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Junge Erwachsene in der Corona-Pandemie: Wir sind auch noch da - DER SPIEGEL - Psychologie

Als Deutschland am 22. März in den Lockdown geht, habe ich gerade Semesterferien. Dass das Coronavirus das Leben in den kommenden Wochen verändern wird, ist schon seit Tagen in unser aller Köpfen präsent. Viele meiner Kommilitonen und Freundinnen haben ihre Sachen gepackt und die Stadt verlassen. Ab in die Heimat, zu den Eltern, da gibt’s wenigstens einen Garten, wenn man schon nicht mehr raus darf. Ich aber bleibe, aus Angst davor, das Virus aus der Großstadt unbemerkt mitzunehmen in die ländliche Heimat.

Meine Zeit verbringe ich mit Schlafen, mehr Kochen als sonst, Aufgaben für die Uni, Arbeit, Sport und Spazierengehen in den plötzlich übervollen Parks. Mit meinen Freunden telefoniere ich so viel es geht, treffe hin und wieder manche von ihnen, ich entdecke das Joggen für mich. Der Supermarkteinkauf wird zum Tageshighlight. Ein Stück Normalität irgendwie, den Käse in den Wagen zu legen und dem Kassierer in die Augen zu schauen. Von meinem Bett an den Schreibtisch, in die Küche, auf die Fitnessmatte, wieder an den Schreibtisch, ein bis zwei Schritte sind das jeweils. Einzimmerwohnung eben. Belastend, aber ich freue mich auf den Sommer, denn da wird ja alles besser, rede ich mir ein.

Die ständige Angst, jemanden anzustecken

Mit dem Sommer kommen Lockerungen und kleine Stücke Normalität zurück in den Alltag. Geburtstagsfeiern sind plötzlich wieder möglich, ebenso wie Urlaube an der Ostsee oder Besuche bei den Eltern. Was bleibt, ist die permanente Angst, als junger Mensch unbemerkt jemanden anzustecken. Nie hätte ich gedacht, dass Pseudo-Halsweh mich eines Tages so viele Nerven kosten könnte.

Als im Herbst die Infektionen in die Höhe schießen, ist plötzlich von illegalen Raves die Rede, von Partys in Berliner Hinterzimmern und wieder von den jungen Menschen, die sich zurücknehmen sollten, bitte, den Älteren zuliebe. Folgt man der öffentlichen Debatte, dann hat meine Generation anscheinend ausschließlich die nächste Party im Kopf und in der Hand ständig eine offene Weinflasche.

An die Feierwütigen, für Merkel und viele Menschen ihrer Generation gleichbedeutend mit jüngeren Menschen, richtet die Bundeskanzlerin höchstpersönlich Anfang Oktober einen Appell: "An all diejenigen, die es vielleicht übertrieben finden, wenn jetzt in den Städten in das Ausgehen und Feiern eingegriffen wird", sagt sie, "Denken auch Sie einmal an das, was Ihnen am wichtigsten ist. Ist es nicht die Gesundheit Ihrer Familie, auch der Großeltern?" Ob es dafür nicht wert sei, jetzt ein wenig geduldig zu sein und Einschränkungen beim Feiern zu ertragen, fragt sie.

So, wie Merkel von uns jungen Menschen spricht, klingt es, als würden wir keine Gedanken verschwenden an Risikogruppen, hart arbeitende Pflegekräfte oder Menschen, deren Jobs wegbrechen. Jungsein, so wirkt es in ihrer Ansprache, sei gleichbedeutend mit Sorglossein, unser einziges Problem in diesen Zeiten das Zuhausebleiben statt der Freitagabendparty.

Wir sind keine Partygeneration

Wovon Merkel jedoch nicht spricht, genauso wenig wie die Ministerpräsidenten bei ihren vielen Appellen, sind die Erstsemester, die im Herbst in eine neue Stadt gezogen sind, sich auf einen neuen Lebensabschnitt gefreut haben und sich plötzlich in einer Zoom-Konferenz wiederfinden. Neue Freunde findet so niemand. Stattdessen wird vom Bett aus studiert, ohne Bekannte in einer fremden Umgebung. Niemand redet von jungen Erwachsenen, die allein wohnen, so wie ich, in meiner Einzimmerwohnung, mit ständiger Sorge, ob das jetzt richtig ist, die Freundin zur Begrüßung zu umarmen, oder in diesen Zeiten jemanden zu daten.

Wie reiner Luxus wirken Freundschaften, Dates und Bar-Besuche, wenn Merkel vom Ertragen der Einschränkungen beim Feiern redet oder vom Geduldigsein der jungen Generation. Wer allerdings im Lockdown seit Wochen um Bett und Laptop kreist, wem körperliche Nähe fehlt und wer permanent Angst hat, ein Risiko für ältere oder vorerkrankte Menschen zu sein, wer nicht nach Hause kann, weil Eltern und Verwandte kein Zuhause sind - für all diese Menschen haben Treffen mit den Liebsten nichts mit Luxus zu tun. Sich zu begegnen bedeutet vielmehr, ein Stück weit Normalität aufrechtzuerhalten, ein wenig Aufatmen in Krisenzeiten. Es ist zu kurz gedacht, ständig an ein partywütiges Stereotyp der jungen Generation zu appellieren.

Was ist zum Beispiel mit jungen Menschen, die kein stabiles familiäres Netz um sich haben, das sie während des zweiten Lockdowns auffangen kann? Was ist mit Freunden, die in einem anderen Bundesland leben? Was, wenn der Partner nicht mit Ehering am Finger nach der Arbeit auf einen wartet, sondern in einer anderen Stadt studiert, weil man erst seit ein paar Monaten zusammen ist? Was ist mit jungen Menschen wie mir, für die der Café-Besuch einmal Luftholen bedeutet hat, kurz den Kopf abschalten, während draußen die Welt verrückt spielt? Und wie geht es erst den jungen Menschen unter uns, die mit psychischen Krankheiten leben, denen 2020 sämtliche Stabilität wegbricht?

All diese Dinge können schnell so klein wirken im Vergleich mit dem, was schwer Erkrankte auf Intensivstationen oder durch die Pandemie arbeitslos gewordene Menschen durchmachen müssen. Corona nimmt Menschenleben, die Einschränkungen kosten ganze Existenzen. Dessen bin ich mir bewusst. Es geht nicht darum, der Heftigkeit der Pandemie und den damit verbundenen, das Infektionsgeschehen eindämmenden Maßnahmen die Legitimität abzusprechen. Es geht vielmehr darum, gehört und nicht als Partygeneration belächelt zu werden.

Wenig Verständnis, viel schlechtes Gewissen

Im aktuellen Bund-Länder-Beschlusspapier vom 25. November wird der "Lockdown-Light" verlängert, die Kontaktbeschränkungen werden sogar verschärft. Ein kleiner Lichtblick: die Festtage. "Das darf kein Weihnachten in Einsamkeit sein", so Merkel, als sie von Besuchsmöglichkeiten für die "vulnerablen Gruppen" in Seniorenheimen spricht. Im selben Atemzug rufen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten dazu auf, "jeden nicht notwendigen Kontakt zu vermeiden und möglichst zu Hause zu bleiben." Außerdem solle auf "nicht zwingend erforderliche Reisen verzichtet werden".

Wie junge Menschen unter diesen Bedingungen weiterhin gut ihren Alltag bewältigen können, der bei einigen schon seit Monaten von Einsamkeit geprägt ist, dafür hat die Politik keine Regeln, nicht mal Worte in den Pressekonferenzen übrig. Stattdessen wird hier mit lächerlichen Werbespots über heldenhaftes Zuhausebleiben und schlechtem Gewissen gearbeitet. Dein Freund darf dich besuchen kommen, aber er sollte nicht.

Seit dem Sommer ist der Zeigefinger der Nation auf junge Menschen gerichtet. Einmal Zusammenreißen muss doch drin sein. Und während Merkel und die Ministerpräsidenten sich beraten, steigen wir aufs Fahrrad, ins Auto oder in die S-Bahn, fahren heim in unsere kleine Wohnung oder WG, oder haben sie vielleicht den ganzen Tag über gar nicht erst verlassen.

Möglicherweise hagelt es nun in den Kommentaren unter diesem Text Kritik, oder es erwartet mich sogar ein Shitstorm, wie bei der jungen Frau, die im Oktober im ZDF "heute-journal" davon sprach, wie sehr ihr das Feiern fehle. Vielleicht heißt es, ich sei doch verwöhnt, bade in Selbstmitleid und solle mich zusammenreißen. Meine Antwort darauf: Ich reiße mich zusammen, genau wie alle anderen Menschen seit März dieses Jahres auch. Uns jungen Menschen geht es vielleicht in manchen Dingen anders, aber auch wir haben zu kämpfen.

Der Unterschied ist nur: Über Weihnachten, die Bundesliga und Silvesterböllerei wird mit Leidenschaft debattiert. Nur über uns redet niemand.

Celine Wegert, 22, studiert Journalistik mit dem Nebenfach Politikwissenschaften an der Technischen Universität Dortmund. Nebenbei berichtet sie als freie Journalistin aus NRW

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