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Witz, komm raus

Foto: Caroline von Eichhorn

Eine ernste Angelegenheit: Jakob Schreier erkannte beim Radiosender M94.5 sein Talent für absurde Komik. Mittlerweile überlegt sich der Student Pointen für Kabarettisten und die ZDF-heute-show. Ein Traum- und Knochenjob zugleich.


Wer lustig sein muss, ist es in diesem Moment meistens nicht. Die besten Witze kommen, wenn man sie nicht erwartet. Das ist die Krux, die Jakob Schreier zu kalkulieren gelernt hat. Er verdient Geld damit, Gags zu liefern. Der Münchner Drehbuch-Student schreibt Pointen für die ZDF-Heute-Show und Sendungen wie Grünwald Freitagscomedy im Bayerischen Fernsehen.


Heute hat Jakob, Mitte 20, frei, und macht deshalb möglichst wenig. Er war beim Zahnarzt und hat im Wartezimmer etwas über Rentenversicherungen gelesen. Jetzt sitzt er in einem Gemeinschaftsgarten vor seiner Wohnung in Sendling, isst Käsekuchen und trinkt Radler. Jakob trägt zwar einen lockigen Wuschelkopf, wie ein Clown kommt er aber nicht daher. Im Gegenteil: Er gibt sich ernst, trägt ein schlichtes, hellblaues, aufgeknöpftes Hemd. Jakob kratzt sich oft am Kopf, runzelt die Stirn, zieht eine Augenbraue hoch. Um Jakobs lustige Seite zu erfahren, muss man ihn kennen lernen. Und abwarten. „Meistens reden wir über Yoga oder Kung Fu, eigentlich total unlustig", sagt etwa ein Freund von ihm. Jakob ist ein nachdenklicher Typ, debattiert gern, Witze baut er subtil ins Gespräch ein.


Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt, sagte einst der Dichter Joachim Ringelnatz. Humor ist keine Gabe des Geistes, er ist eine Gabe des Herzens, so äußerte sich im 19. Jahrhundert der Kulturkritiker Ludwig Börne. Humor, meist kommt und geht er, wann er will. Aber wie konstruiert man ihn? „Routine", sagt Jakob. Eine Pointe ist stets ein Bruch mit den Erwartungen. Das kann man üben. Jakob hat immer viele Notizblöcke in der Nähe, auf seinem Schreibtisch stapeln sich bekritzelte Papiere. Im Bus, auf der Toilette, im Garten, auf Partys nimmt er Papier und Stift in die Hand, um Ideen festzuhalten, bevor sie sich in Luft auflösen.


Wenn er für das Fernsehen für Kabarettisten arbeitet, ist sein Job viel unlustiger, als man sich das vorstellt. In Unterföhring sitzt er mit einem Team an freien Autoren und festen Redaktionsmitgliedern am Tisch. Erst einmal frühstücken sie Butterbrezen, später knabbern sie Kekse. „Auch Kaffee ist eine sehr wichtige Zutat", sagt Jakob. Sie überlegen sich, welche Themen aktuell Deutschland bewegen. Sie sitzen, reden, notieren. Eine typische Redaktionskonferenz.


Doch das Ziel sind nicht die Themen, sondern die Pointen. „Manchmal ist die erste Äußerung witzig, oft muss es sich erst über einen Dialog aufschaukeln," sagt Jakob. Häufig sagt einer in der Runde auch ganz ernst: „Das ist echt lustig." Anschließend verwursteln die Autoren die gesammelten Notizen zu einem bühnenreifen Text.


Routine hin oder her - witzig zu schreiben, klappt nicht immer. „Wenn ich Zahnweh habe, probiere ich es gar nicht erst", sagt Jakob. Ein bisschen mies gelaunt zu sein, kann aber auch den Sarkasmus anregen. „Auch Musik hören hilft, Freejazz oder Hip-Hop. Aber das vergesse ich immer wieder." Jakob wollte schon als kleiner Junge möglichst viel mit Witzen zu tun haben, zeichnete Karikaturen, dachte aber lange, dass man davon nicht leben kann. Für ihn als Münchner - wie könnte es anders sein - ist der Komiker und Künstler Karl Valentin eine große Inspiration. Zufälligerweise wuchs er auch noch in der Karl-Valentin-Straße in Planegg auf.

Bevor er zu dem Punkt kam, beruflich Witze zu schreiben, verging erst einmal viel Zeit mit viel Üben. Nach der Schule studierte Jakob Philosophie und Theaterwissenschaft, seit 2011 lernt er nun das Drehbuchschreiben an der Filmhochschule in München. Nebenbei arbeitete er als Partyzeltmonteur, Touristenführer und Aufpasser einer Eiskunstlaufbahn.


Mit dem Witzeschreiben begann er beim Studentensender M 94.5 in der Unterhaltungsredaktion: für die Samstagmorgen-Sendung Katerfrühstück. Der M 94.5-Chef Wolfgang Sabisch erinnert sich: „Einmal produzierten Jakob und ein Kollege eine CD-Reihe mit Sendelöchern und verkauften sie für fünf Euro das Stück." Sendelöcher sind kurze Ausfälle im Radioprogramm. Auf den CDs war also gar nichts zu hören, sie verkauften sich trotzdem sehr gut. „Jakob hatte schon immer einen sehr hintergründigen Humor", sagt Sabisch.

Über einen Freund kam Jakob zu Otti's Schlachthof. Dort schrieb er seinen ersten One-Liner, jene aktuellen Gags, die kurz und prägnant zur Pointe führen. Ein Workshop für Nachwuchsautoren öffnete ihm die Tür zur ZDF-heute-show. Und über Umwege wiederum wurde Jakob beim BR an verschiedene Kabarettisten weitergereicht.


In seinem Bücherregal stehen Monty-Python-DVDs, eine Bücherreihe zu Karl Valentin, Heidegger, Wittgenstein, Derrida - Jakobs Inspirationen. „Derrida, der Mann hat Humor", sagt er. An der Wand hängen viele Post-its. „Wenn ich traurig bin, kaufe ich etwas", steht darauf, und: „Wir waschen unsere Hände in Unsinn."

„Jakob Schreier verbindet Humor mit tiefem Ernst", sagt sein Professor Michael Gutmann. „Das ist eine glückliche Verbindung, die manchmal in Deutschland fehlt." Jakob ist Fan von absurder Komik und durchdachter Satire, und manchmal traurig darüber, wie viel platte Unterhaltung es gibt. „Unterhaltung schaufelt die Abgründe des Daseins zu, während Komik und Humor sie aufdecken", sagt er. Glücklich ist er, wenn es ihm mit einem Witz gelingt, Missstände aufzudecken.


Besonders gerne erkundet Jakob den Humor anderer Kulturen. Auf Reisen geht er in Comedy-Clubs statt an den Strand. Eine Erkenntnis hat Jakob dabei über die Jahre hinweg gewonnen: Ein Witz kann noch so gut sein - wenn er nicht überzeugt vorgetragen wird, kommt er nicht an. „Die Darbietung ist der Löwenanteil." In New York hat er acht Wochen im „Comic Strip", dem ältesten Comedy-Laden der Welt, geübt und ist dort auch aufgetreten - auf Englisch. „Es geht leichter auf Englisch, weil man weniger weiß, was man sagt", sagt er. Man traue sich mehr und sei nicht so selbstkritisch. Ob er in Zukunft auch in München als Kabarettist Witze darbietet, weiß Jakob noch nicht genau. In Deutschland spielt Jakob bisher lieber Theater. 


Foto: Caroline von Eichhorn

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