchen Fällen um bis zu 20 Prozent. Deswegen wirbt Professor Christian-Friedrich Vahl, Leiter der Studie, für einen angemessenen Abstand zwischen Windkraftanlage und Siedlungen. Das sei mindestens die vierfache Masthöhe – im Falle vom Stillfüssel also etwa 600 Meter. In Hessen gilt aber bereits eine grundsätzliche Abstandsregel von 1000 Metern. Um die Folgen von Infraschall genauer abschätzen zu können, brauche es dringend weitere Studien, schlussfolgerte das Ärzteblatt letztes Jahr.
Krug reißt ihr Fernglas nach oben: „Was ist das?“ Sie fokussiert. „Leider kein Schwarzstorch.“ Ohne Fernglas geht sie mittlerweile nicht mehr aus dem Haus. Ihre Bürgerinitiative Gegenwind versucht seit langem, nachzuweisen, dass hier gefährdete Vogelarten beheimatet sind – unter anderem der Schwarzstorch. „Die Gesundheit zählt vor Gericht nicht“, sagt Krug. Aber wenn gefährdete Tiere bedroht seien, dann müssten die Windräder wohl eingestampft werden.
Das bestätigen die Gerichtsurteile der vergangenen Jahre. Die Belastung durch Infraschall wurde meist mit Gutachten der Landesämter aus Baden-Württemberg und Bayern verneint. Sie kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie das Positionspapier des Umweltbundesamtes. Aus diesem Grund werden die Klagen meist mit dem Artenschutz begründet – insgesamt 72 Prozent zeigt eine Auswertung der bundeseigenen Fachagentur Windenergie an Land.
An fünf Klagen gegen den Windpark Stillfüssel ist Krug beteiligt. Nebenbei arbeitet sie noch, leitet die Bürgerinitiative und hilft dem benachbarten Ort Rothenberg im Kampf gegen die dort geplanten Windkraftanlagen. Menschen, die sie lange begleitet haben, bewundern sie für ihr Engagement. Manche warnen aber auch. Krug sei sehr schnell sehr emotional, das sei bei Streitigkeiten nicht immer passend. Über solche Bemerkungen lächelt die Aktivistin nur. „Ich versuche, die Leute mitzureißen“, sagt sie, „ich möchte nicht, dass andere wegen der Windkraft genauso leiden, wie ich.“
Natürlich seien Windkraftanlagen auch ein Konflikt zwischen Stadt und Land. „Viel Platz haben wir hier – aber eben auch ein Naturschutzgebiet.“ Das wolle sie mit aller Kraft erhalten. Und dafür opfert sie viel. Insgesamt 180.000 Euro habe ihre Bürgerinitiative schon investiert. In Flyer, Demonstrationen, Gutachten. „Vieles davon war unser privates Geld“, erzählt sie, „wir sind dann einfach ein paar Jahre nicht in Urlaub gefahren.“ Mittlerweile sei der Kampf gegen die Windkraft zur Lebensaufgabe geworden. Er lasse sie nicht mehr los.
Krug steht am Bach, der die beiden Bergrücken teilt. Sie legt ihren Kopf in den Nacken und blickt zu den Windkraftanlagen nach oben. Die Rotoren drehen sich schwerfällig. „Ich will hier nicht weg. Mein Vater liegt hier begraben, ich liebe diesen Ort“, sagt sie leise. Aber wenn sie ihre Klagen verliere, dann müsse sie weg. Spätestens wenn die beiden Söhne, 18 und 21 Jahre alt, selbstständig seien. „Ich kann nicht noch 20 Jahre gegenüber von diesen Windrädern wohnen. Das macht mich kaputt.“