SENDETERMIN Di, 9.4.2019 | 15:55 Uhr | SWR2
Berlin, 1927. Die Party ist in vollem Gange. Ise Gropius tanzt mit dem Bauhäusler Herbert Bayer zu Jazz-Rhythmen. Walter, 14 Jahre älter als seine Frau, sitzt mit Gastgeber Erwin Piscator auf dem Sofa. Sie sprechen über das Totaltheater, das er für den Avantgarde-Regisseur plant. – So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, kommentiert Bernd Polster diese Szene in seiner neuen Gropius-Biografie. Der Autor füllt lustvoll die Leerstellen im Leben des Architekten. Wo Gropius Vorläufer, Förderer und Partner unerwähnt ließ, zitiert Bernd Polster Briefe und Zeitzeugen.
Das haben andere vor ihm auch schon getan, aber weit weniger ausführlich und nicht mit der Absicht, Gropius ein für alle Mal vom Sockel zu stoßen. Bereits 1983 bewies der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger, dass es von Walter Gropius keine einzige eigenhändige Architekturzeichnung gibt. Der hatte sich nämlich darauf verlegt, talentierte Zeichner und Statiker für ihre Dienste zu bezahlen. Wissenschaftler wie Gilbert Lupfer und Paul Sigel feiern Gropius deshalb in ihren Publikationen als frühen Teamworker, Bernd Polster jedoch spricht ihm aus demselben Grund pauschal die Architektenwürde ab.
Mit vielen Details nährt der Autor beim Leser den Verdacht, es mit einem Hochstapler zu tun zu haben, einem jungen Mann ohne Ambitionen - mit der einen Ausnahme, es irgendwie nach ganz oben zu schaffen. Zumindest teilweise glaubhaft wird diese These, wenn es um Gropius Verhältnis zu Adolf Meyer geht, der ihm zehn Jahre die Architektenarbeit abnahm, während Gropius für Akquise und Außendarstellung zuständig war. Für Polster steht außer Frage, dass Gropius andere gnadenlos ausgenutzte und, was noch schwerer wiegt, auch von ihren Erfahrungen und Ideen lebte. Meyer hatte nämlich in Düsseldorf bei dem einflussreichen niederländischen Architekten Mathieu Lauweriks studiert, dessen Theorien sich später in vermeintlich von Gropius stammenden Entwürfen niederschlugen.
Adolf Meyers entscheidenden Beitrag an den frühen Gropius-Bauten hat Annemarie Jaeggi 1992 in ihrer Dissertation dargestellt. Bernd Polster verarbeitete diese und andere Forschungsergebnisse, und schreibt dabei unbeirrt auf sein Ziel hin. Er erzählt von einem jungen Dandy, der bei einem zufälligen Treffen in Madrid von dem Sammler und Werkbund-Mitglied Karl Ernst Osthaus erstmals von der Reformbewegung in Architektur und Kunsthandwerk hörte. Und Polster stellt mit nicht weniger Häme fest, dass der Direktor der Vorgängerinstitution des Bauhaus in Weimar, Henry van de Velde, unter drei Kandidaten Gropius nur als Nachfolger empfahl, weil der offenbar im Werkbund aktiv war.
Auch über Gropius´ rücksichtsloses Verhalten gegenüber seinen Frauen setzt uns Polster bis ins Detail in Kenntnis. Ursula Muscheler hatte in ihrem Buch über Gropius´ Frauen lediglich fünf Lebensläufe nachgetragen, ohne wirklich am Ruhm des Bauhaus-Gründers zu kratzen. Vieles, was sie über Gropius Jugend schreibt, liest sich bis in die Formulierung gleich, da sich beide Autoren weitgehend auf dieselben Quellen stützen. Doch zieht Polster andere Schlüsse.
Bei ihm erscheint Walter Gropius als eloquenter Egomane und Marketingstratege. Immerhin Letzteres erkennt Polster an. Nach der Fertigstellung des Bauhaus-Gebäudes in Dessau etwa ließ Gropius umgehend Werbebroschüren und Filme produzieren und organisierte für eine staatliche Delegation einen Rundflug. Prompt erhielt das Bauhaus eine finanzielle Förderung für seine Modellsiedlung Törten.
Bernd Polsters Biografie demontiert die Ikone des Neuen Bauens Walter Gropius auf ganzer Linie. Das Buch liest sich trotz der Fülle der Informationen leicht, vielleicht gerade weil der Autor jede Ehrfurcht vor seinem Protagonisten abgestreift hat. Doch hat ihm seine Strategie auch einen, vielleicht zentralen Gedanken verstellt: Das Bauhaus profitierte durchaus von den Leerstellen, die Gropius notgedrungen zulassen musste und ermöglichte für einige Jahre die Entfaltung junger Talente, deren Produkte er sich zwar aneignete, aber gleichwohl weltweit berühmt machte.
Bernd Polster, Walter Gropius, Der Architekt seines Ruhms, 634 Seiten, gebunden, im Carl Hanser Verlag erschienen, für 32 Euro.
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