3 abonnements et 4 abonnés
Article

"Das tut uns im Herzen weh" - Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Sport zum November-Shutdown - DER SPIEGEL - Politik

Im Kampf gegen das Coronavirus wird das öffentliche Leben wieder teilweise heruntergefahren - so haben es Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten beschlossen. Soziale Kontakte werden eingeschränkt, Gastronomie und Hotelbetriebe müssen im November schließen. Auch Sport- und Kulturveranstaltungen sind von den Maßnahmen betroffen.

Während die Kanzlerin die neuen Regelungen im Kampf gegen die Pandemie für unumgänglich hält, regt sich Kritik vonseiten der Betroffenen und der Opposition.


Rechtliche Probleme

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki fordert die Betroffenen der Corona-Einschränkungen dazu auf, rechtlich gegen die Beschlüsse vorzugehen. Er halte die neuen Maßnahmen "in Teilen für rechtswidrig", sagte der Bundestagsvizepräsident in der "Rheinischen Post". Merkel und die Ministerpräsidenten hätten Beschränkungen durchgesetzt, "die bereits mehrfach von Gerichten aufgehoben wurden", kritisiert Kubicki. Seiner Ansicht nach "ignorieren die Beteiligten bewusst die Gewaltenteilung".

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verteidigt die einschneidenden Corona-Maßnahmen - und er ist "fest überzeugt", dass sie vor Gericht Bestand haben würden. Die Maßnahmen seien aus Gesundheitsschutzgründen erforderlich, deshalb würden die Gerichte das auch anerkennen. "Wir müssen jetzt als Politik mit einem klaren Signal vorangehen, weil das frühe Handeln im Endeffekt uns das mildere Handeln ermöglicht", sagte Braun dem Deutschlandfunk.


Parlamentarische Beteiligung

Dass die neuen Richtlinien ohne parlamentarische Beteiligung erlassen wurden, stößt auf heftige Kritik seitens der AfD. Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland spricht von einem "Corona-Kabinett", das "im Namen der Gesundheit der Bürger die größten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte dieser Republik" beschlossen habe. Allein der Bundestag habe "über Grundrechtseinschränkungen zu befinden und sonst niemand", so Gauland.

Auch FDP-Chef Christian Lindner kritisiert, dass das Parlament nicht in die Corona-Beschlüsse eingebunden wurde. Auch wenn man zu dem Schluss komme, dass "weitreichende Grundrechtseinschränkungen" für die Kontrolle der Pandemie nötig seien, sollten die Maßnahmen im Bundestag "nicht nur kommentiert, sondern nach harter, argumentativer Auseinandersetzung in öffentlicher Sitzung getroffen werden", so Lindner.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hingegen verteidigt die neuen Maßnahmen. Diese seien rechtmäßig. Eine weitreichende Ermächtigung der Exekutive sei "eine Möglichkeit auf Zeit", sie diene dem Schutz der Bevölkerung. "Die Zeit, in der wir eine maximale Flexibilität der Exekutive benötigen, ist noch nicht vorbei", mahnt Mützenich.


Gastronomie

Restaurants, Cafés und Bars sollen ab Montag für den gesamten November schließen. Davon ausgenommen: Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zu Hause, auch Kantinen sollen öffnen dürfen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) nennt die Beschlüsse "bitter" und fordert eine schnelle und unbürokratische Auszahlung der zugesagten Milliardenhilfen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte ein Hilfspaket der Bundesregierung angekündigt.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler, erwartet davon eine stärkere Unterstützung für Beschäftigte in Kurzarbeit. Mit dem neuen Lockdown müssten nun wieder Hunderttausende Beschäftigte der Gastronomie in Kurzarbeit, sagte Zeitler den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Gerade in der Gastronomie leben die Beschäftigten auch von Trinkgeldern, die jetzt wegfallen", erklärte er.

Kanzleramtschef Helge Braun stellte sich hinter die umstrittene Schließung von Gastronomiebetrieben. "Wir müssen natürlich priorisieren", sagte er. "Aber irgendwo müssen wir die Kontakte reduzieren." Die Betriebe bekämen 75 Prozent des Umsatzes des vergangenen Novembers vom Staat erstattet. Das sei sehr, sehr teuer, aber sicher angemessen, um den Betroffenen durch den harten Monat zu helfen, so Braun.


Sport

Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, bedauert die neuen Corona-Einschränkungen im Sportbereich. "Ich bin nicht sehr glücklich damit", sagte die SPD-Politikerin dem Deutschlandfunk. Freitag seien "keine Veranstaltungen der letzten Wochen bekannt, die sich im Nachgang zu einem Hotspot entwickelt hätten." Der umfangreiche Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der Pandemie beinhaltet unter anderem, dass Sportveranstaltungen bis auf Weiteres komplett zurückgefahren werden. "Meine große Sorge ist, dass wir mit solchen weitreichenden Beschlüssen die Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren werden", so Freitag.

Auch der Deutsche Fußball-Bund hat mit großem Bedauern auf die Maßnahmen reagiert. "Das tut uns im Herzen weh", sagte Joti Chatzialexiou vom DFB in einer Medienrunde. "Aber wir müssen auch das große Ganze im Blick haben und uns im Wohle der Gesellschaft und der Menschen vielleicht zurücknehmen. Ich hoffe nur, dass das nur für einen sehr, sehr kurzen Zeitraum der Fall ist", so Chatzialexiou.


Tourismus

Auch die Tourismus- und Hotelbranche ist von den Einschränkungen betroffen. Andreas Mattner, Präsident des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft, erklärte, dass die Maßnahmen nicht diejenigen treffen dürften, die sich vorbildlich in Sachen Hygiene und Vermeidung von Infektionen verhielten. Mattner argumentierte, dass weder Geschäfte noch Hotels Infektionstreiber gewesen seien. Die neuen Maßnahmen in den touristischen Bereichen seien "juristisch fragwürdig" und würden zu Klagen führen.

Ingrid Hartges, die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands, pocht auf das versprochene Hilfspaket. "Es ist mehr als konsequent, dass hier eine Entschädigung erfolgt, wenn unsere Branche geschlossen wird, damit die allgemeine Wirtschaft keinen Lockdown erfährt und Schulen geöffnet bleiben", so Hartges am Donnerstag zur Deutschen Presse-Agentur. Es sei nun wichtig, dass diese Hilfe für Gastronomie, Hotellerie und Cateringwirtschaft schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werde.


Kultur

Der deutsche Schauspielerverband warnt vor einem kulturellen Kahlschlag. Denn auch Kultureinrichtungen, wie Kinos und Theater, sollen im November geschlossen bleiben. "Gerade kleinere und nicht öffentlich geförderte Häuser werden diesen erneuten und vollkommen unnötigen Schlag vor den Bug nicht überleben", heißt es in einem offenen Brief des Bundesverbands Schauspiel. Die Corona-Schutzmaßnahmen hätten die Schauspieler in eine "existenzielle Krise gestürzt", so der Verband. Theater zu schließen, obwohl sie "kein Risiko darstellen", sei weder sinn- noch maßvoll.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert nun ein Hilfspaket für die Kultur- und Veranstaltungsbranche. Der "Bild" sagte sie: "Es geht für die Branche um Leben und Tod. Die Künstler und Kreativen haben sich in der ganzen Krise ungeheuer fair verhalten, obwohl es an ihren Lebensnerv geht." Grütters erwartet, dass die Branche nun dieselben Hilfen bekomme, wie sie der Gastronomie zugesagt wurden.



von Sebastian Spallek, Celine Wegert 

Rétablir l'original