In einem südkoreanischen Tempel kocht die Nonne Jeong Kwan nach uralten buddhistischen Prinzipien die Küche der Zukunft - und begeistert damit Experten aus aller Welt.
„Im Mai ist es hier am schönsten. Die Luft ist noch rein, und alles erblüht. Die Energie steckt im reifen Gemüse", lässt Jeong Kwan über ihre Dolmetscherin verkünden. Die Südkoreanerin ist zenbuddhistische Nonne und, wenn man Food-Kritikern glauben mag, eine der besten Köchinnen der Welt. Obwohl sie weder eine professionelle Kochschule besucht hat, noch ein Restaurant führt. Sondern in der Regel lediglich für sich und zwei weitere Nonnen kocht, und zwar in der kleinen Chunjinam-Eremitage des Baegyangsa-Tempels, rund 160 Kilometer südlich der Hauptstadt Seoul.
Vor drei Jahren rückt Jeong Kwan und mit ihr die traditionell vegane koreanische Tempelküche erstmals in das Blickfeld der internationalen Gastrowelt, als der französische Koch Éric Ripert, der in New York das Drei-Sterne-Restaurant „Le Bernardin" führt, die Nonne für eine Kochsession zu sich einlädt. Ripert, selbst praktizierender Buddhist, hatte sie auf einer kulinarischen Entdeckungsreise in Südkorea kennengelernt. Zu ihrem Lunch im „Le Bernardin" kommen die einflussreichen Gastrokritiker New Yorks, die überwältigt in die Redaktionen zurückkehren. Kurz darauf schickt Netflix ein Kamerateam nach Südkorea, um eine Episode der beliebten Sendung „Chef's Table" über die kochende Nonne zu drehen. Spätestens seitdem gilt die koreanische Tempelküche als richtungsweisend: Wer wissen will, wohin die gastronomische Reise geht, braucht nur einen Blick auf Jeong Kwans jahrtausendealte Küchenphilosophie zu werfen.
Das klingt erst einmal absurd. Und einen Teil ihres wachsenden Hypes hat Jeong Kwan sicherlich dem Umstand zu verdanken, dass sie auf entrückte Weise „exklusiv" ist: Entweder gehört man zu dem winzigen Kreis internationaler Foodies, die zu den seltenen Kochveranstaltungen in New York, Tokio oder London geladen werden, um einmal in den Genuss ihrer Speisen zu kommen - oder man muss zu ihr in die kleine Chunjinam-Eremitage fliegen.
Manchmal kocht sie für die Mönche der zehn Fußminuten den Hügel hinunter gelegenen Tempelhauptanlage oder eben für die gelegentlichen Besucher, die sich zu diesem abgelegenen Fleckchen Erde auf den Weg machen, mitten in den Wäldern des Naejangsan-Nationalparks, eingekesselt von Bergen und Bambushainen.
Von Jeong Kwan bekocht zu werden, fällt also in die Erlebniskategorie „once in a lifetime". Entsprechend groß ist die Aufregung unter dem kleinen Trupp an Foodies, die in diesen Tagen ihren Südkoreaurlaub nutzen, um von ihr in die Philosophie der Tempelküche eingeführt zu werden, und jetzt in der behaglichen, holzvertäfelten offenen Küche der Nonne sitzen. Sie kommen von überall her. Da ist das hippieske Backpackerpaar aus Frankfurt, die Food-Stylistin aus Amsterdam und das vegane Trio aus San Francisco, das alles entzückend „authentisch" findet, was Jeong Kwan vor seinen Augen fabriziert.
„Sie sieht aus wie Meister Yoda", flüstert eine der Amerikanerinnen, und man weiß, was sie sagen will. Natürlich hat Jeong Kwan keine langen spitzen Ohren und kein Lichtschwert am Gürtel. Aber in ihrem irgendwie alterslosen, maximal 1,50 Meter großen Körper mit dem kahl rasierten Kopf, dem neugierigen Blick und dem kindlichen Lächeln steckt scheinbar eine überirdische Weisheit, wie man sie bei spirituellen Menschen - oder eben Meister Yoda aus „Star Wars" - oft zu erahnen meint.
Jeong Kwan hat diesen unverwechselbaren inneren Glow, der von einem Leben fernab von weltlichen Sorgen erzählt und den sich jeder gestresste Großstädter inbrünstig wünscht. Und trotz aufopfernder Bemühungen in Wellness-Retreats, mit Mental Coaching und Hyaluronspritzen nie erreichen wird. Auch das macht den Reiz aus.
„Ich bin keine Köchin, ich bin Nonne. Durch das Kochen möchte ich mit der Welt kommunizieren und die Menschen zusammenbringen"
Für so einen Glow braucht es schon gut vierzig Jahre Aufenthalt im Tempel. Mit siebzehn verlässt die heute 61-Jährige ihre Heimat Yeongju, wo sie mit ihrer Familie und sechs Geschwistern auf einer Farm aufwächst, um nach den Regeln des Zen-Buddhismus zu leben. Schon als Kind hat sie Freude am Kochen. „Vielleicht sogar schon in einem anderen, früheren Leben", fügt ihre Dolmetscherin hinzu. Heute ist das Zubereiten von Speisen Jeong Kwans Weg zur Erleuchtung. „Ich bin keine Köchin, ich bin Nonne. Durch das Kochen möchte ich mit der Welt kommunizieren und die Menschen zusammenbringen", ist eines der ersten Dinge, die sie heute sagt, und dass Kochen nichts sei als pure Meditation.
Auf einem langen Tresen sind die Zutaten der heutigen „Meditationssitzung" nebeneinander drapiert. Dünner Bambus, der bereits vorgekocht und in lange Streifen geschnitten wurde, frische duftende Kräuter und Blöcke aus cremigem Tofu liegen neben dem in Korea so beliebten „Dotori-muk": einer Art herzhaftem festem Wackelpudding aus Eicheln, der als Beilage oder im Salat gegessen wird. Heute möchte Jeong Kwan die ulkig wabbelnde Masse dämpfen und hält dafür ein paar Stückchen in einem Sieb über kochendes Wasser. Sie sagt: „Ich habe das noch nie ausprobiert, mal sehen, was daraus wird. Bei mir passiert alles spontan."
Wenn man ihr dabei zuschaut, wie sie in fließenden Bewegungen Kräuter zerhackt, Pilze teilt und in einer Pfanne mit Sojasauce und Sesamöl schwenkt, wirkt sie keinesfalls spontan, sondern so, als würde sie einem routinierten Ablauf folgen; einer rhythmischen Choreographie, bei der die Hände scheinbar losgelöst vom Verstand ihr Werk verrichten. Vermutlich ist das der meditative Moment? Und noch etwas fällt auf: Nichts, was sie da vor den Augen ihrer Besucher macht, wirkt sonderlich komplex. Im Gegenteil, jeder ihrer Arbeitsschritte ließe sich ohne großartiges Kochtalent am heimischen Herd spielend imitieren. „Die Tempelküche ist einfach", sagt die Nonne und meint dabei die Techniken wie die Gerichte selbst. Hier geht es auch nicht um einen starren Kanon aus perfektionierten Rezepten - die Tempelküche ist vielmehr ein Konzept, aufgebaut auf ein paar einfachen Regeln im Sinne der buddhistischen Philosophie.
Neben dem Verzicht auf Fleisch und andere tierische Produkte bedeutet das in der Basis, die sogenannten „o-shin-chae" wegzulassen: Knoblauch, Zwiebeln, Frühlingszwiebeln, Schnittlauch und Lauch, jene fünf scharfen Gewächse, von denen es heißt, sie würden die Libido anregen - für ein geordnetes Klosterleben gelten körperliche Gelüste verständlicherweise als kontraproduktiv. Trotzdem ist an der Tempelküche nichts bieder: Gewürzt wird mit intensiven Aromen wie Sechuanpfeffer, Kurkuma oder Shiso neben den Grundzutaten Sojasauce, Sojapaste und Chilipaste, dank derer die Speisen ihren kräftigen Geschmack erhalten. Jeong Kwan stellt sie selbst her.
Über ihre Sojasaucen, die genau wie ihr hausgemachtes Kimchi in großen Fässern vor dem Haus lagern, ist die Nonne ziemlich glücklich. „Einige sind fünf, andere zehn oder zwanzig Jahre alt", sagt sie. „Dazu braucht man nichts außer Sojabohnen, Wasser, Salz und Zeit. Alles andere erledigt die Natur." Der überlässt sie ohnehin am liebsten die Regie. So auch in ihrem Garten. Praktisch alles, was bei Jeong Kwan auf den Tisch kommt, wurde selbst angebaut oder stammt zumindest aus der Region. Wer den kleinen Hügel zur Eremitage hinaufschlendert, übersieht leicht ihr Gemüse- und Kräuterfeld, das sich am Fuß des Hanges befindet: Hier ist im wahrsten Wortsinn alles Kraut und Rüben. Wo die Wälder anfangen und ihr Garten aufhört, erschließt sich nicht. „Pflanzen wachsen durch die Energie der Natur", sagt Jeong Kwan, „genau wie die Menschen. Alles ist ein Kreislauf. In der Tempelküche ist es wichtig, seine Umwelt zu respektieren."
Saisonal, regional, vegan, fermentiert; plant-based, farm-to-table: Dass die koreanische Tempelküche nicht nur als gesunde Ernährungsweise gilt, sondern obendrein in der internationalen Welt der Kulinarik gefeiert wird, hat auch damit zu tun, dass die jungen Köche heute ihre Küchenphilosophien auf die gleichen Pfeiler stützen. Wenn man der durchaus berechtigten These folgt, dass die Zukunft auf einer primär pflanzlichen Ernährung fußt, um die Versorgung der Weltbevölkerung langfristig zu sichern, ergibt das Sinn. Heute kann es sich - egal ob in Seoul, Berlin oder New York - kaum ein Restaurant im Zuge einer generellen Achtsamkeit gegenüber Natur und Umwelt noch leisten, auf eine Rückbesinnung auf alte Kochtechniken und lokale Bodenschätze zu verzichten. Zumindest, wenn man Zeitgeist als auch Weitblick für sich in Anspruch nehmen will.
Die südkoreanische Küche ist hierzulande insbesondere für das fleischlastige koreanische Barbecue berühmt. Die Wurzeln der gesunden Ernährung liegen hingegen tatsächlich traditionell in der Tempelküche, die sich aus dem von Armut geprägten Leben der Mönche entwickelte, die in der Vergangenheit auf Almosen angewiesen waren und aßen, was ihnen die Menschen schenkten. Das war eben auf ganz natürliche Weise saisonal, regional und pflanzlicher Natur. Mit dem Wandel der modernen Küche gelten die kochenden Nonnen der Gegenwart - von denen Jeong Kwan vielleicht die populärste, aber bei weitem nicht die einzige ist - als echte Inspiration.
Wenn man Jeong Kwan selbst fragt, warum die Tempelküche derzeit überall auf der Welt als Küche der Zukunft angepriesen wird, sagt sie: „Auf Reisen bekomme ich nach dem Essen oft rote Pusteln", und streicht sich demonstrativ über den Hals, als könne sie den Ausschlag noch spüren.
„Die Menschen packen Dinge ins Essen, die dort nicht hingehören."
Mit dieser Einstellung ist sie nicht allein. Dass Menschen heute nicht mehr blind Lebensmittel in sich hineinstopfen wollen, die voller Antibiotika oder überspritzt sind, hat natürlich auch mit den Lebensmittelskandalen der vergangenen Jahre zu tun. Wissen, wo was drin ist, wo etwas herkommt und am besten noch, unter welchen Bedingungen es produziert wurde, wird für viele Konsumenten wichtiger.
Auch Vertrauen spielt eine Rolle. Viele Verbraucher fühlen sich von den großen Lebensmittelkonzernen betrogen, die den Eindruck vermitteln, die Profitmaximierung stehe für sie grundsätzlich an erster Stelle. Dass heute plötzlich auf so vielen Waren diverse Biosiegel auftauchen, ist auch nicht immer glaubwürdig. Wem könnte man also mehr vertrauen als einer Nonne, deren Interessen so gar nicht wirtschaftlicher, ja noch nicht einmal weltlicher Natur sind? Die nicht kocht, um ihr Ego mit Sternchen zu pampern, sondern ausschließlich um der Erleuchtung willen? Zumal spirituelle Erlebnisse momentan ohnehin unter den nach Substanz lechzenden Kosmopoliten recht hoch im Kurs stehen.
Das Paradoxe am wachsenden Hype um die buddhistische Tempelküche ist, dass die Nahrungsaufnahme unter Mönchen und Nonnen im Grunde als lästige Notwendigkeit des irdischen Körpers auf dem Weg zum Nirwana verstanden wird. Essen darf deshalb auch nur, wer am Tag gearbeitet hat. Wer das Kloster Baegyangsa besucht, wird wie selbstverständlich in die morgendliche Routine der Mönche mit einbezogen. Aufstehen um 4:30 Uhr nach einer kurzen und harten Nacht auf dem Fußboden eines Gemeinschaftssaals, Morgenzeremonie mit Buddhagruß, Frühstück um sechs, danach wird kollektiv der Hof gefegt.
Jeong Kwan wurde von Éric Ripert entdeckt, der in New York ein Drei- Sterne-Restaurant leitet. Er lud sie zu einer Kochsession ein, die Kritiker waren überwältigt. Seitdem ist sie berühmt.
Auch lukullisches Überfressen ist verboten, und weggeschmissen werden Lebensmittel grundsätzlich nicht. Ein bewusster Umgang mit Ressourcen? Na klar, auch das ist eine der Essenzen der koreanischen Tempelküche. Und so sieht man im Speisesaal des Tempels mitunter Menschen, die sich eine gefühlte Unendlichkeit quälen, bis der Teller eben doch leer ist. Überhaupt, Unendlichkeit: In der Welt von Jeong Kwan ist Zeit eine der wichtigsten Zutaten. Ob das die Ruhe ist, mit der sie ihre Worte wählt, das Schneckentempo, in dem sie das Gemüse schnippelt, oder die Jahre, die sie der Natur gibt, die Früchte wachsen und die Saucen reifen zu lassen. Nicht ohne Stolz sagt sie: „Slow Food? Das praktizieren wir bereits seit 2000 Jahren."
Und vielleicht liegt es an der Zeitspanne, die die vegane koreanische Tempelküche hatte, um sich zu entwickeln, vielleicht auch bloß an der Hingabe, mit der Jeong Kwan kocht, dass trotz aller Einfachheit dann doch nichts simpel schmeckt an dem, was sie für ihre Gäste jetzt auf hübschen Tellern serviert. Neben den saftigen Pilzen, die mit kleinen Chilistücken garniert wurden, steht eine Variation aus fermentiertem Gemüse und auch der Bambus, aus dem Jeong Kwan einen Salat gemacht hat, dessen Dressing eine milde Zitrusnote und die Süße eines Reissirups erahnen lässt. Und der gedämpfte Wackelpudding? Ist noch ein wenig weicher und nussiger geworden und lässt sich herrlich mit der Zunge zerdrücken. „Ich hoffe, dass Sie nach dem Genuss der Mahlzeiten Frieden an Leib und Seele spüren werden", sagt Jeong Kwan. Und nach einigem Zögern fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln in verschwörerischem Ton hinzu: „Wenn ich reise, esse ich übrigens am liebsten Pizza." Vegan natürlich.