Nirgendwo in Südafrika wird der alte Nelson-Mandela-Traum von einer bunt gemischten „Regenbogennation" so intensiv und optimistisch gelebt wie in Durban mit seiner wachsenden Kreativ-Szene.
Sphephelo Mnguni hat mit Zeitschriftenseiten ganze Wände tapeziert. Mal kleben viele kleine Bilder kreuz und quer übereinander, mal sind es weiße Blätter voll Text, auf denen bunte grafische Flächen aufpoppen. In seinem Atelier im BAT Centre, einem Gemeinschaftszentrum für Kunst und Kultur in einem ehemaligen Lagerkomplex am Hafen von Durban, erinnern einige Seiten an seine raumfüllenden Arbeiten, die er hier in seiner Heimatstadt ausgestellt hat. Das Tapezieren von Wänden mit alten Zeitungen sei normal in Durbans Townships, sagt Mnguni. Weil man so viele ästhetische Effekte erzielen kann. Und weil Farbe teurer ist: „Mit meiner Kunst hole ich die Townships in die Stadt."
Mnguni gehört zu einer jungen Szene kreativer Durbanites, die mit Mode, Musik und Kunst dem Ruf von Südafrikas drittgrößter Stadt als wichtigstem Hafen des Landes und sonniger Hochburg entspannter Surfer weitere Narrative hinzufügen. Viele von ihnen kommen aus den ärmeren Vororten, und ihre Arbeiten erscheinen auch deshalb so neu und anders, weil sie von Lebensrealitäten erzählen, die mit dem Alltag in reicheren Vororten wenig zu tun haben. Schon ihre Präsenz im Zentrum ist auch 25 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid etwas, das auffällt.
Denn obwohl heute theoretisch jeder überall wohnen kann, sind die Folgen des Group Areas Acts von 1950, der die sogenannte Rassentrennung damals auch stadtplanerisch festschrieb, tatsächlich bis heute spürbar. Die Weißen wohnen in Strandnähe, die schwarzen Townships liegen am Stadtrand - und die indische Community, die heutige Mittelklasse, lebt dazwischen.
Dass sich in Durbans zentralen Stadtteilen Windermere, Morningside und Berea eine kreative Szene jeglicher Hautfarbe niederlässt - und damit den südafrikanischen Traum der Regenbogennation lebt -, ist deshalb ein Zeichen. Rund um die Florida Road, die Ausgeh- und Hipstermeile der Stadt, arbeiten sie in den gleich W-Lan-Cafés, trinken das gleiche lokale Craft Beer und essen im gleichen Imbiss „Bunny Chow", Durbans Nationalgericht: indisches Curry aus afrikanischen Zutaten, serviert in einem ausgehöhlten britischen Toastbrot.
Das hätte Nelson Mandela gefallen, der nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 Präsident wurde und die „Regenbogennation" ausrief, in der alle Kulturen ein gleichberechtigtes Miteinander leben sollen. Dieser Traum wird nirgendwo intensiver geträumt als in Durban, zumal im Jubiläumsjahr. Einerseits, weil Mandela im Township Inanda zur Wahlurne schritt und die Stadt seitdem als Wiege der südafrikanischen Demokratie gilt. Und andererseits, weil hier eine besonders große kulturelle Vielfalt herrscht: Rund 3,4 Millionen Menschen leben im Großraum Durban, der Kommune eThekwini, darunter die größte indische Community außerhalb Indiens. Auch die Zulus, mit zehn bis zwölf Millionen Einwohnern Südafrikas größte Ethnie, sind in der Provinz KwaZulu-Natal zu Hause, mit Durban als Hauptstadt. Der Slogan „The Warmest Place to Be" passt nicht nur wegen des konstant warmen Klimas, sondern auch wegen der Bewohner, die als besonders warmherzig gelten.
Aber neben buntem Leben und schönen Stränden gibt es in der Region auch Probleme. Armut, Kriminalität und fehlende Jobperspektiven sind ein Dauerthema. Im ziemlich weißen Nobelviertel Umhlanga, wo Villen und Boutique- Hotels mit Meerblick mitsamt ihren sichtbar angebrachten Schildern von Sicherheitsfirmen als Kathedralen postkolonialer Potenz nachts angestrahlt werden, sieht die Situation rosiger aus als in KwaMashu oder Umlazi, den großen Townships. „Es gibt bis heute die Privilegierten und die Nichtprivilegierten. Und die meisten sind nicht privilegiert", sagt Mnguni. Bei einem Bevölkerungsanteil von über 50 Prozent schwarzer Südafrikaner ist klar, wer damit gemeint ist.
Das hätte Nelson Mandela gefallen, der nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 Präsident wurde und die „Regenbogennation" ausrief, in der alle Kulturen ein gleichberechtigtes Miteinander leben sollen.
Mhlongo ist selbst so ein Hybrid; Musikerin, Performance Artist, Bloggerin und eine Art Botschafterin der hiesigen Musikszene, die sie Interessierten gerne zeigt. Mit ihren Untergrundtouren verdient sie sich etwas dazu. Sie sagt: „Gqom hat das gleiche Tempo wie traditionelle afrikanische Musik, die schnellen harten Beats erzählen von den afrikanischen Trommeln genauso wie von den harten Lebensumständen, aus denen sie hervorgehen." Gqom, das klinge außerdem unberechenbar und verwirrt, genauso wie die Kids, die sich noch suchten zwischen den verschiedenen Welten.
Tatsächlich ist eine besondere Energie, die von den Durbanites ausgeht und sich in Kunst, Musik und Kultur ausdrückt, an vielen Orten der Stadt spürbar. Laut Mhlongo komme das daher, dass die Kreativszene in Durban, anders als in Kapstadt oder Johannesburg, in den letzten Jahren viel weniger unter medialer Beobachtung stand. Für viele Künstler sei zwar genau das ein Grund gewesen, in die größeren südafrikanischen Städte oder ins Ausland zu ziehen. Sie sagt jedoch: „Wer nur Geld verdienen will, geht weg. Wer sein Talent schmieden will, bleibt hier. Es ist eine gute Zeit, um in Durban Künstlerin zu sein."
Apropos Geld: Auch in Durban scheint die Gentrifizierung voranzugehen. Zuerst kommen die Kreativen, dann die Start-ups und am Schluss alle anderen. Im Station Drive, einem ehemaligen Industrieareal am Rand des Zentrums, in dessen Gebäude über die letzten Jahre hippe Cafés und Restaurants, Modelabels, Künstlerateliers, Fotostudios, eine Brauerei und junge Internetfirmen eingezogen sind, lässt sich das gut beobachten.
„Wer nur Geld verdienen will, geht weg. Wer sein Talent schmieden will, bleibt hier. Es ist eine gute Zeit, um in Durban Künstlerin zu sein."
Für viele Kreative ist Kunst deshalb auch eher Berufung als Beruf. Etwa für Bongani Luthuli, der sein Atelier direkt gegenüber von Mnguni hat. Früher hing der nachdenkliche Yogi viel in Clubs ab, mit den falschen Freunden, einer hieß Alkohol. Bei einer Auseinandersetzung wurde er angeschossen, überlebte, ein Moment der Erleuchtung. Luthuli wurde Rastafari, Vegetarier und Designer. Unter dem Label Nattydread, also „schicker Dread", entwirft er heute Kleider für Frauen und Männer. Sportliche Sweatshirts oder minimalistische Denimjacken zum Beispiel, wie sie momentan überall en vogue sind, nur dass er auch mit afrikanischen Mustern und Farben spielt.
Die Auseinandersetzung mit lokalen Farben und Textilien überträgt er auch auf seine Kunst. Jüngst hat er eine Porträtserie sowohl mit Pinsel und Acryl als auch mit Nadel und Faden fertiggestellt. Eines der Werke zeigt zum Beispiel eine „Shebeen Queen": Weil Bars während der Apartheid Weißen vorbehalten waren, eröffneten in den Townships die „Sheebeens", informelle Ausschänke in den Händen von Frauen, die dort das Sagen haben. Luthuli sagt: „Die Haare, der Schmuck, die starke Ausstrahlung - eine Shebeen Queen erkennt man sofort, my sister."
Künstler wie Mnguni und Luthuli müssen ihre Sujets oft erklären, auch gegenüber Locals aus Durban. Wer nicht aus einem Township kommt, hat oft noch nie eines aus der Nähe gesehen. „Auch das schürt Vorurteile", sagt Mnguni. Überhaupt gäbe es in vielen Townships auch hübsche Einfamilienhaussiedlungen. Letztlich male man als schwarzer Künstler gegen Vorurteile genauso wie gegen die Unsichtbarkeit an - für Künstlerinnen gelte das einmal mehr. Mnguni, der sich in seiner Arbeit viel mit Alltagsrassismus gegen schwarze Afrikaner auseinandersetzt, organisiert regelmäßig interkulturelle Events, bei denen sich die Teilnehmer begegnen und austauschen können.
In Durban nehmen die Kreativen vieles selbst in die Hand. Das liegt auch an einem generellen Misstrauen gegenüber der Politik, daran haben die jüngsten Präsidentschaftswahlen nichts geändert. „Es gibt Förderprogramme für Künstler", sagt Mnguni, der selbst gerade davon profitiert: Für eine Künstlerresidenz geht er diesen Winter drei Monate nach Deutschland. „Aber", sagt er, und man weiß schon, was kommt: Korruption, Vetternwirtschaft. „Die Stadt tut generell zu wenig für die lokale Kunstszene", sagt Luthuli. Er ist seit einer Weile Teil einer selbst gegründeten Bewegung, die gezielt die Solidarität und gegenseitige Unterstützung der Künstler fördern will.
An einer regenbogigeren Zukunft arbeitet man in Durban also kollektiv. Wenn man sich Luthulis Bilder anschaut, das satte Rot, das leuchtende Gelb, das intensive Grün, dann ist das schon ein halber Regenbogen.
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